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Nervige Corporate-Design-Portale: Hier sind die Gründe für offenere Designregeln

Bei CD-Manuals sind schlanke, offene Online-Lösungen oft besser – sagt Marco Spies, Managing Partner der strategischen Designagentur think moto in Berlin. 

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Marco Spies verantwortet den Bereich User Experience und Service Design bei think moto. Wir haben ihn nach seiner Position zum Thema Corporate-Design-Manuals gefragt und warum er kleinere, offene Lösungen für besser hält.

Warum sind Corporate-Design-Guidelines mit einem Mal ein Thema? Was verändert sich gerade und wieso?
Marco Spies: Als ich um die Jahrtausendwende anfing, als Designer zu arbeiten, entwickelten wir noch 100 Seiten starke PDF-Guidelines, die jedes Element eines Corporate Designs regelten. Die Datei wurde irgendwo abgelegt und zudem in gedruckter Form als Nachschlagewerk in den jeweiligen Abteilungen, also vor allem im Marketing, ausgelegt. Die Probleme, die sich daraus ergaben, sind heute ziemlich offensichtlich, denn Aktualisierungen wurden kaum durchgeführt. Zum Glück haben Print-Guidelines heute Seltenheitswert. Mit PDFs arbeiten noch eine Menge Unternehmen. Doch die meisten verfügen über Online-Guidelines in Form einer Website, die verantwortliche Mitarbeiter via Content-Management-System pflegen.

Was genau hat sich verändert?
In den letzten Jahren kamen so viele neue – primär digitale – Touchpoints hinzu, und es werden immer mehr. Mobile, Internet der Dinge et cetera: Ohne explodierende Kosten ist es für ein Unternehmen fast unmöglich, für all diese potenziellen Marken-Touchpoints ein festes Regelwerk zu entwickeln. Dazu kommt: Interaktionen und Animationen lassen sich nur schwer in gedruckter Form vermitteln, deshalb enthalten Online-Guidelines zunehmend Code-Beispiele, Filme oder interaktive Elemente, die die Verhaltensweisen bestimmter Elemente veranschaulichen und im Idealfall gleich zum Download anbieten.

»Markenportale sollten angstfrei und offen mit dem Thema Corporate Design umgehen und Spaß machen.«

Welche weiteren Gründe führen zum Umdenken?
Durch die Digitalisierung hat sich die Rolle des Designs insgesamt, aber auch die der Designer stark verändert. Sie arbeiten immer öfter direkt im Unternehmen. Sogar Mittelständler haben inzwischen eigene Designabteilungen. Vor allem Mehrmarken-Unternehmen unterhalten übergreifende Designstabsstellen. Im Dschungel der digitalen Touchpoints wird die Authentizität einer Marke zunehmend wichtiger als ihr Erscheinungsbild. Die Verbraucher urteilen eher nach ihrer Serviceerfahrung. Löst ein Unternehmen ein Versprechen nicht ein, hat es bereits verloren. Visuelle Brüche verzeiht der Nutzer dagegen eher.

Was heißt das für den Umgang mit CD-Manuals?
Heute sind Regeln gefragt, die kommunizieren, was genau die Marke, den Markenkern und die Markenwerte ausmacht. Besser wäre sogar, von der Markenbedeutung und der generellen Unternehmenshaltung zu sprechen. Die Arbeit der Designer beschränkt sich nicht mehr darauf, Regelwerke zu schaffen und Gestaltaspekte zu definieren. Sie müssen mehr über »Style Education«, also über die Schulung von Mitarbeitern nachdenken und Content und Formate schaffen, die den Geist eines Unternehmens transportieren.

Aber wie behält man dann die Kontrolle über seine Marke?
Unternehmen müssen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sie nicht mehr für alles Regeln aufstellen können. Klar, manchmal sieht man ganz fürchterliche Sachen – das möchte man gern vermeiden. Dennoch glaube ich, dass man mit weniger Regeln mehr erreicht. Chaos entsteht ja meist, wenn es zu viele Regeln gibt und keiner mehr Lust hat, sich da durchzuarbeiten. Wenige einfache Regeln und ein paar neue Formate würden Wildwuchs vermeiden. Nicht immer die gleiche Leier à la »Screenshot und daneben Text«. Das ist doch total mühsam. Würde man fünf Regeln in einem Video visualisieren, könnte die sich jeder merken und man hätte insgesamt mehr erreicht.

Aber bitte mit ein wenig Spaß!
Klar wird das Ergebnis unbefriedigend, wenn der Marketingleiter die Grundpfeiler der Marke in einem Saal von der Bühne herunterdoziert. Für simyo zum Beispiel haben wir 2014 ein Konzept zur Markeneinführung entwickelt, das Installationen im Gebäude vorsah. Wir haben Leitsätze an die Wände geklebt und eine Ecke eingerichtet, die ein für die Zielgruppe typisches Zimmer nachempfand. Was man sich mit Spaß erarbeitet, bleibt nachhaltiger hängen – das sagen auch die Neurowissenschaften. Man sollte die Nutzung eines Markenportals wie jede andere User Experience behandeln. »Joy of Use« heißt das Ziel.

»Unternehmen müssen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass sie nicht mehr für alles Regeln aufstellen können.«

Wie sollte dann die Usability eines CD-Portals beschaffen sein, damit sich die Nutzer nicht darin verlieren?
Riesige CD-Portale in zumeist international agierenden Unternehmen versuchen jeden Eventualfall abzudecken. Die kosten wirklich viel, viel Geld. Sie arbeiten mit komplexen Anwendungen, in denen Mitarbeiter immer das richtige Template finden und idealerweise über Web-to-Print-Anwendungen die fertigen Medien gleich bestellen können. Gerade wer nur alle paar Monate mal Material benötigt, braucht eine möglichst niedrige Zugangsbarriere und eine leichte Bedienung. Letztlich ist es wie bei einem riesigen E-Commerce-Portal: Man muss die Zielgruppen kennen, Personas und User Journeys entwickeln, Use Cases definieren und dann entscheiden, was die jeweilige Zielgruppe zu sehen bekommt. Da geht es um Personalisierung oder profilbasierte Kundenanpassung. Das finde ich persönlich jedoch relativ unspannend.

Wie ist das Portal der Messe Frankfurt aufgebaut?Ich dachte, die Entwicklung geht weg von riesigen CD-Portalen …
Ja, Unternehmen haben keine Lust mehr darauf, denn sie sind teuer. Die Messe Frankfurt etwa wollte ein ganz schlankes Content-Management-System, das auf WordPress basiert und das die Markenabteilung von einem Ort aus hosten kann. Das Portal ist komplett unabhängig von der hauseigenen IT und vor allem leicht zu pflegen. Der Gedanke dahinter: Die Manual-User sollen selber denken. Denn wegen der vielen Touchpoints und unterschiedlichen Märkte lässt sich Konsistenz über sämtliche Medien und Märkte hinweg nicht mehr erzwingen. Ergo muss man die Leute im Marketing, in den einzelnen Ländern oder auch bei entsprechenden Partnerunternehmen dazu befähigen, zu verstehen, was die Marke ausmacht. Stimmt das Grundverständnis, kann man gar nicht mehr so viel falsch machen.
Die Seite hat eigentlich zwei Gesichter. Es gibt den Guideline-Bereich und rechts einen Balken, der ins Bild fährt, wenn man darauf klickt. Dieser Magazinbereich zeigt dann Best Practices anderer Unternehmen: tolle Messestände, spannende Markenauftritte, also interessante Beispiele aus der Welt rund um Marke und Marketing. Über einen Call-to-Action-Button können User eigene Beispiele einreichen, die dann dort gepostet werden. Die Messe Frankfurt will damit das Nutzererlebnis auf dem Portal verbessern und erreichen, dass man nicht nur dort hingeht, weil man dringend etwas braucht oder nachschlagen muss. Ein CD-Manual zu nutzen, ist ja keine grundsätzlich spaßige Angelegenheit. Man muss Regeln einhalten. Das ist ungefähr so sexy wie Hilfeformulare bei der Steuererklärung. Und plötzlich wartet dort etwas, das Spaß macht und die Sinne anspricht! Im Magazinbereich sowie in den Guidelines haben wir einen Schlagwortbereich eingeführt, in dem man besser suchen kann. Agenturen können sich ohne Freigabeprozess anmelden, denn es stehen keine geheimen Dinge im Portal – was übrigens auch die Kosten für die Absicherung drastisch reduziert hat. Die Bilddatenbank kann man nur mit Authentifizierung nutzen, weil das Material dort rechtlich geschützt ist.

Sollten auch Außendienstmitarbeiter, Partner in Franchise-Unternehmen oder Händler auf das CD-Manual zugreifen dürfen?
Die Zielgruppe für das Markenportal sind Nutzer, die mit Marketing und Design im und für das Unternehmen zu tun haben. Außendienstlern, Franchise-Partnern und Händlern sollte man lieber eine eigene Microsite zur Verfügung stellen – am besten mit einem Erklärfilm über die Markenwerte. Dieser Extranet-Bereich sollte auch juristische Informationen, Produktdaten und Designvorlagen vorhalten. Lässt man den Zugriff auf das Markenportal zu, ist man schnell wieder bei diesen ausufernden Portalen mit äußerst komplexen Rechte-Rollen-Konzepten, die schnell sehr teuer werden. Und bei Pflichtenheften und IT-Planungen, die zwei bis drei Jahre brauchen, bis sie fertig sind.

»Außendienstlern, Franchise-Partnern und Händlern sollte man lieber eine eigene Microsite zur Verfügung stellen – am besten mit einem Erklärfilm über die Markenwerte«

Geht der Trend also zu fragmentierten Lösungen?
Ja, da haben wir einen Paradigmenwechsel. Die Welt, in der wir arbeiten, bevorzugt das Überschaubare. Viele Designer verwenden heute lieber kleine Spezialtools und kombinieren diese dann miteinander. Sie entwerfen etwa in Sketch und bauen den Prototyp in InVision, statt sich mit Adobes Creative Suite abzumühen. Aber die Insellösungen sind heute auch viel flexibler und modularer gebaut und bieten überall Schnittstellen. Sie lassen sich leicht verbinden und schneller etablieren.

Und die Regeln für so ein modernes Markenportal?
Dieselben wie fürs gesamte digitale Business: Es sollte angstfrei und offen mit dem Thema Corporate Design umgehen und Spaß machen. Es sollte schnell Ergebnisse liefern und flexibel, schnell veränderbar und leicht zu aktualisieren sein. Für die Vermittlung der Markenwerte hilft eine klare und starke Leitidee sehr – wie bei Microsoft mit ihrem Metro Design. Man liest in den Guidelines »Leitsystem, urban«, und sofort ist alles klar. Man hat gleich ein Bild im Kopf: Flat Design und Kacheloptik. So hat Microsoft sich als Marke wunderbar erneuert und einen tollen Trend losgetreten. Eine ebenso starke Metapher vermittelt Googles Material Design. Das sind Beispiele, wie man die Haltung hinter einer Marke vermitteln kann. Das Storytelling hinter der Designidee macht die Markenwerte eingängiger, besser erinnerbar und unterhaltsamer.

 

 

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