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Design abschaffen? Neuer Teil der Siebert-Kolumne

Unser Kolumnist Jürgen Siebert verteidigt das Design gegen seine Kritiker/Abschaffer.

Jürgen siebert, Sieberts Fundstücke
© Foto: Norman Posselt

Anfang Januar ging ein Raunen durch die Kreativszene, als die Feuilletonredaktion der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« forderte: »Schafft das Design ab!« So die Überschrift eines Beitrags von Niklas Maak, der sich zunehmend von Design genervt fühlt und die These aufstellt, dass die Gestaltung von Städten, Autos und Software vor allem dafür eingesetzt werde, Überwachung und Freiheitseinschränkung zu verschleiern. Starker Tobak: ein linksautonomer Angriff aus dem Hause »FAZ« und dann auch noch auf das grundanständige Designhandwerk.

Der Autor hat zwei Gründe für den miserablen Zustand des aktuellen Mainstream-Designs ausgemacht: »die alte Angst vor Langeweile – und, das ist neu, den Versuch, zu verschleiern, in welchem Maße Dinge und Städte gerade zu Überwachungsapparaturen umgestaltet werden«. War die Angst vor Langeweile jemals ein Antrieb für Designer? Okay, die »FAZ« zitiert Philippe Starck, der aber streng genommen kein Designer ist, sondern ein Vertreter der Aufmerksamkeitsindustrie, und die Gestaltung ist sein Spielball. Starcks Zitruspresse schert sich einen feuchten Kehricht um die Funktion, weil er sie als eitles Schaustück für Angeber entworfen hat – jenseits des klassischen Designethos.

Immerhin kommt der Autor einem echten Designdilemma sehr nahe, wenn er beobachtet, dass man »den alten Dingen eine möglichst ›interessante‹ Form verpassen muss«, weil es an Produktinnovation mangelt: dem beliebigen, oberflächlichen, verschleiernden Design als Folge der Ratlosigkeit von Auftragge­bern. »Warum hat ein Auto vorn keine runden Scheinwerfer mehr, sondern hochkomplexe pulsierende Leuchtgurken?«, fragt Maak und führt systemimmanente Gründe an, denn riesige Spezialabteilungen müssten ihre Existenz rechtfertigen. Würde man das Bewährte beibehalten und einfach nur dem Kundenwunsch nach einem guten Auto folgen, »das von jemandem mit Gefühl für Pro­portionen entworfen wurde«, so Maak, »könne man sämtliche Marktforscher und Lampendesigner feuern«.

Design ist eine Dienstleistung. Wenn also etwas schlecht gestaltet ist, könnte das auch am Auftraggeber liegen. Zwar gibt es selbstbewusste Unternehmen, Gründer oder Geschäftsführer, die genau wissen, wie sie ihre Produkte besser und die Kunden glücklich machen, aber eben auch Firmenleitungen, die keine Ahnung haben, wohin ihre Reise gehen könnte. Entweder kopieren sie einfach einen innovativen Wettbewerber oder sie beschäf­tigen Heerscharen von Marktforschern, die ihnen das Blaue vom Himmel zusammenfantasieren. Aus Hirngespinsten entstehen dann Studien oder Prototypen, die man veröffentlicht, um aus den Reaktionen der Kunden finale Produkte zu entwickeln.

Und damit sind wir beim Kontra’schen Gesetz, das der anony­me Designpublizist Kontra 2008 auf seinem Blog counternotions veröffentlichte (seine Website befindet sich aktuell im chroni­schen Baustellenzustand, man muss die Wayback Machine des Internet Archive zurate ziehen): »Die Innovationskraft eines Un­ternehmens ist umgekehrt proportional zu seinem Bedürfnis, Produktstudien öffentlich vorzustellen.« Warum muss ich jetzt sofort an die deutsche Automobilindustrie denken? Man wirft ihr vor, dass sie die Zeichen der Zeit nicht erkennt, weil sie ihr tra­ditionelles Businessmodell bis zum Exitus ausweidet. Ich hoffe nicht, dass es so weit kommt.

Design kann man nicht abschaffen, denn auch ohne Designer werden Produkte eine Form haben und Drucksachen eine Gestaltung, aber eine schlechte.

Fazit: Es gibt kein schlechtes Design, aber jede Menge schlechte Designbriefings. Sie entstehen immer dann, wenn Unternehmen ihren Stiefel weitermachen, sei es aus Unsicherheit, Unvermögen oder weil sie von kurzfristigen Gewinnzielen angetrieben werden. Design kann man auch nicht abschaffen, denn auch ohne Desig­ner werden Produkte eine Form haben und Drucksachen eine Ge­staltung, aber eine schlechte. Oder wie Paul Watzla­wick es formu­liert hat: »Man kann nicht nicht kommunizieren.«

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. “Entweder kopieren sie einfach einen innovativen Wettbewerber oder sie beschäf­tigen Heerscharen von Marktforschern, die ihnen das Blaue vom Himmel zusammenfantasieren.”

    Dieser Satz spricht mir aus der Seele. Viel zu oft habe ich dies in großen oder kleinen Agenturen mitbekommen: Ratlosigkeit auf Kundenseite von PMs, die Posten besetzen, wo sie eigentlich gar nicht hingehören. “Wir brauchen freshe Ideen”, so der Tenor. Haben aber – im unternehmerischen Bereich – selber keine, weil sie die Angst des CFOs im Nacken verspüren.

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