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»KI wird uns die nächsten Jahre durch ein wirkliches Tal schicken«

Auf der Config 2024 trafen wir Lettering Artist Jessica Hische, die von ihren Brandings, von ihrem Prozess und dem Glück des Flows erzählte – und davon, wie KI die Branche verändern wird. Sie diskutiert oft darüber, vor allem mit ihrem Mann, der bei Meta das KI-Team führt.  

Schnell, temperamentvoll und sehr bestimmt, führte Lettering Artist Jesscia Hische auf der Config 2024 durch ihr Lettering, durch ihre Brandings, Re-Branding und Refreshes, und zeigte, warum Details so wichtig und Schriften so aufregend sind

Anschließend haben wir sie zum Gespräch getroffen, das schnell vom Lettering zur KI führte.

Wie landet man als Lettering Artist auf der Tech-Konferenz Config?
Jessica Hische: Indem man eingeladen wird. (lacht) Und es macht sehr viel Spaß, hier zu sein. Als ich noch in New York lebte, habe ich mal einen Artikel geschrieben der hieß: »Warum du mich nicht als Web-Designer engagieren solltest«. Ich habe zu der Zeit mein eigenes Web-Design gemacht, aber es damit verglichen, sich ein Tattoo von jemanden machen zu lassen, der sich gerade eine Tattoo-Pistole auf Amazon bestellt hat. Natürlich kann man sich von irgend jemandem ein Tattoo stechen lassen, aber das beste bekommt man natürlich, wenn man zu einem wirklichen Profi geht. Die Web-Designer haben das geliebt und ich wurde seither als Sprecherin zu jeder Menge Web-Konferenzen eingeladen, ich mache das schon ewig.

Natürlich ist es auch etwas verkürzt, dich einfach eine Lettering-Künstlerin zu nennen, denn du gestaltest Bücher und Filmtitel, entwickelst Logos, Rebrandings und Brand-Refreshes, schreibst Bücher und hast jetzt auch zwei Geschäfte eröffnet.

Natürlich bin ich vor allem Lettering Artist. Aber wie jeder Mensch bin ich natürlich sehr vielseitig. Wenn man jemanden kennenlernt, der zum Beispiel Baseballspieler ist, dann ist er natürlich auch so viel mehr als diese Berufsbezeichnung. Aber sie ist, das wofür er bekannt ist und wofür die Leute zu ihm kommen. Deswegen mag ich es, dass die Leute mich hauptsächlich als Lettering-Artist wahrnehmen. Denn das ist die Arbeit, die ich machen möchte.

Gleichzeitig hast du seit kurzer Zeit gleich zwei Geschäfte auf der anderen Seite der San Francisco Bay, in Oakland.
Einen Laden zu eröffnen war etwas, das ich schon immer wollte. Schließlich bin ich ein bisschen ein shopaholic. Andere gehen in Museum, aber wenn ich reise, gehe ich immer in Boutiquen, um eine Idee von dem Land zu bekommen. Ich möchte sehen, was die Leute jeweils herstellen. Natürlich nur in Läden, die nicht so gleichförmig kuratiert sind, sondern in die coolen und interessanten, in denen ich Dinge sehe, die ich vorher noch nicht kannte.

Aber dann eröffnet man doch nicht gleich seinen eigenen Laden.
Nein, nein, das war ein Prozess. Als ich in New York gelebt habe, hatte ich ein Atelier mit ein paar anderen Illustratoren in der sogenannten Pencil Factory. Schon damals dachte ich mir: Leute, wir sollten uns zusammentun und einen Laden eröffnen, in dem wir unsere Sachen verkaufen. Wir haben es nicht gemacht, aber als ich nach San Francisco gezogen bin, hatte ich diesen Traum noch immer im Kopf. Ich bin ein taktiler Mensch und finde es toll, Dinge anfassen zu können. Als Kind trieb ich meine Eltern damit in den Wahnsinn, dass ich im Einkaufszentrum jedes Kleidungsstück begrapscht habe.
Und als ich dann nach Oakland gezogen bin, dachte ich mir, es jetzt endlich so weit einen eigenen Laden zu eröffnen. Es ist nur 15 Minuten mit der U-Bahn von San Francisco entfernt – und ich liebe Oakland und die East Bay. Nach New York hatte ich das Gefühl, wieder angekommen zu sein. Ich liebe die Vielfalt hier, alles ist so gemischt, das Hässliche trifft auf das Schöne, auf unterschiedlichste Architektur, Epochen und Menschen.

Was verkaufst du in deinem Store?
Hübsche und nützliche, alltägliche Dinge. Es gibt eine Menge Schreibwaren und Sachen, die ich eher als Produkte für das eigene Studio bezeichnen würde und dazu meine Drucke und Artworks. Und in meinem zweiten Laden, der eher durch Zufall dazu kam, geht es vor allem um Kinder.

In ihrem Config-Talk machte Jessica Hische klar, dass ein Schriftzug gut ist, wenn man ihn auch verschwommen erkennt

Dass du genug Energie hast, das alles zu stemmen hat man in deinem Talk gesehen. Aber zurück zum Lettering. Was fasziniert dich so an Buchstaben, an Schriften und ihren ganzen Details, die du im Talk erwähnt hast?
Strikte Vorgaben triggern meine Kreativität. Ich hasse Aufträge, die allzu offen sind. Natürlich weiß ich, dass viele Leute irgendwann wollen, dass Kund:innen zu ihren kommen und sagen: Hier ist ein großes Budget und mache einfach dein Ding.
Für mich aber ist das ein absoluter Albtraum. Ich mag keine offenen Briefings, sondern ein enges, vorgegebenes Feld auf dem ich arbeiten kann, Parameter und Hierarchien und alles, was dazu gehört. Ich finde es toll, wenn ich nur zwei Farben verwenden darf, etwas auf seltsame Weise gedruckt werden soll und in zwei Wochen fertig sein muss. Ich liebe diese Einschränkungen. Und das Alphabet ist die ultimative. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Zeichen im lateinischen Alphabet und innerhalb dieses Alphabets kann man stilistisch nur so weit abweichen, wie es lesbar bleibt. Oder man ist ein sehr avantgardistischer Schriftkünstler, der die Zeichen nur als Grundformen verwendet. Aber für mich, die ich kommerziell mit Kunden arbeite, muss ich etwas machen, das nicht nur vor Schönheit vibriert, sondern, dass gut zu lesen ist und klar kommuniziert.

Wie tief tauchst du bei deinen Logo-Designs und Rebrandings in eine Marke ein?
Tief. (lacht) Ich mag es nicht, wenn Leute Rebrands machen, die einfach auf einem »so würde ich es machen« basieren. Denn ich frage mich, woher sie wissen, was richtig ist, wenn sie nicht mit dem Team gesprochen und die gesamte Logistik durchgesehen haben. Ich möchte sehr gut über ein Projekt informiert sein, denn ich glaube nicht, dass es für jedes Problem nur eine einzige richtige Lösung gibt. Ich schlage Unterschiedliches vor, denn wenn du nur eine Variante vorgibst, dann hat der Kunde keine Möglichkeit, konstruktives Feedback zu geben, weil er nichts hat, womit er es vergleichen kann. Andere meinen, wenn man mehrere Lösungen vorgibt, dann kann der Kunde sie am Ende mischen. Aber wo ist das Problem? Manchmal ist das durchaus in Ordnung. Ich glaube, wenn man sich nicht wohl dabei fühlt, drei bis fünf Optionen zu präsentieren, dann liegt das wahrscheinlich daran, dass man nicht gut darin ist, seine verschiedenen Konzepte zu erklären. Natürlich entscheidet sich ein Kunde dann mal für eine Version, die man selber vielleicht nicht gewählt hätte. Aber dann kann man ja darüber reden und auch fragen, wie man das, was er mag, in der Version, die ich mag, unterbringen könnte.

Brandings, Re-Brandings und Brand-Refreshes von Jessica Hische

Jetzt verstehe ich, warum du in dem Talk immer von »wir« gesprochen hast, obwohl du ja alleine arbeitest.
Mit dem wir meine ich die Kunden und mich. Manchmal gehört auch noch eine Kreativagentur dazu. Ich bin eine sehr kollaborative Arbeiterin. Für mich gibt es keine übergeordnete Hierarchie und auch keine Blackbox. Je kooperativer man ist und je mehr man über die Arbeit spricht, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Kunde den Entscheidungen vertraut. Wenn sie an dich glauben und du sagst: »Hey, ich verstehe, dass du das willst. Ich habe schon einiges ausprobiert, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht funktioniert. Was können wir gemeinsam tun, um eine Lösung herbeizuführen?« Dann wird alles viel offener.

Dein Arbeitsprozess ist so tiefgehend, detailliert und maßgeschneidert. Ist das etwas, was wir mit KI verlieren werden?
Das glaube ich nicht. Ich spreche oft mit meinem Partner darüber, der Produktdirektor des Generative AI Teams bei Meta ist. Du kannst dir vorstellen, dass wir immer wieder hitzige Gespräche über das Thema haben. Ich weiß also viel über KI, weil ich sie in meinem Haushalt lebe und atme. Und ich frage mich oft: Ist KI etwas Positives? Gleichzeitig bin ich in einem Berufsfeld, in dem eine große Angst davor herrscht. So versuche ich, eine Brücke zwischen den Leuten zu schlagen, die von den Möglichkeiten von KI begeistert sind und den Leuten, die die Auswirkungen fürchten, die sie auf kurze Sicht haben wird. Wahrscheinlich haben die KI-Optimisten Gründe, optimistisch zu sein, aber gleichzeitig versuche ich ihnen klarzumachen, dass der Übergang in diese neue Welt viele Kreative in den nächsten fünf bis 10 Jahren durch ein wirkliches Tal schicken wird. Deshalb müssen wir auch über die realen Auswirkungen sprechen.

Welche meinst du damit?
Nicht KI wird deinen Job übernehmen, sondern jemand, der sich mit KI auskennt, heißt es ja gerade immer. Irgendwann wird KI kein großes Thema mehr sein, sondern einfach nur noch ein Hilfsmittel. So nennen sie zumindest die Enthusiasten. Irgendwann wird die KI vielleicht 90 Prozent dessen schaffen, was wir heute machen und dann sollte man zu den 10 Prozent zu gehören, die den Rest des Weges gehen. Für mich ist das eine Arbeit, die ich sehr gerne mache. Jetzt schon. Es macht mir nichts aus, die Arbeit von anderen zu übernehmen und dem Ganzen meinen eigenen Stempel aufzudrücken. Das Problem ist nur, dass die meisten Firmen gar nicht 100 Prozent möchten, sondern, dass ihnen 40 Prozent reichen. Dadurch wird eine Menge Arbeit zunichtegemacht werden, denn es geht einfach darum, Geld zu sparen. Da reicht vielen etwas irgendwie Passables. Auch, weil vieles im Design vergänglich ist. Ein Flugblatt, ein PDF. Eine Menge Arbeit wird dadurch verloren gehen und es macht mich wütend, wenn Leute sich weigern, das zuzugeben.

Jessca Hisches Lettering für Filme von Wes Anderson und Kelly Fremon Craig

Auf der Config ist das ein großes Thema und die AI Neuerungen wurden wenig beklatscht in der Opening Keynote.
Das ist interessant. Und die ganzen Gespräche hier darüber sind es auch. Manche sagen: Hey, der Computer hat den Schriftsatz abgeschafft und all diese Dinge. Und dann denke ich an das ganze Wissen, das Designer:innen haben und dieses physische Gedächtnis für die Dinge, mit man hantiert und arbeitet. Dieser Prozess ist so wichtig. Auch, um sich nicht in seinen Ideen zu verirren. Und wenn die Leute nicht mehr die Zeit brauchen, alles durchzugehen, entwickeln sie auch nicht das entsprechende Muskelgedächtnis. Jede Arbeit ist dann wieder etwas ganz Neues. Und das kann wirklich beängstigend sein. Natürlich bin ich nicht nur Hände, sondern vor allem auch Hirn und deswegen ist es auch wichtig, sich geistige Auszeiten zu nehmen, um nicht auszubrennen. Darüber spreche ich oft mit den Tech-Enthusiasten. Dass es nicht gesund ist, nur Ideen zu haben. Dazu haben wir gar nicht die Kapazitäten. Wir brauchen auch alle Schritte, die darauf folgen. Außerdem wird sich unsere Gesellschaft nicht dahingehend verändern, dass jeder nur noch zwei Stunden am Tag arbeiten. Wie soll das denn gehen? Vielleicht haben wir eines Tages alle ein universelles Grundeinkommen, aber das wird wahrscheinlich noch 50 Jahre dauern. Und eben nicht in unserer Lebensarbeitszeit liegen. Und was machen wir bis dahin?

Mir hat gefallen wir du gezeigt hast, wie du jedes einzelne Buch, das in einem Buchladen im Regal steht, gezeichnet hast und wie viel Freude es war.
Weil man diese Pausen zwischen den Dingen braucht, nichts zu tun und nur zu träumen oder zu schauen. Auch glaube ich, dass Menschen deshalb gerne einen Podcast hören wenn sie den Abwasch oder die Wäsche waschen. Denn es hat etwas Beruhigendes, wenn die Hände und das Gehirn nicht mit der gleichen Aufgabe beschäftigt sind, wenn man diese Verbindung zwischen Geist und Körper kurz unterbricht. Dann kann man auch wieder die hyperkonzentrierten Momente genießen.

Der Flow, von dem du sprachst, ist durch KI auch bedroht. Dabei ist er so wichtig.
Der Flow ist das Allerbeste. Und es ist wunderbar, dass wir ihn in unserer Arbeit finden können, denn mit ihr verbringen wir die meiste Zeit unseres Lebens. Das ist auch der Knackpunkt für mich. Denn mit KI versucht jeder, diesen Teil unseres Arbeitslebens auszulöschen, damit wir effizienter arbeiten können.
 Auch deshalb finde ich es gut, dass sie Leute wie mich auf diese Konferenzen einladen. Denn die Leute, die jetzt für die KI die unterschiedlichsten Dinge entwickeln, tun dies für ein imaginäres Publikum und nicht für die Menschen, die sie benutzen. Ihnen bleibt dann aber nicht anderes übrig. Haben wir nach KI gefragt? Deswegen finde ich es wunderbar, wenn Firmen wie Figma Menschen aus verschiedenen Bereichen und mit sehr unterschiedliche Meinungen einbeziehen. Von mir aus können Dinge, die wir lästig finden, automatisiert werden. Aber sie können doch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und die Dinge durch KI ersetzen, die wir lieben …

Früh übt sich: Im Oktober erscheint Jessica Hisches neues Kinderbuch »My first Book of Fancy Letters« auf Deutsch

 

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