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The Future of Design: Thesen von Jochen Rädeker

Schönheit ist verzichtbar, KI nimmt uns Arbeit ab, China besteigt den Design-Thron: Jochen Rädeker hat acht streitbare Thesen zur Zukunft des Designs im neuen Jahrzehnt formuliert. Die erste These lautet: »Richtig ist das neue Schön« – und Stefan Sagmeister kontert.

Jochen Rädeker
Jochen Rädeker, Foto: Deborah Frey / Sophia Hummler / Pia Thalmann / Sophia Eisenbeiser / Larissa Streule

Der Designberuf ist von jeher volatil. Nicht nur die Tools, mit denen wir arbeiten, ändern sich ständig und wachsen exponentiell, auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstände fordern uns ständig heraus, die Rolle des Designs neu zu definieren – und ja, auch zu verteidigen. Zum Start ins neue Jahrzehnt wollten wir einen Blick in die Kristallkugel werfen: Was erwartet professionelle Designer in den 2020er Jahren? Wie verändern sich die Arbeitsbedingungen in Zeiten von Automatisierung und künstlicher Intelligenz? Wie verdienen wir in Zukunft unseren Lebensunterhalt?

Wie gerufen kam daher der Vorschlag von Jochen Rädeker, seine Gedanken zur Zukunft des Designs zur Diskussion zu stellen. Und so formulierte der Gründer der erfolgreichen Designagentur Strichpunkt für uns acht Thesen – bewusst zugespitzt und provokant. Weitere Thesen wird es demnächst in einem Buch zu lesen geben, an dem Rädeker derzeit arbeitet. Um direkt in die Debatte zu starten, haben wir zu jeder seiner Positionen auch gleich einen (oder zwei) Konter eingeholt. Man beachte: Jeder Autor bekam nur jeweils eine These vorgelegt mit der Einladung, darauf zu reagieren.

Darum geht’s in Teil 1 der Design-Debatte:

Acht Design-Thesen zum Mitdiskutieren

Die Ergebnisse sind mal angriffslustig, mal differenzierend, mal weiterdenkend – und immer spannend. In PAGE 3.20 – die Sie hier erwerben können – finden Sie alle acht Thesen samt Konter. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und natürlich beim Mitdiskutieren! Auf PAGE Online veröffentlichen wir alle Thesen nach und nach und freuen uns auf regen Austausch – denn »Streit ist der Treibstoff des Fortschritts«, wie die »ZEIT« zum Start ihres »Streit«-Ressorts formulierte.

In diesem Sinne: Streiten Sie schön!

PDF-Download: PAGE 03.2020

Debatte: The Future of Design ++ Visual Trend: Cultural Cross-over ++ Für Kunden im Nahen Osten arbeiten ++ Top-Schriften für UI Design und Coding ++ Kundenbindung durch Erlebnisse: Innovationsprojekt für adidas ++ CD/CI: Vom PDF-Bericht zum kompletten Branding ++ EXTRA: Top 50: PAGE Ranking 2020

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THESE 1: Richtig ist das neue Schön

In den 2020ern wird alles gestaltet: Körper und Kulturen, Interfaces und Interaktionen, Strategien, Systeme und Services. Denn die Wirtschaft hat endlich erkannt: Bei zunehmend austauschbaren Produkten und Dienstleistungen, die alle auf denselben ausgereiften Technologien beruhen, liegt der Schlüssel zum Erfolg in benutzerfreundlichem Design und angewandter Kreativität. Sie sind der Extrakick, der den Unterschied macht – und gleichzeitig der Basisprozess bei der Entwicklung. Wir Designer wussten das schon immer, leider hat aber niemand zugehört. Ganz offiziell belegt das die Studie »The Business Value of Design«, die McKinsey Ende 2018 veröffentlichte. Wohlweislich hat der Konzern – wie andere Consultingriesen auch – einen eigenen Designableger gegründet, um davon zu profitieren.

Der Trend zur Schönheit – zur gleichen Zeit von Sagmeister & Walsh als große Wiederentdeckung gefeiert – wirkt daneben wie ein kleines Strohfeuer für Szenegänger. Denn: Keiner bezahlt dafür. Für alle, die zufällig kein Superstar sind und Kunden statt Museen bespielen, gilt: Nur was messbar ist, lässt sich auch managen. Design gehört zum Erfolgsbaukasten der Unternehmensführung – und wirkt nachhaltig. Schönheit ist und bleibt dagegen ein weitgehend individuelles, zerbrechliches Gut.

Deshalb wird Design in Zukunft mehr strategische Denkweise, wirtschaftliche Problemlösung und Businessmodell sein als primär ästhetisches Gestaltungs- oder Unterhaltungsmittel. Entsprechend werden Kreativwettbewerbe wie die von ADC oder Red Dot (und andere erst recht) in ihrer bisherigen Ausrichtung keine Rolle mehr spielen, weil kreative Lösungen viel direkter am Unternehmenserfolg ablesbar sind – dafür werden sie schließlich auch beauftragt. Für unverbesserliche Ästheten bleibt die Erkenntnis: Wie schön, dass Schönheit nachweislich wirkt, weil wir intuitiv Schönes mit Gutem gleichsetzen.
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KONTER: Es lebe die Schönheit!

Ich bin froh für alles, was in irgendeiner Weise zur Verbreitung der Idee von Schönheit als Ziel unter Firmen führen kann. Ich hoffe, dass Jochen Rädeker recht behält und die McKinsey-Studie »The Business Value of Design« viel, viel erfolgreicher wird als unsere Ausstellung, unser Buch und meine Vorträge zur Schönheit! Da die »Beauty«-Ausstellung in den ersten beiden Städten eine viertel Million Besucher anzog – es gibt erstaunlich viele Szenegänger in Wien und Frankfurt – und 600 Artikel darüber geschrieben wurden, wird die McKinsey-Studie eine wahre Lawine an Schönheit lostreten, rechtzeitig zur Präsentation unserer Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.

Wir selbst sind durch Erfahrung in unserem Studio darauf gekommen, dass immer, wenn wir die Form sehr ernst nehmen und viel Liebe in die Schönheit stecken, die resultierende Arbeit viel besser funktioniert. Wir haben dies in der Zwischenzeit auch bei vielen anderen Beispielen festgestellt: Denken Sie nur an die funktionalen Wohnblöcke aus den 1970er Jahren, die in den 1990ern schon wieder gesprengt werden mussten, weil niemand darinnen wohnen wollte. Sie hätten viel besser funktioniert, wenn Schönheit bei der Planung ein Teil des Ziels gewesen wäre. Die Leute hätten sich in ihnen wohler gefühlt – eine wichtige Funktion im Wohnbau –, und die Gebäude wären langlebiger gewesen.

Stefan Sagmeister ist österreichischer Grafikdesigner und Typograf. Bis Mitte 2019 führte er mit Jessica Walsh das Designstudio Sagmeister & Walsh in New York. Ihre gemeinsam kuratierte Ausstellung »Beauty« ist gerade im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen (bis 26. April).

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Und was meinen Sie?

Bitte diskutieren Sie mit! Nutzen Sie dafür einfach die Kommentarfunktion unter dem Artikel. Und bleiben Sie dran: Jede Woche veröffentlichen wir eine neue These von Jochen Rädeker samt Konter.

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Schönheit liegt nicht nur im Auge des Betrachters. Schönheit ist ein objektiver, absoluter Wert. Ohne Schönheit wird es keine wirklich gute Werbung geben. Dinge, die richtig gut funktionieren, wie etwa ein gutes Werbekonzept, sehen immer auch schön aus. Damit ist der Unternehmenserfolg des Auftraggebers automatisch gesichert. Auch ohne zählen von Klicks und Likes.

  2. Ich habe den Eindruck, die Beiden liegen gar nicht soweit auseinander. Es geht um das gleiche Ziel: Wirkung. Die Argumentation trägt nur jeweils ein anderes Kleid.

  3. Auf Grundlage unscharfer Begriffe autoritär zu argumentieren ist nicht hilfreich.

    Die Verwendung des unscharfen Begriffs der Schönheit ist dennoch berechtigt. Denn er bildet den semantischen Raum für die Reflexion künstlerischer und wissenschaftlicher Tätigkeit. Allerdings muss man bereit sein und sich die Mühe machen diesen Raum zu betreten und als Denkraum zu benutzen.

    „Nur was messbar ist, lässt sich auch managen“ als Ersatz für die Schönheit?

    Der britische Mathematiker G.H.Hardy sagt dazu bereits 1940: „Schönheit ist der erste Test; für eine hässliche Mathematik gibt es auf der Welt keinen dauerhaften Platz“. Oder der Nobelpreisträger Paul Dirac: „Es ist wichtiger, dass sich Schönheit in den Gleichungen findet, als dass sie zum Experiment passen.“ Wahrheit und Schönheit, Wissenschaft und Kunst können kombiniert werden. Die Verbindung beider Bereiche ist anspruchsvoll, aber vielversprechend. Denn der Mensch kann genau hier eine einzigartige kreative Rolle spielen. Ansonsten machte er sich klein, als Befehlsempfänger einer höheren KI-Instanz. Daten zu managen, also zu verwalten alleine, reicht nicht aus.

  4. „Schönheit“ ist im Prinzip alles und nichts, für jede/n anders (oder wie war das mit dem Auge des Betrachters?) und allein deshalb als Designfaktor unbrauchbar.

    Interessant wird es, wenn man sich im Begriffsumfeld von „Schönheit“ mal umschaut und den Begriff „Ästhetik“ genauer betrachtet. Der stammt vom altgriechischen „aisthetós“, das „empfinden, wahrnehmen“ bedeutet. Das deutsche Wort „Sinn“ stammt aus dem lateinischen „sentire“ und bedeutet auch „empfinden, wahrnehmen“.

    Daraus kann man schließen, dass ästhetisch ist, was Sinn ergibt. Zeichnet „Sinn“ (Hallo Buzzword: Purpose!) zu vermitteln nicht schon immer gutes Design aus? Egal ob für Produkte und Medien, „Körper und Kulturen, Interfaces und Interaktionen, Strategien, Systeme und Services“. –

  5. Wie so oft ist es gar nicht die Entweder/Oder-Frage, sondern vielmehr die Einheit oder das gekonnte Zuspiel beider Faktoren, die ein Produkt oder eine Dienstleistung über die Erwartungslinie hebt und damit erfolgreicher macht. Der kleine Unterschied hängt nicht zuletzt auch von der Haltung des Auftraggebers ab. Ästhetik als Mehrwert oder Differenzierungsfaktor? Jobs als prominentestes Beispiel, empfand eine Ästhetik als unabdingbar für den Joy of Use seiner Gerätschaften und UI’s. Selbstverständlich unter Einhaltung sämtlicher Funktionalitäten. Und Loewy’s Postulat der sich schlecht verkaufenden Hässlichkeit blies in ein ähnliches Horn. Der Annahme, daß Schönheit im Auge des Betrachters liegt kann ich zustimmen und füge hinzu, daß sie von vielen gefühlt aber nicht immer verstanden wird. Möglicherweise sind das auch nur Ansichten eines Szenegängers.

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