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Was haben Transparenz und die Panama Papers mit Design zu tun?

Erlers Thema: Alle vier Wochen finden in Hamburg die Creative Mornings statt. Das Oktobermotto war »Transparenz« und zu Gast »SZ«-Journalist Ralf Wiegand, der über die Panama Papers berichtete.

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Foto: Mitja Schneehage

Transparenz. Zentraler Grundwert offener Ge­sellschaften. Archaisch betrachtet jedoch eher das Letzte, was der Mensch braucht, um Jagdgrün­de, Feuer und Höhlen vor Feinden zu verste­cken. Transparent sollen vor allem die anderen sein. Das Dilemma ist also: alles wissen, aber nichts preisgeben wollen. Wie geht das zusammen?

Der Rückzug ins Verborgene fiel mir erstmals vor zehn Jahren bei einer Reise nach New York auf. Und zwar durch Design. Das schicke Hotel, in dem alle wohnen wollten, war eine düs­tere Höh­le, die winzigen Zimmer schwarz ge­stri­chen. In Deutsch­land war alles Hippe noch hell, durchscheinend und weitläufig. Die gläser­ne Ar­chitektur machte Büros zu Puppenhäusern, und Mitarbeiter noma­disierten ohne festen Platz durch die lichten Groß­räume der Start-ups. Mitt­lerweile ist die Dunkelwelle auch über Deutsc­h­land geschwappt. Das Transparente, Glat­te exis­tiert zwar noch, neben­an jedoch hat sich etwas breitgemacht, was als Rückzug ins Private, Undurchschaubare zu deuten ist. Denn Transparenz bietet kaum Schutz. So geriet sie als Idealbild einer modernen Welt an ihre Grenzen. Und oft wirkt die Umkehrung rückwärtsgewandt oder gar reaktionär.

»Transparenz bietet kaum Schutz. Deshalb gerät sie als Idealbild einer modernen Welt an ihre Grenzen.«

Ralf Wiegands Vortrag über die Panama Papers ist spannend wie ein Krimi und Transparenz im besten Sinne. Die hochprofessionellen Enthüllungen des ICIJ, des größten internationalen Verbunds investigativer Journalisten aller Zei­ten, über eine panamesische Geldwäschekanz­lei wecken Hoffnungen. Das aufgearbeitete Datenvolu­men ist mit 2,6 Terabyte 1500 mal so groß wie die Dokumente, die WikiLeaks 2010 beim Cablegate veröffentlichte. Auf meine Frage, ob das Auf­de­cken solcher Schweinereien nicht aber auch allen in die Karten spiele, die »denen da oben« populis­tisch am Zeug flicken wollen, reagierte Ralf Wiegand verständnislos, und ich kann das verste­hen. Muss man die Schnauze halten, nur weil es den Fal­schen helfen könnte? Natürlich nicht. Aber was ist eigentlich mit den eigenen Schmuddel­ecken? Den falschen Bewirtungsbelegen und ermogelten Krankschreibungen? Mit den Flunke­rei­en und Not­lügen, die Vorteile oder Zeit ver­schaf­fen? Wo setzt Transparenz an? Und wo liegen die Grenzen zwischen Wirhierunten und Diedaoben?

Wer US-Präsident werden will, wird im Wahlkampf durchleuchtet wie kein anderer Mensch auf diesem Planeten, denn Politik ist die Königsdisziplin in Transparenz (in Dave Eggers’ Roman »The Circle« trägt die Politikerin Olivia Santos be­reits eine 24h-Kamera um den Hals). Für Donald Trump verhieß das nichts Gutes. Kaum jemand glaubte, dass er all die Lügen und Sauerei­en, die stündlich ans Licht kamen, überstehen würde. Nun ist Trump Präsident. Und es stellt sich die Frage, ob ihn seine Wähler auch deshalb wollten, weil sie der grellen Transparenz und Political Correctness schlicht überdrüssig waren. Trump wäre dann so etwas wie der Messias der Intransparenz und öffnete einer Gegenbewegung Tür und Tor, die das Anonyme, Verschleierte und häu­fig zutiefst Egoistische feiert. Fiese Vorstellung. Aber auch Reaktion.

Schlussgedanke: Als die Panama Papers am 3. April 2016 in meiner Timeline auf Facebook aufpoppten, glaubte ich erst an einen Netflix-Tea­s­er, so fiktiv wirkten Name, Logo und die Illustrationen zum Launch. Das Problem war ja, dass es keine Beweisbilder gab. Dies zeigt, wie sehr Fotos und Videos zum Beleg angebli­cher Wahrheiten geworden sind – was natürlich Quatsch ist. Umgekehrt wirken Serien wie »Homeland« oder »House of Cards« so realistisch, dass man deren Scoops ständig in den Nachrichten vermutet. Realität und Fiktion verschwimmen. Das Unwirkliche wirkt authentischer, investigativer und transparenter als die Wirklichkeit selbst. Noch so ein Grenzgang.

Ralf Wiegand und sein Team haben alles rich­tig gemacht. Aber bedingungslose Transparenz bleibt schwieriges Terrain.

PS: Video kucken! Ist ein Stück Zeitgeschichte!

 

Erler
Foto: Enver Hirsch

Johannes Erler ist Partner des Designbüros ErlerSkibbeTönsmann, das die Creative Mornings im Hamburger designxport veranstaltet, und Mitbegründer des Designkollektivs Süpergrüp. Zu den anderen Beiträgen aus »Erlers Thema« geht es hier.

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