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»Ich bin wie ein Sportkommentator«

Wie funktioniert Designkritik im Netz? Wir sprachen mit Gestalter Armin Vit, der den Blog »Brand New« betreibt.

Screenshot der »Brand New«-Homepage vom 14. März 2018

Der Gestalter Armin Vit betreibt gemeinsam mit seiner Frau Bryony Gomez-Palacio das Designstudio Underconsideration in Bloomington, Indiana, sowie diverse Blogs über Design, unter anderem Brand New, wo er seine Meinung zu aktuellen Corporate Designs und Branding-Projekten abgibt. Wir fragten ihn nach seiner Motivation und dem Stand von Designkritik heute.

Warum braucht es Ihrer Meinung nach Designkritik?
Armin Vit: Wie jede andere Form von Kritik – sei es Film-, Kunst- oder Restaurantkritik – ist es eine Möglichkeit, Arbeiten auf vernünftige Weise zu beurteilen, die auf Erfahrung, Wissen und Verständnis des Kritikers beruht. Es geht darum zu verstehen, warum etwas gut, schlecht oder inkonsequent ist – und darum, die Angemessenheit einer Arbeit innerhalb ihres Kontextes zu hinterfragen. Dadurch kommt man möglicherweise einer Definition näher, was gutes und was schlechtes Design sind. »Möglicherweise«, weil Designkritik irrelevant sein kann, wenn sie ein Design als schlecht beurteilt, das aber die Ziele des Auftraggebers erfüllt.

Es geht darum zu verstehen, warum etwas gut, schlecht oder inkonsequent ist – und darum, die Angemessenheit einer Arbeit innerhalb ihres Kontextes zu hinterfragen

Was ist Ihre Motivation hinter Brand New?
Hauptsächlich, dass ich mir WIRKLICH gerne Logos und Corporate Identitys angucke. Sobald ich ein neues Projekt sehe, fange ich gleich an es zu beurteilen – warum es funktioniert oder nicht. Brand New bietet mir die Möglichkeit, diesen internen Monolog und meine Meinungen zu teilen. Ich sehe mich aber nicht als Designkritiker im akademischen Sinne, da ich nicht vorhabe, unsere Profession intellektuell voranzutreiben. Ich sehe mich eher in der Position eines Sportkommentators: Ich beschreibe, was ich sehe, und streue nebenbei meine Meinung dazu ein.

Was sind allgemeingültige Kriterien – oder sollte man jedes Projekt individuell beurteilen?
Es gibt einige universelle Designelemente, die ich für eine Bewertung nutzen kann. Grafisch: Balance, Farbe, Kontrast. Nicht grafisch: Kontext, Markt, Wettbewerb. Aber letztlich muss jedes Projekt individuell beurteilt werden, weil jeder Kunde anders ist und andere Ziele hat.

Wie viel Hintergrundwissen brauchen Sie für eine Kritik?
Nicht viel. Was den Kunden angeht, informiere ich mich über dessen Historie auf seiner Website oder bei Wikipedia. Was das Designkonzept angeht, lese ich alles, was ich in Pressemitteilungen oder auf der Website des Designers dazu finden kann. Letztlich muss ich nur wissen, wer der Auftraggeber ist und was der Hauptgrund für ein Redesign ist – etwa neue Zielgruppen ansprechen, einen Wandel signalisieren oder den Verkauf steigern. Davon ausgehend kann ich meine Kritik formulieren. An dieser Stelle nochmal: Da ich KEIN professioneller Designkritiker bin, recherchiere ich nicht umfassend.

Ich versuche, so viel Abstand wie möglich zu halten – aber das ist nun mal nicht immer möglich

Trübt zu viel Hintergrundwissen über ein Projekt oder Nähe zum ausführenden Designer manchmal Ihre Bewertung?
Ich wünschte, es wäre nicht so, aber letztlich geht es um persönliche Meinungen und ich bin ein Mensch mit Gefühlen, Vorurteilen und Loyalitäten – also ja. Ich versuche, so viel Abstand wie möglich zu halten – aber das ist nun mal nicht immer möglich. Das ist aber okay, denn letztlich ist Brand New ein persönlicher Blog. Es gibt kein Autorenteam, das einem redaktionellen Code folgt. Es gibt nur mich, der aufschreibt, was immer ihm durch den Kopf geht. Ich versuche dabei möglichst unparteiisch und objektiv zu sein – aber mit einem Hauch Subjektivität, denn sonst würde ich nur Fakten ausspucken und das macht keinen Spaß.

Haben Sie manchmal Angst, jemanden zu verärgern?
Ständig! Aber eigentlich habe ich mehr Angst, die Gefühle anderer zu verletzen. Ich weiß, wie persönlich Design ist – also weiß ich auch, dass ich mit einer negativen Kritik einen Designer irgendwo verletze. Egal, ob ich Recht oder Unrecht habe, niemand hört es gerne, wenn sein Design runtergemacht wird. Aber Leute wirklich verärgern – das würde nur passieren, wenn das Design ECHT schlecht ist. Und in dem Fall sollten sie sich ärgern und es beim nächsten Mal besser machen!

Welche Rolle spielt Designkritik an Universitäten und Schulen in den USA?
Das weiß ich nicht genau. Aber meiner Meinung nach sollte es eine große Rolle spielen, denn es ist wichtig, Designern beizubringen, kritisch über ihre Arbeit nachzudenken und die Fähigkeit zur Selbstkritik auszubilden.

Wie üben Sie in Ihrem Studio intern Kritik?
Wir sind ein sehr kleines Studio – nur meine Frau und ich. Unser Prozess ist sehr einfach: Wir schauen uns die Arbeit des anderen an, sagen ja oder nein und einen Satz zur Begründung, wie »Es fühlt sich zu 1990er an« – und wissen beide, ob das gut oder schlecht ist. Im Gespräch mit Auftraggebern kommunizieren wir einfach und ehrlich, ohne Fachjargon.

Manche Leute sind echte Idioten in ihren Kommentaren – besonders dann, wenn sie passiv-aggressive Beleidigungen an den Designer oder andere Kommentatoren schreiben

Wie ist Ihre Erfahrung mit Kommentaren auf Brand New: Sind sie eher fundiert oder machen sie Arbeiten eher schlecht?
Beides. Es gibt eine Handvoll regelmäßiger Kommentatoren, die ernsthaft zur Debatte beitragen und Zeit investieren, um ihre Meinung auf fundierte Weise zu teilen. Der Großteil der Kommentare besteht aber aus schnellen Reaktionen, die teilweise krass oder sinnlos sind. Aber hey: Es sind Meinungen, und nur weil es keine tiefschürfenden Essays sind, heißt das nicht, dass man sie komplett ignorieren sollte. Wie oft haben Sie (oder Sie, lieber Leser) nicht schon ein Logo gesehen und dachten: »Mann, ist das Scheiße«? Für diese Reaktion gewinnen Sie vielleicht keinen Pulitzerpreis für Nachdenklichkeit und Präzision, aber das schmälert nicht die Rechtmäßigkeit Ihres Eindrucks, der genauso gültig ist wie alles andere. Dennoch, manche Leute sind echte Idioten in ihren Kommentaren – besonders dann, wenn sie passiv-aggressive Beleidigungen an den Designer oder andere Kommentatoren schreiben. Das ist niemals cool – aber es passiert.

Wie, glauben Sie, wird sich Designkritik in Zukunft entwickeln?
Designkritik lässt seit den frühen 2000ern stark nach. Die Designdisziplin ist sehr erfolgreich geworden und entscheidend für viele Unternehmen. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute denken, dass es Designkritik nicht (mehr) braucht. Nach dem Motto: »Wir haben es geschafft! Wir sitzen mit am Vorstandstisch! Und jetzt wollt ihr alles kaputt machen, indem ihr zu viel darüber nachdenkt, was wir tun? Nein, danke!« Sarkasmus beiseite: Ich denke, es könnte ruhig mehr bedachte Designkritik geben, um uns auf Trab zu halten. Aber das gibt es derzeit nicht und das wird sich meiner Meinung nach so bald auch nicht ändern.

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