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Von Kreativwochenenden, Reportings und Jokern

Wir sprachen mit Florian Grimm, Kreativchef bei GGH Lowe, über Nachwuchsmangel in der Kreativbranche, seine persönliche Lernkurve und darüber, was plötzliches Wachstum für eine kleine Agentur bedeutet.

Florian Grimm

Florian Grimm arbeitete knapp zehn Jahre bei Springer & Jacoby, leitete dort zuletzt eine eigene Unit. 2003 strich er die Segel und wurde zwei Jahre später Mitgründer von Grimm Gallun Holtappels. 2014 schloss sich die Agentur dem internationalen Network Lowe an – nachdem sie sich mit dem Gewinn großer Kunden um das Doppelte vergrößert hatte. Kürzlich eröffnete GGH Lowe einen zweiten Standort in Frankfurt (neben dem Hauptquartier in Hamburg).

Wir sprachen mit Florian Grimm darüber, warum es auch hochdekorierte Agenturen mit gutem Ruf schwer haben, Talente für sich zu gewinnen und wie sich deshalb die Branche ändern muss. Außerdem plaudert er aus dem Nähkästchen seiner eigener Vergangenheit …

PAGE: Euer Wachstum nimmt kein Ende. Bald bezieht ihr eine weitere Etage hier in Hamburg und vor kurzem habt ihr ein Büro in Frankfurt gegründet, um näher bei eurem Kunden Seat zu sein. Fehlen euch noch kreative Talente?
Florian Grimm: Ja, so einige! Das ist doof, denn wir haben echt gute Jobs zu vergeben.

Woran liegt das deiner Meinung nach?
Ich bin durchaus selbstkritisch, aber hier stehe ich vor einem Rätsel. Unsere Agentur hat kreativ einen guten Stand und gilt als sympathischer Arbeitgeber. Trotzdem rennen uns die Bewerber nicht die Bude ein. Ich glaube, es hat viel mit Sicherheitsdenken zu tun. Neulich hat uns ein Kandidat kurzfristig abgesagt, weil er eine neue Wohnung sucht und nicht sicher ist, ob er mit einem Probezeit-Vertrag eine bekommt.

Außerdem schielen viele Kandidaten gleich auf einen Creative-Director-Posten. Ich möchte aber keine Titel vergeben, nur damit derjenige ein gutes Gefühl hat. Das führt zu einer Titel-Inflation und macht diese obsolet.

Und wie sieht es mit dem Nachwuchs aus, der von der Hochschule kommt? Du bist zum Beispiel Coach bei der FSG in Hamburg.

Die Offenheit für Kritik und Verbesserungs-vorschläge hat bei jungen Leuten nachgelassen

In letzter Zeit habe ich beobachtet, dass die Offenheit für Kritik und Verbesserungsvorschläge bei jungen Leuten nachgelassen hat. Viele Studierende wollen nicht hören, dass sie lieber noch drei Runden mehr drehen sollten bei ihrer Bachelorarbeit, damit sie auf einer klaren, guten Idee arbeiten können. Die wollen fertig werden. Die Kunst ist aber, in diesem Schmerz zu bleiben und lieber eine Woche länger an der Basis zu schrauben, bis man wirklich einen tollen Kern hat.

Das sehe ich auch oft bei Bewerbern. Wenn ich es für sinnvoll halte, mache ich mir die Mühe und gebe Feedback, sage, wo es hakt oder was ich nicht so gut finde. Darauf kommen dann schon mal Antworten, wie: »Na Herr Grimm, heute schlecht gefickt?«

Wow. Das größere Selbstbewusstsein bei den Bewerbern hat auch dazu geführt, dass die Arbeitsbedingungen in Agenturen immer mehr kritisiert werden. Du bist schon eine Weile dabei: Haben sich die Bedingungen wirklich verbessert im Gegensatz zu den 80er/90er Jahren, wie viele Agenturen behaupten?
Tatsächlich waren wir früher naiver und devoter und haben mehr ausgehalten, als das heute der Fall ist. Die Jobs haben sich aber stark verändert. Früher konnte man sich mit drei Teams zwei Wochen lang auf eine Printkampagne konzentrieren – was der Kunde bezahlt hat! Heute ist alles viel komplexer geworden und muss gleichzeitig schneller gehen. Weniger als früher wird jedenfalls nicht gearbeitet. Das wird sich in dieser Branche auch nicht groß ändern. Trotzdem MUSS sich etwas ändern – sonst kommt irgendwann keiner mehr nach.

Aber was denn?

Man kann sich nicht grenzenlos auf den Goodwill der Leute verlassen

Es gibt viele Überlegungen. Zum Beispiel, einen täglichen Arbeitsstopp um 20 Uhr einzuführen, denn man kann sich nicht grenzenlos auf den Goodwill der Leute verlassen. Vor allem, wenn nicht jeder Job mappentauglich ist. Ein bezahlter Überstunden-Ausgleich ist meistens nicht so einfach umzusetzen. Leider lassen das Geschäftsmodell und die Beschaffenheit der Verträge hier wenig Spielraum. Deshalb gibt es in Agenturen oft andere Goodies, zum Beispiel eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio wie früher bei Springer & Jacoby. Man muss gucken, was den Leuten wichtig ist und wie man ihnen eine Kompensation bieten kann.

Was habt ihr denn in petto?
Wir sind derzeit dabei, neue Modelle zu entwerfen und alte zu hinterfragen. Vor vielen Jahren haben wir den Joker erfunden, den ein Mitarbeiter einmal im Jahr einlösen kann. Sei es für einen zusätzlichen Urlaubstag oder ein Darlehen, weil einem gerade das Fahrrad geklaut wurde und man schnell ein neues kaufen muss. Der Joker bietet die Flexibilität, auf individuelle Wünsche einzugehen. Das Modell steht allerdings auf dem Prüfstand, weil es in den letzten Jahren etwas eingeschlafen ist.

Hat sich die Agenturkultur mit dem Wachstum verändert?
Sie ist schon ein bisschen erschüttert worden. Das bleibt nicht aus, wenn sich bei einer gemütlichen und überschaubaren kleinen Agentur plötzlich die Mitarbeiterschaft verdoppelt. Wir versuchen, das über ein paar Quick Fixes aufzufangen. So bekommt jeder, der neu anfängt, im besten Fall von Benedikt, Nils und mir zusammen eine persönliche Vorstellung der Agentur am ersten Tag. Wir erzählen, wie wir zusammen gefunden haben, wie wir ticken, was uns wichtig ist, stellen unsere sieben selbstgemachten Regeln vor usw. Nach dem Gespräch kennen wir diejenigen gleich ein bisschen besser und können sie zumindest mit Namen grüßen. Das sorgt schon mal für ein bisschen Nähe.

Eure »sieben selbstgemachten Regeln«?

Nicht jeder Job ist geil, aber man kann jedem etwas Positives abgewinnen

Sie sind ein Resultat unserer Überlegungen, wie wir sein und arbeiten wollen. Die Regeln hängen als Artworks hier in der Agentur. Zum Beispiel »Ideen brauchen Mut« oder »Redet miteinander«. Ich hasse diese Ping-Pong-Mailerei. Es bringt immer mehr, direkt mit jemandem zu reden – oder zumindest zu telefonieren. »Ruf deine Mama an« gehört auch dazu: Wir wollen Arbeiten machen, von denen man seiner Mutter gern erzählt. Oder »Mach dir selbst mit Freude eine Freude«: Nicht jeder Job ist geil, aber man kann jedem etwas Positives abgewinnen.

Gerade das Tagesgeschäft ist ja oft nicht so prickelnd.
Ja, es ist leider oft kleinteilig und macht nicht immer Spaß. Es ist unglaublich schwer, heutzutage eine große Kampagne auf Award-Level zu machen. Da muss ich den Hut vor Heimat ziehen, die regelmäßig so tolle Arbeit für Hornbach machen können. Die Kunden sichern sich viel mehr ab als früher. Der Gestaltungskorridor wird dadurch immer enger.
Läuft die Idee in der Marktforschung nicht gut, wird sie nicht umgesetzt. Punkt. Je mehr eine Idee polarisiert – und das tun schlagkräftige Ideen oftmals –, desto größer ist das Risiko, dass sie den Test nicht überlebt. Versemmelt ein Marketing-Manager deshalb ein paar Millionen Euro Werbebudget, wird er gefeuert. Kein Wunder, dass er sich lieber absichert. Floppt die Kampagne trotzdem, kann er sich immerhin auf positive Mafo-Ergebnisse berufen.

Viele Agenturen machen zum Ausgleich Goldideen.

Wir halten nichts von der Goldideen-Parallelwelt

Das gibt es bei uns nicht, weil wir nichts von dieser Parallelwelt halten. Zudem führt es unserer kostbarstes Gut ad absurdum, wenn wir es quasi verramschen und Kunden es nicht wertschätzen. Trotzdem wollen und müssen wir unseren Leuten inhaltlich spannende Aufgaben bieten. Deshalb haben wir ein Kreativ-Wochenende eingeführt, das zwei Mal im Jahr stattfindet. Da fahren wir freitagnachmittags los irgendwohin in die Pampa und arbeiten an Themen, die wir vorher mit unseren Kunden abgesprochen haben, die aber keinen Raum im Tagesgeschäft haben. Wir arbeiten also initiativ und gehen in Vorleistung – bis zu dem Punkt, an dem wir eine Idee haben, die der Kunde umsetzen möchte. Uns war wichtig, dass wir nicht frei rumspinnen, sondern an Projekten arbeiten, die eine Chance auf Umsetzung haben und vom Kunden wertgeschätzt, gebraucht und am Ende bezahlt werden.

Wurde schon eine Idee aus dem Workshop umgesetzt?
Mehrere Ideen wurden erfolgreich präsentiert und finden gerade ihren Weg in die Projektierung. Ein großes Projekt ist derzeit in der Vorbereitung. Sieht gut aus. (Klopft auf Holz.)

Und wie kam die Sache bei den Teilnehmern an?
Für unsere Mitarbeiter war es eine tolle Gelegenheit zu zeigen, was sie drauf haben und sehr fokussiert auf Idee und Konzeption zu arbeiten, was für einige noch Neuland war. Es sind jetzt schon viele Ideen so weit gereift, dass sie für die Kreativen eine Bereicherung für ihre Mappe und somit auch für ihren Marktwert sind.

Mal zu deinem persönlichen Werdegang. Von Springer & Jacoby bis zum Zusammenschluss von Grimm Gallun Holtappels und Lowe: Was treibt dich an?
Meine Entscheidungsgrundlage war nie Geld, sondern ausschließlich meine persönliche Lernkurve. Das ist auch heute noch so. Ich nehme lieber neue Herausforderungen an, um dazu zu lernen, als mich auf Erfolg auszuruhen. Sobald die Lernkurve abflacht, werde ich unruhig. Das war bei Springer & Jacoby am Ende der Fall.

Wie kam es dann zu Grimm Gallun Holtappels?
Nils, Benedikt und ich kennen uns seit 1986, noch aus der Schulzeit. Als ich 1994 zu Springer & Jacoby gegangen bin, haben die beiden ihre eigene Agentur gegründet. Ich war immer ein bisschen neidisch auf deren Selbstständigkeit– obwohl sie auch ein paar harte Jahre hatten. Mein erster Gedanke war deshalb, bei ihnen nachzuhaken, ob sie nicht noch jemanden brauchen. Und so bin ich 2003 bei den Jungs gelandet – noch ganz unverbindlich.

Für die ersten drei Monate in der Agentur habe ich eine Bass-Gitarre bekommen

Die beiden arbeiteten damals noch sehr hemdsärmelig. Sie hatten ja keine Schule in so einer generalstabsmäßigen Kaderschmiede durchgemacht. Anfangs hatte ich nicht mal einen Arbeitsvertrag. Für die ersten drei Monate, in denen ich nur zwei bis drei Tage in der Agentur war, habe ich eine Bass-Gitarre bekommen. Erst nach den drei Jahren habe ich ein festes Gehalt bekommen.

So um 2009 herum waren wir genau die Agentur, die wir immer sein wollten: In den Rankings vorne mit dabei – komplett ohne Goldideen, 30 Mitarbeiter, eine eigene Kneipe. Dann zeichnete sich aber die Frage ab: What’s next? Wachstum per se war nie unser Ziel. Aber wir haben gemerkt, dass wir größer werden müssen, um uns weiterzuentwickeln. Wir wollten vor allem inhaltlich wachsen, d.h. größere Marken, mehr Sichtbarkeit, gute Referenzen. Daran haben wir uns zuerst die Zähne ausgebissen. Trotz gutem Ruf in der Branche und guter Presse wurden wir nicht zu den großen Pitches eingeladen.

Und dann kam Lowe?
Zu der Zeit haben immer mal wieder Networks bei uns angeklopft und wir haben uns angehört, was die zu sagen hatten. Aber am Ende war es dann doch keine Option für uns. Bis Lowe kam. Die verstehen sich als Anti-Network, mehr als ein Verbund aus inhabergeführten Boutique-Agenturen. Das hat uns sehr gut gefallen. Außerdem hat uns Lowe viel Vertrauen entgegengebracht, so dass wir die Partnerschaft unverbindlich testen konnten. Sie haben uns mit Projekten versorgt und in Pitches eingebracht, ohne dass wir irgendetwas unterschrieben hätten. So entstand zum Beispiel der Kontakt zu E.ON – und daraus ein gewonnener Pitch. Irgendwann haben wir dann genickt und gesagt: Das klappt, wir sind dabei. Das habe ich bis heute nicht bereut.

Was hat sich mit dem Anschluss an ein Network verändert?
Natürlich müssen wir jetzt Reportings machen, was ja oft verteufelt wird. Ich finde es aber super, endlich faktische Grundlagen zu haben und einen Finanzchef, der einem bei Entscheidungen hilft. Außerdem macht internationales Arbeiten großen Spaß. Ich bin drei Mal im Jahr im Lowe Creative Council, bei dem sich die Kreativchefs aller Partneragenturen treffen. Das ist sehr konstruktiv, freundschaftlich, unpolitisch und leidenschaftlich. Auch unsere Mitarbeiter haben durch das Netzerk die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten – zum Beispiel in so genannten Hot Houses auf der ganzen Welt. Damit punkten wir beim Recruiting. Wir können jetzt zum Beispiel einen Werksstudent für 3 Monate zu Lowe Profero nach New York schicken.

Alles, was schwierig ist und uns vor einige Herausforderungen stellt, ist vor allem durch das schnelle Wachstum bedingt. Aber die räumliche Enge entspannt sich ja bald und wir feilen an Konzepten, um unsere Stellensuche erfolgreicher zu gestalten. Ich sehe auf jeden Fall wieder Licht.

Bisher konnte ich noch kein Haar in der Networksuppe finden.

Deine Lernkurve ist also noch steil genug?
Allerdings. Mir macht das Ganze immer noch total viel Spaß. Das Creative Council ist für mich eine echte Bereicherung. Der internationale und interkulturelle Austausch bringt noch mal ganz neue Perspektiven auf die eigenen Arbeiten. Bisher konnte ich noch kein Haar in der Networksuppe finden.


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