Dann wäre da natürlich die maschinelle Fertigung, der Bildungssektor, Film und Fernsehen sowie der noch lange nicht ausgeschöpfte Gaming-Bereich. Außerdem das Ingenieurswesen, der Telekommunikationssektor sowie mögliche Anwendungen in Literatur, Hörspiel und Film – sei es in VR oder in Form fiktiver Sujets, denn so wie Handys und Smartphones erst nach und nach in fiktive Storys einsickerten, werden auch Headsets und anderes VR-Equipment wohl erst allmählich in Film- und Fernsehgeschichten vorkommen.
Als Medientechnik, die sich schon bald in Kultur und Alltagswelt etablieren könnte, tauchte Virtual Reality erstmals in den End-1980er-Jahren im Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit auf. Technikjournalismus und Feuilleton träumten damals vom Cyberspace – und vom Cyborg, dem Mischwesen aus Bioorganismus und Technik, auf das zu werden sich viele, zumindest im feuilletonistischen Diskurs, vorbereiteten – denn im Verbund mit den entsprechenden Kinokassenschlagern ließ sich so schön davon träumen.
Das Konzept dahinter ist weitaus älter. Schon immer ersannen die Menschen Fantasieumgebungen, hatten Jenseitsvorstellungen oder dachten über die Realitätstauglichkeit von Traumbildern nach. Einige Medientheoretiker meinen denn auch, das Höhlengleichnis des Philosophen Platon sei – zumindest dem dort beschriebenen Prinzip nach – das erste Konzept einer VR-Umgebung heutiger Couleur gewesen.
Hardwareseitig – und mehr als 2000 Jahre später – mussten allerdings erst einmal die Gadgets her: Handschuh, Helm, Headset, Sensoren, vielleicht sogar ein Ganzkörperanzug … ganz zu schweigen von der Software und den Inhalten, um derlei Träume in Bilder zu übersetzen, die mehr hergaben als die Schattenbilder aus Platons Höhle. Der Glove von Jaron Lanier, dessen Unternehmen VPL Research 1986 den ersten kommerziellen Datenhandschuh fertigte, befeuerte diesen Traum mit einem markttauglichen Produkt, das allerdings keineswegs als Gaming-Hardware-Gadget im Gespräch war, sondern schlicht als Übungsequipment für Astronauten.
Wer hätte jedenfalls gedacht, dass es noch 30 Jahre dauern würde, bis VR-Inhalte und VR-User annähernd flopresistent zueinander fänden. Inzwischen beschäftigen VR-Gaming-Systeme wie Sonys PlayStation VR, HTC Vive, Vive Pro und Vive Cosmos, Oculus Go, Samsung Gear VR, Lenovo Mirage Solo with Daydream, Oculus Rift sowie VR-Cardboards von Google und Co für kurze und einfache Spiele und 360-Grad-Environments den Massenmarkt.
Mark Zuckerberg, der 2014 Oculus VR aufkaufte, um der sich damals bereits abzeichnenden Trendaufwärtskurve vorzugreifen, prognostizierte schon mal die Ankunft von VR im Mainstream für das Jahr 2024. Und ja: Auch die Bildagenturen bauen schon mal vor – siehe etwa Getty Images mit ihrem umfangreichen Angebot an VR-Stockmaterial.
Auf einen kurzen Nenner gebracht, heißt die Zauberformel in diesem verführerischen Spiel der Trugbilder Immersion durch Abschottung. Durch die rundum abgeschlossene VR-Brille ziehen die VR-Inhalte ihre User ungestört durch visuelle Außenreize in die kreierten Environments hinein.
Auch wenn Begleiterscheinungen wie Motion Sickness natürlich nicht erwünscht sind, sind VR-Anwendungen nicht immer darauf ausgelegt, dem User zu behagen. Oft geht es gerade darum, die Komfortzone zu verlassen und sich zu gruseln, sich schwierigen Aufgaben zu stellen oder um Ängste zu überwinden. So floriert VR nicht nur im Gaming-Bereich, sondern ergänzt auch psychotherapeutische Settings und unterstützt Akteure im Training für schwierige, komplexe oder gefährliche Arbeitskontexte in Medizin, Industrie, Transportwesen et cetera.
Denn Immersion kann Lernprozesse besonders gut triggern, weil sie den User wie mit allen Sinnen adressiert – deshalb sind verbindliche Ethikstandards und Verhaltenskodizes für das Design und die Nutzung von VR-Inhalten unverzichtbar und werden bereits intensiv diskutiert.
So heterogen wie das Feld der Einsatzarten von VR gestalten sich auch die Arbeitsbereiche für Designer, Entwickler oder Agenturen, die sich im Bereich VR profilieren und etablieren möchten. Wer sich auf den VR-Bereich spezialisieren will, braucht – ähnlich wie in der 3D-Spieleentwicklung – fundierte Kenntnisse in wenigstens einem 3D-Animationsprogramm wie 3D Studio Max, Unity, Blender, Cinema 4D, LightWave3D, Maya, SketchUp, Softimage XSI und anderen 3D- oder CAD-Programmen. Doch natürlich stehen auch die Bereiche Ideation, Konzeption und Design vor neuen Aufgaben und Herausforderungen, die bedient und erforscht werden wollen. Hier sortiert sich das Terrain erst und neue Studiengänge gehen an den Start:
Die Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle bietet den Bachelor-Studiengang VR Design an, Digital Design kann man an der Brand Academy Hamburg studieren und Virtual Design an der Hochschule Kaiserslautern (beides bis zum Bachelor). Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg eröffnete unlängst den Masterstudiengang Digital Reality. Auch wenn Studiengänge mit dezidiertem VR-Schwerpunkt noch rar sind, haben in den letzten Jahren viele Designhochschulen VR Labs eingerichtet, um Konzepte, Szenarien, technisches Equipment und VR-Entwicklungsumgebungen zu erkunden – etwa im AR/VR Lab der Hochschule Mainz oder in den VRathons der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.
VR-Initiativen mit starker öffentlicher Sichtbarkeit sind etwa die berlin-brandenburgische Talentinitiative VR NOW Con & Awards des Innovationsforums Virtual Reality Babelsberg der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf oder die VR Experience Days des Animationsinstituts der Filmakademie Baden-Württemberg.
Was wir – technisch und konzeptionell – heute unter VR verstehen und auch ohne eigenes Equipment in VR-Game- oder VR-Experience-Centern, die derzeit überall auf der Welt eröffnen, ausprobieren können, ist zumindest dem Prinzip nach nicht erst seit gestern im Umlauf: Schon 1838 entwickelte der britische Physiker Charles Wheatstone ein stereoskopisches Verfahren, und auch der schottische Physiker David Brewster stellte im Laufe seiner Experimente zur frühen Fotografie eine erste Zweibildkamera 1849 vor.
In neuerer Zeit finden sich VR-Vorläufer in Morton Heiligs VR-Maschine Sensorama (1962) und in Ivan Sutherlands Damoklesschwert (1968), streng genommen – wenn auch zu schwer, um es auf dem Kopf zu tragen – das erste Head-Mounted Display. Nicht zu vergessen die Aspen Movie Map (1978/79), eine frühe Vorläuferin von Google Street View.
Doch nennen wir hier nur einige Leuchtturmbeispiele aus einer langen Reihe von Prototypen und zur Marktreife gelangter Gadgets, die weit vor dem Eintritt von VR in die Massentauglichkeit die Gemüter erregten – nicht nur im konkreten Leben, sondern auch als literarisches Sujet, etwa in Pygmalions Brille aus der gleichnamigen Science-Fiction-Erzählung von Stanley G. Wienbaum (1935), oder in dem Film »Welt am Draht« von Rainer Werner Fassbinder.
Bleibt noch zu erwähnen, dass der Begriff Virtual Reality 1982 zum ersten Mal in einem Roman auftauchte: Damien Broderick soll ihn in seinem Zeitreiseroman »The Judas Mandala« geprägt haben.
Unlängst arbeiten Start-ups und etablierte Hard- und Softwareunternehmen an holografischen Displays, die virtuelle 3D-Inhalte ohne VR-Equipment im Raum sichtbar machen – 2018 etwa das Kickstarter-Projekt The Looking Glass, ein Holografie-Display für 3D-Designer und -Entwickler, ebenso wie Hypervsn aus London mit seinen holografischen Videowalls für Showrooms und Lightshows für den Ausstellungs-, Retail- und Eventbereich. Der in L.A. ansässige Renderingsoftware-Hersteller OTOY kündigte 2018 sogar an, in Kooperation mit dem 2017 gegründeten Start-up Light Field Lab, dem Sci-Fi-Content-Produzenten Roddenberry Entertainment (»Raumschiff Enterprise«, »Star Trek« et al.) und dem New Yorker Entrepreneur-Netzwerk Endeavor einen holografischen Monitor zu entwickeln, der ganze Holodecks à la »Star Trek« möglich macht. Zudem arbeite man bereits an berührbaren (!) holografischen Inhalten …
Virtual, Augmented, Mixed – welche Realität darf’s denn sein? Bei PAGE finden Sie Cases, News und Trendgeschichten zu allen drei Reality-Varianten.
Mehr über die sich neu entwickelnde Gestaltungssparte Virtual Reality Design erfahren Sie hier.
Das PAGE-Connect-eDossier »Das macht ein VR Designer bei der Interactive Media Foundation und bei Demodern« klärt auf über das Berufsbild des Virtual Reality Designers.
Im PAGE eDossier »VR für alle! So rüsten Agenturen auf für Virtual Reality« berichten wir von den VRathons der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.
Und Rapid Prototyping Tools für VR-Anwendungen stellen wir hier und in PAGE 04.2018 vor.
Plus diesem interessanten Case zum Thema VR für Volkswagen.