Chefredakteurin Gabriele Günder über die Herausforderungen der Gestaltung eines Monatsmagazins in unruhigen Zeiten, über Visionen für eine lebenswerte Welt – und über die wichtigsten Themen der neuen Ausgabe.
»Was ist jetzt noch unvorstellbar?«, fragte die »ZEIT« zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine auf dem Cover ihres »Entdecken«-Teils. Auf der Folgeseite stand in kleinen Lettern: »Unsere Antwort ist eine weiße Seite.« Damit war so viel gesagt, wenn nicht sogar schon alles. Als wir kurz darauf versuchten, mit dem für ein Monatsmagazin üblichen Vorlauf die Hauptthemen der vorliegenden PAGE festzulegen und die ersten Artikel zu verteilen, lag denn auch vor uns ein großes weißes Blatt, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Es war nicht zu überblicken, in welchem Zustand sich die Welt befinden würde am Tag des Erscheinens dieser Ausgabe. Ein Fahren auf Sicht? Unmöglich.
Ich musste an den Künstler Salvatore Garau denken: »Die Abwesenheit ist die zentrale Protagonistin unserer Zeit«, hatte er einmal gesagt, als Anfang 2020 die Städte verwaisten und Botschaften wie »Stay Home« die Straßen säumten. Zu jener Zeit ersann er eine unsichtbare, immaterielle Skulptur, die auf einer 150 mal 150 Zentimeter großen Fläche ausgestellt und bei einem Mailänder Auktionshaus versteigert wurde. Nun gut, wenn sich weite Teile der Wirklichkeit – sei’s das Virus oder CO₂ – den Blicken entziehen, dann macht das nicht nur Angst, es macht erfinderisch. Doch im Gegensatz zu damals blickte jetzt auch die Kreativbranche auf eine Situation, der weder mit Fantasie noch mit Mitteln der Wissenschaft noch mit vernünftigen Argumenten beizukommen war. Im Gegenteil, jede Reaktion werbungtreibender Unternehmen wurde sogleich äußerst kritisch betrachtet.
Ja, man konnte fast den Eindruck gewinnen, nicht mehr gestaltend mitwirken zu können, dass alles verloren sei . . . doch dann kamen wir auf die Agenturen zu sprechen, die gemeinsam mit der nächsten Generation zukunftsorientierter Organisationen Visionen einer lebenswerten Welt greifbar machen, diskutierten über Haltung und Verantwortung, über Vertrauen und Partizipation, über junge Direct-to-Consumer Brands, deren Nähe zur Community sich gerade jetzt als großer Wettbewerbsvorteil erweist, darüber, wie Design immaterielle Werte sichtbar und erfahrbar macht, über Unternehmen, die sich komplett neu erfinden oder in Start-ups investieren – und dann waren sie da, die Themen dieser Ausgabe: New Brands (siehe Seite 16 ff.), Speculative Design (siehe Seite 84 ff.), Visual Storytelling für The Nature Conservancy (siehe Seite 96 ff.), NGO-Identities und -Kampagnen (siehe Seite 40 ff.) . . . Von wegen leeres Blatt Papier – packen wir’s an!
D2C im Trend: New Brands ++ Für NGOs gestalten ++ Design für Musiklabels, Artists, Clubs ++ ENGLISH SPECIAL Yuk Fun ++ Speculative Design: Anti-Game mit AR ++ Erklärfilmserie für nature.org ++ Japanisch-deutscher Katalog
At the onset of Russia’s war against Ukraine, weekly newspaper DIE ZEIT asked on the front-page of its “Entdecken” (Explore) section: “What is still unimaginable now?” The next page showed, printed in small letters: “Our answer is a blank page.” Which said so much, if not everything. Shortly after, when we were trying to define the main topics for this issue of PAGE, in keeping with the typical lead time for a monthly magazine, we found ourselves in front of big blank page as well, literally and figuratively. The state the world would be in on the day of publication was unpredictable. Proceeding with caution? Impossible.
I had to think of artist Salvatore Garau: “Absence is the absolute protagonist of our times,” he said once, when cities became deserted and “stay home”-messages lined the streets in the beginning of 2020. At that time, he contrived an invisible, immaterial sculpture, which was displayed on a 150 cm by 150 cm area and sold by an auction house in Milan. Well, if wide ranges of reality – may it be the virus or CO₂ – are hiding from view, that doesn’t just trigger fear, but also ingenuity. But in constrast to those days, now the creative industry too was facing a situation that couldn’t be overcome by the use of one’s imagination or scientific means, nor by reasonable arguments. On the contrary, any reaction of advertisers immediately became subject to extreme scrutiny.
Yes, it almost seemed like one couldn’t contribute in a creative way anymore, that everything was lost . . . but then we started talking about the agencies, which, together with the next generation of future-oriented organisations, realize visions of a world worth living in; we had a discourse on stance and responsibility, trust and participation, on young direct to consumer brands, whose closeness to the community proves to be a big competitive advantage these days, on companies that are completely reinventing themselves or investing in start-ups – and there they were, this issue’s topics: New Brands (see page 16 ff.), Speculative Design (see page 84 ff.), Visual Storytelling for The Nature Conservancy (see page 96 ff.), NGO Identities and Campaigns (see page 40 ff.) . . . so much for the blank page – let’s get to it!
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