Wie beurteilt man Design? In unserer neuen Kolumne übt Gestalter Johannes Erler den Dreisprung: »Hirn« meint die nüchterne, rationale Betrachtung. »Hand« untersucht die handwerkliche Qualität. »Herz« steht für den emotionalen, persönlichen Eindruck. Zum Auftakt nimmt er das Lufthansa-Redesign unter die Lupe.
Es ist die Flosse. In der neu gestalteten Heckflosse der Lufthansa-Flieger kumulierte jüngst die lautstarke Diskussion um das Redesign der Airline: Die einen beweinten das verlorene Gelb, die anderen bejubelten die tiefblaue Konsequenz. Zeitweise hatte es etwas von einer nationalen Angelegenheit. Ist da was dran? Ist das Erscheinungsbild der Lufthansa mehr als Form und Farbe? Vielleicht sogar Indikator eines gesellschaftlichen Zustands? Ich denke schon. Aber der Reihe nach.
Hirn.
Zum 100. Geburtstag Identität und Design zu schärfen ist eine gute Idee. Wer das in Planung, Umsetzung und Dokumentation so gut hinkriegt wie die Lufthansa, kann stolz sein.
Denn das neue Corporate Design ist eine perfekt geölte Designmaschine, clever konzipiert, grundiert mit einer deutlich erkennbaren Haltung und verwirklicht auf höchstem Niveau.
»Wir wollen das neue Premium-Gefühl widerspiegeln«, sagt Alexander Schlaubitz, Vice President Marketing der Lufthansa, und meint das sehr ernst. Premium ist: vorne. Für das Wort »premium« gibt es grammatikalisch keine Steigerung. Und Premium als Fluglinie kann nur bedeuten: Business statt Economy. Teuer statt günstig. Nicht mehr Volksflieger der Deutschen, sondern globale Airline der ökonomischen Elite. Das neue Erscheinungsbild spiegelt dies in jeder Facette.
Hand.
Premium ist ein schmaler Grat, den zu gehen Mut und maximal konsequentes Handeln verlangt. Man gerät dabei an Grenzen und manchmal darüber hinaus. Drei handwerkliche Beispiele, wie das Lufthansa-Corporate-Design Gestaltungsspielräume ausreizt – und dabei einmal danebenliegt.
Das Logo: Offenere Zwischenräume und die straffere Körperhaltung zeichnen den Kranich scharf wie ein Wurfmesser. Eines der besten Logos der Welt ist jetzt auch eines der kühlsten.
Die Schrift: Verglichen mit der neuen Lufthansa-Type wirkt die olle Helvetica des alten Corporate Designs wie ein warmes Dampfbad. Diese technische Kälte hält die Schrift bis in die hintersten Glyphen durch. Vor allem die kräftigen Schnitte zeigen Könnerschaft, auch wenn das Ergebnis weniger markant ist, als die Lufthansa behauptet.
Die Farbe: Die Idee, das tiefste Blau der Welt zu entwickeln und als einzigen Ton auf die Heckflos
se zu sprühen, war falsch, denn von Weitem und im Dunklen ist der filigrane Kranich schwer zu erkennen, und das Nachtblau wirkt wie Schwarz – was den gelben Punkt rehabilitiert, der nicht nur freundlicher, sondern als Fokus noch in höchsten Höhen erkennbar war. Auch die angekündigte Nachbesserung des Blautons wird das nicht kompensieren.
Herz.
Am Ende ist es also die Flosse. Nicht nur, weil sie handwerklich schwierig ist, sondern vor allem, weil sie das Narrativ einer Fluggesellschaft symbolisiert. Sie steht für alles, was die Lufthansa sein will. Otl Aicher, begnadeter Handwerker und wortgewaltiger Großmeister des Narrativs im Design, wusste dies, als er 1962 den Kranich in die Sonne fliegen ließ und damit nicht einfach nur ein Logo schuf, sondern das einende Symbol für die Sehnsucht einer jungen Nation, die wieder in die Welt wollte. Der deutsche Traum vom sicheren Fliegen, programmatisch verwirklicht in einem einzigen, genialen Piktogramm.
Das ist jetzt weg.
Sicherheit strahlt das neue Corporate Design noch immer aus, aber die Sehnsucht ist verschwunden und auch die Warmherzigkeit, die zu den formulierten Lufthansa-Kernwerten gehört, aber in der Flosse nicht erkennbar ist.
Die Lufthansa will nicht mehr einen. Sie koppelt sich über das Design ab von denen, die es sich nicht leisten können. »Markenarbeit ist die Sichtbarmachung innerer Haltung«, sagt Peter Martin von Martin et Karczinski. Und das neue Narrativ heißt: Premium als effizient cooler Upperclass Club. Das passt in die Zeit.
Es war ein weiter Weg vom euphorischen Aufbruch in die Welt der Sechziger bis zum Premium-Land mit Heimatministerium heute. Das Lufthansa-Erscheinungsbild spannt diesen historischen Bogen auf bemerkenswerte Weise. Werde ich deshalb sentimental? Nicht wirklich. Ich ziehe mich nur ein bisschen wärmer an.
Johannes Erler ist Partner des Designbüros EST ErlerSkibbeTönsmann in Hamburg, Mitglied im Art Directors Club Deutschland, Juror in zahlreichen Designjurys, Autor von Büchern über Design und Moderator der Designkonferenz TYPO Berlin | © Foto: Robert Grischek
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… und wer sich ein eigenes Bild machen möchte:
am 15.6. stellen Peter Martin (Martin et Karczinski) zusammen mit Ronald Wild (Lufthansa) bei der CXI-Konferenz (www.cxi-konferenz.org) das neue Lufthansa-Redesign sowie den Entstehungsprozess vor.
Gut formuliert Johannes Erler. Deckt sich in großen Teilen mit meiner Meinung (siehe http://bit.ly/2GAEArg).
Meiner Meinung nach hätte man das Re-design auch schon früher ansetzen können. Lufthansa ist eine etablierte Fluggesellschaft und hat sich auf der ganzen Welt einen Namen gemacht. Daher finde ich das Re-design sehr sinnvoll um sich auch von den Tochtergesellschaften abzuheben und dem neuen Image auch das passende Design zu verpassen. Ich finde https://www.yolo-reisen.de/ zieht mit seinem Image und Design eine klare Linie. Es wird eine bestimmte Zielgruppe angesprochen und das gut. Es wird auf die Wünsche der Zielgruppe eingegangen und exotische Reisen wie eine China Rundreise wird angeboten.
Super Kommentar. Danke. Bringt’s total auf den Punkt. Freue mich auf weitere Analysen.