Interview-Reihe über Indie-Mags und ihre Macher:innen: Heute Maike Suhr und Freia Kuper von »Hinterland. Magazine for Rural Realities«, das sich ländlichem Leben jenseits von Klischees und Grenzen widmet.
In PAGE 2.2021 zeigen wir die aktuell spannendsten Independent Magazine, erzählen wie sie entstehen und von ihren Machern:innen. Hier die Interviews mit ihnen.
Heute mit Maike Suhr und Freia Kuper, die gemeinsam mit Hanna Döring das Magazin Hinterlands herausbringen und wissen, von was sie berichten. Vom Landleben, das sie selbst aus ihrer Kindheit und Jugend kennen und das sie abseits von Stereotypen, von europäischen Grenzen und Romantisierungen zeigen.
Wie ist Hinterlands entstanden?
Maike Suhr: Eigentlich kommen wir alle aus verschiedenen Richtungen. Freia ist Wissenschaftsforscherin, Hanna ist Filmwissenschaftlerin und ich promoviere gerade an Bauhaus-Uni Weimar zu Diversität und Gleichstellung bei journalistischen Neugründungen. Hinterlands aber haben wir als Freundinnen gestartet, weil es uns am Herzen liegt, einen anderen Blick auf ländliche Räume zu ermöglichen.
Freia Kuper: Denn ländliche Räume werden immer wieder sehr stereotyp dargestellt, eher abwertend, als zurückgeblieben und auch als Orte, an denen viel Rechts gewählt wird. Oder aber es gibt diese romantische Vorstellung vom Landleben, die jetzt gerade auch wieder viele Leute dorthin zieht. Wir finden, dass beide Vorstellungen die Vielfalt ländlicher Räume nicht abbilden und das sagen wir aus eigener Erfahrung, denn wir sind alle im dörflichen Raum aufgewachsen. Und da wir mehr Sichtbarkeit für ländliche Räume in all ihrer Vielfalt schaffen wollen, ist Hinterlands entstanden.
Ihr kennt euch seit eurer Kindheit?
Maike: Freia und ich kommen aus demselben Dorf nahe Oldenburg und sind schon zusammen zur Schule gegangen. Genauso wie unserer Grafikdesigner Till Hormann, der heute als Buchgestalter in Amsterdam lebt. Hanna kommt aus Ratzeburg.
Wie habt ihr die Magazin-Idee schließlich entwickelt?
Maike: Wir wussten von Anfang an, dass uns Print und das gedruckte Wort interessiert und schnell wurde uns auch klar, dass wir nicht nur die deutschen Dörfer spannend finden und es dabei durchaus eine Lücke zu schließen gibt. Nämlich eine transnationale Sicht auf Dörfer eröffnen und die Vielfalt ländlichen Lebens jenseits europäischer Grenzen zu zeigen, die Unterschiede und Parallelen.
Wir habt ihr Themen und Autorinnen und Autoren dafür gefunden?
Freia: Wir haben einen Open Call gemacht, der über verschiedenste Kanäle lief. Wir haben alle unsere Kontakte genutzt, hier und ins europäisches Ausland, Newsletter, Netzwerke und die Plattformen anderer Magazine. Wichtig war uns, einfach auszuprobieren wie das läuft, einfach zu machen.
Maike: Gleichzeitig hatten wir vorher schon das vage Gefühl, dass es Narrative aus ganz unterschiedlichen Regionen gibt, die sich ganz von selbst vernetzen. Und das hat sich auch gleich mehrfach eingelöst. Zum Beispiel mit einem Beitrag über blaue Schürzenkleider im rumänischen Ribnovo und einem anderen über ein Modelabel aus Südtirol, das den blauen Schurz aus der Landarbeit redesignt.
Freia: Wir waren sehr positiv überrascht von den Einsendungen und zudem relativ offen, was die Formate angeht, die von klassischem Journalismus und Essays zu Fotostrecken reichen. Die Texte, die jetzt in der ersten Ausgabe zu finden sind, haben wir schließlich gemeinsam bei einem Treffen auf einem Bauernhof in Brandenburg ausgewählt.
Color-Coding mit leuchtender Farbe
Die erste Ausgabe von Hinterlands ist in Blau erschienen. Was ist euer Gestaltungskonzept?
Maike: Pro Ausgabe wird es eine Farbe geben. Zu Beginn ist es Blau, Europablau quasi, das sich wie ein assoziativer Faden durch die Beiträge zieht, mal offensichtlicher und mal versteckter eine Rolle spielt. Das reicht von dem Blau, das die Inseln umspült zu den blauen Schürzen oder dem Nachdenken über Gender-Ungleichheit auf dem Land, wo Blau eher als männliche Farbe definiert wird.
Freia: Wir haben Till, unserem Grafikdesigner, ziemlich freie Hand gelassen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu entfalten. Till hat das Innenleben und den Umschlag entworfen. Das Coverfoto stammt von Maike, das Farbkonzept war unsere Idee. Für die verschiedenen Ausgaben wollten wir nicht verbal ein jeweiliges Thema festlegen, sondern eine Farbe nutzen, um so assoziativer zu arbeiten und übliche Ordnungsregeln zu überschreiten.
Warum wolltet ihr unbedingt ein Printmagazin machen?
Maike: Weil wir in den Buchhandlungen und Magazinläden auch physischen Raum einnehmen wollen, um eher stereotypen Magazinen wie Landlust und Co etwas entgegenzusetzen.
Und wie wichtig ist das Digitale?
Maike: Für die Verbreitung ist Instagram natürlich sehr wichtig. Gleichzeitig haben wir dadurch auch viele Andere kennengelernt, die sich mit ähnlichen Themen wie wir beschäftigen: Kultur- und Sozialprojekte von Menschen, die aufs Land gezogen sind, zum Beispiel. Und das alles Europaweit und auch darüber hinaus.
Was hat euch am allermeisten am Magazin machen gefallen?
Maike: Der Überraschungsmoment, der durch den offenen Call entstand. Es war sehr spannend zu sehen, dass überhaupt Einsendungen gekommen sind und dann noch, was für welche.
Freia: Mir hat die Arbeit mit den Texten und Bildern sehr viel Spaß gemacht. Am tollsten aber war die Freiheit, alles ausprobieren zu können. Wir hatten 50 Einreichungen, haben 17 Beiträge ausgewählt und schließlich 700 Exemplare gedruckt. Und wir sind sehr gespannt auf den nächsten Call, da uns schon so viele angesprochen haben, die gerne dabei sein möchten.
Auf Blau folgt Orange
Was sind eure Vorgaben?
Maike: Dass das Thema Land sein muss und nicht urbaner Raum. Gleichzeitig sind wir aber auch am Saum der Städte interessiert, an dem Übergang zum Land, wo das Leben auch schon anders ist. Darüber hinaus haben wir die Farbe vorgegeben, erst Blau und für die nächste Ausgabe ist es Orange.
Freia: Da wir keine Reiseberichte und auch keinen Blick von Außen haben möchten, ist uns zudem wichtig, dass die Schreibenden eine Verbindung zur Region haben, dort leben oder gelebt haben.
Habt ihr noch weitere Pläne?
Freia: Neben dem Magazin selbst würden wir gerne noch andere Formate ausprobieren. Zum Beispiel in Kooperation mit Initiativen vor Ort Schreibworkshops für Jugendliche auf den Land anbieten, hier und auch im Rest Europas. Es wäre schön, mehr interaktive Formate auf dem Land zu planen, um unserem Anspruch, die Geschichten von dort in die Städte zu holen, noch umfangreicher gerecht zu werden
Hinterlands. Magazin for Rural Realities Location Berlin; Founded 2020; 110 Seiten, 13 Euro; https://hinterlands.eu