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ATYPI 2010 in Dublin

In diesem Jahr war es das Motto »the word«, unter dem sich weltweite Schriftenmacher vom 8. bis 12. September in Dublin trafen. Ein gewaltiges Programm mit über 100 Präsentationen zu allen Facetten der Schrift wartete auf die Teilnehmer. Oliver Linke war vor Ort und hat ein paar Eindrücke für Sie zusammengestellt.

In diesem Jahr war es das Motto »the word«, unter dem sich weltweite Schriftenmacher vom 8. bis 12. September in Dublin trafen. Ein gewaltiges Programm mit über 100 Präsentationen zu allen Facetten der Schrift wartete auf die Teilnehmer. Oliver Linke war vor Ort und hat ein paar Eindrücke für Sie zusammengestellt.

Dublin – Geburtsstadt von James Joyce, Samuel Beckett und Oscar Wilde, um nur einige zu nennen – ist mit dem geschriebenen Wort bestens vertraut. Dass für die diesjährige  ATypI-Konferenz das Motto »the word« gewählt wurde, lag deshalb mehr als nahe. Dennoch taten sich die Organisatoren offenbar schwer, den »literarischen Gebrauch« der Buchstaben in Dublin mit ihrer typografischen Sichtweise zusammen zu bringen, bei der man sich für gewöhnlich auf technische und ästhetische Aspekte der Schrift konzentriert. Die Brücke zwischen Literatur und Type Design zu schlagen, schafften nur sehr wenige Referenten. Schade, so blieb die eigentlich gut gewählte Parole nur ein frommer Wunsch.

Abgesehen von dieser programmatischen Schwäche, hatte die diesjährige Konferenz jedoch wieder jede Menge zu bieten. (Die Betonung liegt auf »Menge«.) Dazu wurde auch die zweitägige »Preface« – eine Art Vorprogramm, das in den vergangenen Jahren überwiegend technischen Themen gewidmet war – stärker integriert. Sie hob sich heuer inhaltlich nicht mehr klar von der Hauptkonferenz ab. Es entstand ein riesiges, 5-tägiges Angebot mit über 100 Präsentationen zu allen möglichen Facetten der Schrift. So gesehen, in der Tat ein typografisches Schlaraffenland, in dem sich die konzeptuelle Schwäche des Programms gut verschmerzen ließ.
Nur hin und wieder hätte ich mir etwas mehr Qualität statt Masse gewünscht. Dass beispielsweise Forschungsprojekte präsentiert werden, obwohl sie gerade erst begonnen wurden, halte ich schlicht für überflüssig.

Bas Jacobs von Underware mit seinem Vortrag »Let’s suffer together«. Foto Kunihiko Okano.

Was den Rahmen der Veranstaltung betrifft, hatten die Macher ein glückliches Händchen: Sowohl das Dublin Castle als Hauptveranstaltungsort, als auch die anderen Orte für Preface, Ausstellungen, Empfänge und die obligatorische Samstags-Party, waren sehr gut gewählt, technisch bestens ausgestattet und boten einwandfreie Voraussetzungen für den regen Austausch untereinander. Auch die Mahlzeiten ließen keine Wünsche offen – kein leichtes Unterfangen bei einer Konferenz dieser Größe.

Aber nun zum eigentlichen Kern der Sache: Die Vorträge liefen in zwei parallelen Strängen; während der Preface zusätzlich durch Workshops begleitet. Einige Schwerpunktthemen ließen sich ausmachen: Verstärkt beschäftigten sich die RednerInnen wieder mit der Lesbarkeit von Schriften. Dabei wurden auch spezielle Bereiche untersucht, wie etwa Maschinenlesbarkeit, Lesbarkeit bei Kindern oder bei Menschen mit Sehschwächen oder Lese-Rechtschreibschwächen.
Einen nahe liegenden Schwerpunkt bildeten eine ganze Reihe von Vorträgen mit irischen Themen: Präsentiert wurden verschiedene Untersuchungen zu historischen und aktuellen Erscheinungsformen der Gälischen Schrift, die zwar auf den lateinischen Lettern fußt, aber für einige Buchstaben spezielle Varianten erfordert.
Hochaktuell wurden auch (wieder) Webfonts gehandelt. Der derzeitige technische Stand und die verschiedenen Sichtweisen von Schriftgestaltern, Herstellern, Vertrieben etc. wurden ausgiebig beleuchtet. Aktueller Hinweis: Interessierten sei zu diesem Thema der Webfontday 2010 am 13. November in München empfohlen.

Hier ein paar kurze Einblicke in einige Highlights der Konferenz.

Den Anfang machte Robert Bringhurst mit der Frage »Who are these people?« – einem Portrait des Berufes “Schriftentwerfer”. Sein Vergleich, dass Schriften wie Flöhe einen Menschen parasitieren, der daraufhin sofort beginnt, für die Reproduktion seines Parasiten zu sorgen, mag unbehaglich klingen, dennoch schienen einige Exemplare dieser Spezies sofort zu verstehen, wovon die Rede war. Bringhurst beleuchtete insbesondere die globale Komponente von Schriften, etwa das Zusammenbringen verschiedener Schriftsysteme wie Griechisch und Kyrillisch. In einem Beispiel zeigte er nordamerikanische Zeichensysteme indianischer Stämme, die – obwohl räumlich so nahe liegend – bisher kaum die Aufmerksamkeit der Schriftenmacher auf sich ziehen konnten.


Foto Nina Stössinger

Der Freitag begann mit einem exzellenten Beitrag von  Paul Stiff über das scheinbar »alltägliche Lesen und Schreiben«. Als einer der wenigen Referenten schaffte er es, die gesellschaftliche Relevanz von Schrift zu thematisieren. Eindrucksvoll unternahm er eine Reise vom südamerikanischen Straßenschreiber, der – wie in Europa vor 500 Jahren üblich – heute offizielle Dokumente für Analphabeten aufsetzt, bis hin zur irischen Verlesung der »Riot Act«, die als geflügeltes Wort so manche Kampfansage symbolisiert. Stiffs These, dass Lesen und Schreiben eine unverzichtbare Grundlage in einer Demokratie darstellen, macht die Schrift zu einem elementaren Bestandteil unserer Gesellschaft.

Einen zentralen Beitrag zur Gälischen Schrift lieferte Mathew Staunton. Wahrscheinlich ist den wenigsten bewusst, dass Irland neben einer eigenen Sprache auch eine eigene Schrift pflegt. Noch unter Queen Elisabeth I. Ende des 16. Jahrhunderts erschien eine erste Drucktype. Paradoxerweise wendete sich dieser »Annäherungsversuch« der englischen Königin an die irische Kultur in den folgenden Jahrhunderten gegen sie. Die irische Schrift wurde mehr und mehr zu einem Statement gegen die englische Kirche und Regierung.

John Kearney: »Aibidil Gaoidheilgh agus Caiticiosma« (Gälisches Alphabet und Kathechismus), 1571

Eine extrem nationalistische Färbung bekam die Schrift schließlich mit der Verwendung durch die Sinn-Féin-Bewegung zu Beginn des 20. Jhd. Später, zwischen 1922 und 37, wurden beispielsweise englische Briefmarken mit irischen Texten überdruckt.


Die Schrift Monotype Series 85 bold face, die zur Überdruckung der Briefmarken verwendet wurde

Doch bereits Ende der 20er Jahre entstand eine Gegenbewegung, die im Zuge einer Europäisierung zur Abschaffung der Schriftform im Schulunterricht führte. Seither fristen die Buchstaben ein »historisches« Dasein, auch wenn sie in den irischen Straßen noch recht häufig zu sehen sind.

Ein visuelles Highlight präsentierte  Marian Bantjes mit ihren »meaningful letters«. Die immer wieder neuen Buchstaben-Kreationen der provokativen Kanadierin begeisterten die Zuhörer sichtlich. Dass dabei eben nicht nur gestalterisches Können sondern zudem ein ausgeprägtes Gespür für intelligente Texte in die Waagschale geworfen wurde, machten die vielen gelungenen Beispiele deutlich. Unbedingt reinschauen: www.bantjes.com.

Ziffern für Men’s Health

Inschrift auf einem Tisch für Droog: »Get up from this table and go make a contribution to Doctors Without Borders. Donate enough that it hurts a little. Then come back to this table and enjoy your meal. Really, really enjoy your meal.«

Soll noch im Oktober erscheinen: Marian Bantjes neuestes Werk »I wonder«

Ein Zeichensystem der ganz anderen Art stellte Emily Luce vor: Der in Amerika verbreitete, geheime »Hobo Code« dient Landstreichern zur Kennzeichnung ihrer Umgebung für Nachfolgende. Da gibt es eingängige Symbole für bissige Hunde, unproblematische Schlafplätze, nette alte Damen, Männer mit Waffen und vieles mehr. Einiges davon könnte bei Ihrer nächsten USA-Reise vielleicht von Nutzen sein…

Hobo Codes für »nette alte Dame«, »Mann mit Waffe«, »Gefängnis«, »Bissiger Hund«, »Reicher Mann (Hut und Goldhaufen)«

Einen echten Schocker lieferte dann noch James Mosley, bekannt für seine sorgfältigen Recherchen zu historischen Schriftformen: Er machte sich an einem der Schlüsseldokumente irischer Geschichte zu schaffen und untersuchte die gedruckte Proklamation der Irischen Republik von 1916 etwas genauer.

Die Feststellung, dass für das scheinbare Originaldokument eine Type verwendet wurde, die erst Jahre später entworfen wurden, dürfte in so manchem irischen Herz für kurzzeitige Aussetzer gesorgt haben. Ausgerechnet die Worte »Irish Republic« waren in der erst 1931 entworfenen Gill Sans ExtraBold gedruckt. War das Dokument also eine Fälschung, die über all die Jahre unbemerkt geblieben war?
Gott sei Dank konnte Mosley schließlich beruhigen, indem er für die offenbar zahlreichen späteren, teilweise stark veränderten Nachdrucke doch noch eine Originalfassung fand. Die ganze Geschichte kann man auf Mosleys Blog nachlesen.

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