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Gutes Design ist ästhetisch – stimmt das?

Wir stellen die goldenen Regeln der Gestaltung auf den Prüfstand!

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Foto: Susanne Mölle (www.susannemoelle.de)

Gutes Design ist ästhetisch. Zu diesem Designprinzip sprachen wir mit Jochen Rädeker, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Strichpunkt.

Ist dieses Rams’sche Designprinzip noch gültig?
Jochen Rädeker: Nein, es hat keinen Bestand mehr, jedenfalls nicht, wenn die Ästhetik das Design begründet. Unbenommen ist Ästhetik einer der wesentlichen Fak­toren für Lebensqualität. Dinge, die äs­thetisch gestaltet sind oder per se ästhetisch sind, wirken besser. Studien belegen, dass man einer schönen Frau lieber zuhört, dass schönere Menschen glückli­cher sind, weil sie positiveres Feedback bekommen. Wir umgeben uns lieber mit schö­nen Dingen, das ist so und gilt selbstverständlich auch weiterhin fürs Design. Wenn wir also unser Leben ästhetischer gestalten können, sollten wir das tun, auch als Designer. Es ist aber nicht mehr zwingend ein Gestaltungsprinzip – das würde ich da­her lieber umbenennen in »Richtig ist das neue Schön«.

Könnten Sie uns das bitte erläutern?
Ästhetisches Design ist wirkungsvoll, wird aber konterkariert durch die Bewertung von Design. Wenn die Regel heißt »Gutes Design muss ästhetisch sein«, fühlen sich die meisten Leute, die Design einkaufen, nicht mehr zuständig. Denn die kommen oft aus der Betriebswirtschaft, wo sie gelernt haben, dass sich nur, was messbar ist, auch ma­nagen lässt. Ästhetik ist aber nicht mess­bar. Folge sind die berühmten Kü­chentisch­entscheidungen. Der Manager nimmt die Ent­würfe mit nach Hause und fragt: »Schatz, wie gefällt dir das?« Dann, nach sechs Wochen strategischer Arbeit und logisch-konzeptioneller Herleitung liegt die Entscheidung über Designarbeit bei »Schatzis« Gefallen oder Missfallen. Wenn wir uns als Designer auf die Wirksamkeit von Ästhetik verlassen, machen wir uns zum Spielball von Menschen, die damit eigentlich nichts anfangen können und rein auf geschmäcklerischer Ebene ur­teilen. Deshalb müssen wir unser Design begründbar und messbar machen.

»Manche Dinge sind nicht ästhetisch und wirken gerade deswegen«

Wie kann man Design messbar machen?
Gutes Design ist Folge logischen Denkens und damit messbar. Arbeiten Sie mit Daten! Big Data ist zwar für Gestalter meist ein rotes Tuch, aber natürlich ist es messbar, wo Leute lieber draufklicken. Warum eine Marke, die kühl wirken soll, nicht rosa angestrichen sein darf, kann man farbpsycho­logisch begründen. Eine Marke, die Har­monie ausstrahlen soll, braucht runde und keine zackigen Formen, das lässt sich wahrnehmungspsychologisch messen. Wenn man Design begründbar, messbar und logisch macht, ergibt es sich folgerichtig aus derartigen Überlegungen und ist nicht ein­fach nur schön. Diese Folgerichtigkeit kann geschmäcklerische Argumente ganz leicht aus dem Rennen schlagen. Trotzdem soll­te Design ästhetisch sein, aber ich würde damit nicht mehr argumentieren. Ein gu­ter Designer macht das Design, das für die Aufgabenstellung, das Problem und die Lösung das richtige Design ist und nicht das schönste.

Das heißt, die Ästhetik darf ruhig auf der Strecke bleiben?
Manche Dinge sind nicht ästhetisch und wirken gerade deswegen. Der hässliche Stö­rer »Kauf mich, du Sau« ist für manche Ziel­gruppe, die ausschließlich nach dem Preis schaut, effektiver als das schönste De­sign. Auch als Designer sind wir mit Suchmaschinensichtbarkeit konfrontiert. Google braucht keine Logos, keine Designqualität, nur Algo­rithmen und Big Data. Der Erfolg einer Marke hängt also nicht mehr von Ästhetik, sondern von der Auffindbarkeit ab. Hübsch allein reicht also nicht. Nur wenn Sie zuvor Ihre Designentscheidung logisch und folgerichtig herleiten können, werden Sie auch die Chance bekommen, das schöns­te Design umzusetzen – das ja bekanntlich das wirksamste ist.

 

Jochen Rädeker ist nicht nur Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Strichpunkt, sondern auch Seminar-Referent beim renommierten PAGE-Seminar »Leitmedium Design – Fallbeispiele & Strategien«. Es sind nur noch zwei Plätze frei – hier können Sie sich anmelden.

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In PAGE 10.2016 haben wir neun weitere Designprinzipien beleuchtet und befragten dazu Branchen-Experten. Lesen Sie dazu mehr und bestellen Sie hier:

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Interessanter Beitrag!

    Wenn ich das alles in den BIG DATA-Mess-Folgeausführungen richtig verstanden habe, dann entscheidet die Menge an Klicks, ob das jetzt ein gutes Design war.

    ??

    Abgesehen davon, dass das eine fragwürdiger, aber immerhin diskussionswürdiger Ansatz ist, will ihn mal so stehen lassen – möchte ich dezent darauf hinweisen, dass bis jetzt immer noch zu 90% der Text in der Netzwelt entscheidet, ob geklickt wird.

    Da hat der Autor einfach nicht recht.

    Seine anderen Hinweise, z. B. dass eine Harmonie ausstrahlen sollende Optik nicht unbedingt mit Zacken und Spitzen umgesetzt werden soll, sind leider ein uralter Designer-Hut aus der Rhetorikkiste und mindestens seit den 80ern bei Gestaltungsprofis ab Schriftenmaler aufwärts bei Entwurf und Kundenkontakt in Gebrauch.

    Dennoch useless, bei aller braven Anwendung dieser guten Sache:
    Das Problem ist geblieben!
    Es interessiert die Damen und Herren Auftraggeber einfach immer noch nicht, was wir da begründet erzählen.

    Wie kann das sein?

    Es hält immer noch bis in die höchsten Kreise gepflegte Küchentischentscheidungen nicht davon ab, …

    … bei aller Umsicht und bei aller geschickter, begründeter und empathischer Kommunikation, warum wir das so umgesetzt haben und nicht so, uns trotzig ein “Aber ich will das halt so!” oder ein “Meine Frau mag aber das Grün nicht!” hinzuschmettern.

    Nein, das Problem ist nicht gelöst.

    Es ist nämlich inzwischen kein Problem der mangelnden Begründung des Designers. Begründungen des Designs sind seit den 80ern in Fleisch und Blut übergegangen.

    Der Designer kann dennoch so gut und geschickt begründen, wie er will, um der Geschmäckler-Falle zu entkommen. Er entkommt ihr trotzdem nicht, bei aller Rhetorik. Warum:

    Das Problem liegt inzwischen woanders.

    Es ist ein Unsicherheitsproblem.
    Die immer unzureichendere, ästhetische Schulung des Auges unserer Auftraggeber seit ihrer Grundschule und ihrem Gym.

    Es ist ein Problem der heutigen optischen Disruption: des optisch mit bewussten Stilbrüchen verseuchten Umfelds mit Eyecandy und Gimmicks und Augenbluten draußen und der sterilen, kantigen zeitgenössischen Wohnmode als Antwort darauf drinnen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Der schlechte Geschmack ist endgültig ‘in’ geworden und man pfeift auf psychologische Begründungen von Form und Farbe. ‘Hauptsache anders’ ist wichtiger. Das optische Babylon.

    Und es ist ein Machtproblem bei manchen Auftraggebern dazu. Wie kann man sonst zeigen, dass man der Boss ist, wenn der Herr oder die Frau Designer über-eloquent ständig in allem tatsächlich recht haben … Und auch noch im Anzug mit verschränkten Armen vor einem stehen.

    Und jetzt kommt auch noch BIG DATA daher und will uns erzählen, dass nur ein Design, das geklickt wird, ein gutes Design sein soll.

    NEIN, es ist und war zu 90% der Text, wenn geklickt wird!

    Designer sollten sich im Netz endlich mal mit Text und Inhalten beschäftigen und wie das mit Design verknüpft ist.

    Außer man treibt sich fast nur auf Behance und (P)interest herum.

    Dort mag das stimmen, was woanders im Netz einfach gar nicht stimmt. Der (selbstverständlich gut lesbare, gut aufgemachte Text) hat im Netz zu 90% die Macht. Kein Mensch klickt außerhalb der Gates Behance/Pinterest nur, weil da was Schönes ist. Außer es ist ein süßes Eichhörnchen.

    😉

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