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ADC Sektion Dresden: Interview mit Andreas Schanzenbach

»Auf der Bühne Goldene Nägel in Empfang zu nehmen, steht leider noch unserer Sozialisierung als bescheidene Macher*innen entgegen«

Andreas Schanzenbach

 

Am 8. November, 30 Jahre nach dem Mauerfall, ließen die ADC-Mitglieder die Katze aus dem Sack und wählten Andreas Schanzenbach, Innovation Di­rector und Mitgründer bei der Dresdener Agentur Cromatics, zum Vorstand der neu gegründeten ADC-­Sektion Dresden. Nominiert hatte ihn das Hamburger ADC-Mitglied Sabine Cole, Executive Content Di­rector bei Loved, von der die Initiative zu einer neuen Sektion für Ost- und Mitteldeutschland maß­geb­lich kam. Wir sprachen mit Andreas Schanzenbach über die Kreativszene in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt und darüber, was er sich vom ADC-Netzwerk verspricht.

Warum bist du Mitglied im ADC geworden?
Andreas Schanzenbach: Es gibt zu wenig Austausch zwischen west- und ostdeutschen Kreativen, obwohl Kommunikation doch unser Geschäft ist. Wir – die zwölf Gründungsmitglieder der Sektion Dresden – wollen ein Zeichen setzen und helfen, Skepsis und Vorurteile abzubauen, auch weil Dresden in letzter Zeit so negativ in den Medien auftaucht. Wir wünschen uns, dass wir ein Stück dazu beitragen können, dass noch mehr Menschen den »Osten« für sich ent­decken, und wir so weiter zusammenwachsen. Sicht­barkeit ist ein weiteres, ganz wichtiges Thema für uns, natürlich die gegenseitige Inspiration und im Idealfall daraus resultierende gemeinsame Projek­te. Und wir wollen die Kreativen im Osten motivieren, ihre tollen Arbeiten beim ADC Wettbewerb einzurei­chen. Denn sich auf die Bühne zu stellen und Goldene Nägel in Empfang zu nehmen, steht leider im Moment noch unserer Sozialisierung als bescheide­ne Macher* innen entgegen.

Das musst du erklären. Wie würdest du die kreative Mentalität im Osten beschreiben?
Wir sind als Macher*innen sozialisiert worden. Das heißt: nicht so viel quatschen, sondern einfach machen. Mit dieser Haltung kann man grundsätzlich viel erreichen, viel selbst gestalten, Neues ausprobieren, kostengünstig prototypen. Der Innovations­grad ist also sehr hoch, genau wie die Expertise für die Umsetzung dieser Ideen. Es gibt natürlich auch hier organisatorische Strukturen, etwa mit dem Lan­des­verband der Kultur- und Kreativwirtschaft Sachsen e. V., dennoch ist die Szene insgesamt fragmentier­ter als im Westen. Große Player sowohl unter den Agenturen als auch auf Kundenseite gibt es weniger und im Gegensatz zu der starken Vernetzung untereinander sind branchenübergreifende Formate, Kon­ferenzen und Messen, eher schwach entwickelt. Wir haben keine OMR, keine Dmexco, keine Gamescom.

Was sind die größten Probleme der Agenturen in Ost- und Mitteldeutschland?
Zum einen sind die meisten lokalen Auftraggeber und Entscheider keine Kosmopoliten. Der gesteck­te Projekthorizont ist eher niedrig und – ganz hart gesagt – die Erfahrung, was die Beurteilung von Ideen, Impulsen oder Förderanträgen angeht, ist weit entfernt von der Lebensrealität der Kreativen. Sicherlich auch ein wichtiger Grund, warum wir viele Jahre kaum Kunden und Projekte am Standort Sachsen selbst hatten. Zum anderen hatten wir in der Kreativszene dasselbe Phänomen wie bei Ostprodukten generell. Nach der Wende wollten alle erst mal das Neue ausprobieren. Die Entscheider wollten die kapitalistische Expertise aus erster Hand, sprich aus dem Westen. Inzwischen haben wir das Know-how vor Ort, die hiesigen Agenturen haben erfolgreich für internationale Konzerne gearbeitet und werden nun von großen lokalen Unternehmen gebucht. So etwa Cro­matics von der Landeshauptstadt Dresden, mit der wir zusammen die Strategie und das Konzept für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2020 entwickelt haben.

Habt ihr mit Vorurteilen wie »typisch Ossi« zu kämpfen oder damit, übersehen zu werden?
Das Problem an Vorurteilen ist, dass man sie meist nicht gespiegelt bekommt. Das heißt, niemand sagt zu einem: »Wir haben euch nicht angefragt, weil ihr im Pegida-Dresden sitzt!« Ich denke aber, dass es sol­che Schubladen definitiv noch gibt. Doch das Über­sehenwerden ist schon eher belegbar. Vor allem weil es die Kehrseite der Macher*innen-Medaille ist – näm­lich eben zu machen, statt die Lorbeeren dann auch abzuholen. Wir sind einfach so sozialisiert: Ab­liefern und sich in Bescheidenheit üben.

Wie geht es jetzt bei der neuen Sektion weiter?
Wie werden Stück für Stück wachsen und in unse­rem Gebiet Mitteldeutschland präsent sein, auch mit neuen Formaten wie der ADC-Filmnacht. Hier wollen wir Filme aus der Kreativszene zeigen, wie Gary Hustwits »Helvetica« oder seine Dieter-Rams-Dokumentation, und dazu eine/n passende/n Spea­ker*in aus der Region holen. Ich persönlich freue mich auf viele neue Projekte und bin sicher, dass unsere Machermentalität den ADC bereichern und der Austausch viele neue Impulse hervorbringen wird.

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