Zeit, was zu tun
Täglich schalten wir unseren Computer ein. Sein makelloser Bildschirm vermittelt Transparenz, Übersicht, Funktionalität. Doch was hinter der Oberfläche geschieht, liegt im Verborgenen …
Täglich schalten wir unseren Computer ein. Sein makelloser Bildschirm vermittelt Transparenz, Übersicht, Funktionalität. Doch was hinter der Oberfläche geschieht, liegt im Verborgenen. Wer außer uns die eingetippten Informationen über Bestellungen, Zahlungen, Freunde und Vorlieben liest, speichert und auswertet, wissen wir nicht.
Seit Edward Snowdens Enthüllungen können wir es uns jedoch ausmalen. Wobei Snowden die Büchse der Pandora erst ein bisschen geöffnet hat. Das große Entsetzen kommt erst noch. Nicht nur Bürgerbeziehungen wurden entflochten, auch Politiker, Anwälte, Journalisten und Verfassungsrichter sind das Opfer der digitalen Durchleuchtung. Alle Spuren laufen auf eine Totalüberwachung hinaus. Der US-Geheimdienst hat essenzielle Komponenten der Internetinfrastruktur unter seiner Kontrolle, was Wirtschaftsspionage im großen Stil erlaubt.
Immer wieder behaupten Regierungen und Behörden, dass uns Kamerabilder, Vorratsdaten und das Durchschnüffeln des Netzes vor Krieg und Terror schützen. Gemessen an dem Milliarden-Dollar-Aufwand, mit dem NSA und andere Dienste ihr Werk tun, sind die Fahndungserfolge kaum der Rede wert. Auch über Pannen, Fehler oder Verwechslungen bei Big Data wird kaum berichtet. Was ist bloß mit den Medien los?
Dabei kommen die Einschläge immer näher. Jüngst wurde mein Kollege Ivo auf dem Weg zu einer Designkonferenz in San Francisco von US-Einreise-Beamten zum einstündigen Verhör gebeten. Niemand hat ihm verraten, was der Grund für das Herausfischen an der Grenze war.
Nun muss man wissen, dass Ivo, geboren 1979, Brillenträger ist und einen konturierten 5-Tage-Bart trägt. Sein Haar ist dunkelblond, seine Gesichtszüge würden in einer Bilddatenbank mit »caucasian« verschlagwortet sein, ein Synonym für Europäer oder hellhäutig. Mit anderen Worten (und wer Ivo kennt, wird das bestätigen): Er sieht Edward Snowden zum Verwechseln ähnlich. Genau das muss auch die biometrische Analyse seines Porträtfotos ergeben haben, das die US-Behörden von jedem Einreisenden anfertigen lassen.
Es geht schon lange nicht mehr nur um das Internet, diesem blank geputzten Fenster zur digitalen Welt, das wir jeden Morgen öffnen. Es geht um die Vernetzung von Daten, die überall erfasst werden: Telefonverhalten, Bewegung im öffentlichen Raum, Stimmanalyse (Skype, Siri), Kaufverhalten, Fahrzeugnavigation (Google Maps) und vieles mehr. Big Data verknüpft das alles zu einem (un)verwechselbaren Profil.
Die pauschale Überwachung ist ein Machtmissbrauch und eine Beleidigung für jeden Bürger. Daran hat uns Sascha Lobo auf der Berliner re:publica Anfang Mai noch mal erinnert. Er warf der Netzgemeinde Versagen vor. Nichts habe sich seit Snowden verändert. Den Deutschen sei die Bekassine, ein bedrohter Vogel, wichtiger als das Internet. Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern erwirtschafte mit seinen rund 120 Mitarbeitern mehr Spenden als jede Netzinitiative. Lobo: »Den aktuellen Kampf für die Festschreibung der Netzneutralität im Europaparlament haben zwei fest Angestellte aus Deutschland und Österreich geführt, weil Vereinen wie der Digitalen Gesellschaft das Geld dafür fehlt.« Petitionen und Klicks aus dem heimischen Sessel reichten eben nicht aus.
Lobby-Arbeit für das Internet ist kein Hobby mehr. Da es keinen anderen Weg als über die Politik gibt, um hier etwas zu erreichen, müssen wir uns dieser zuwenden. Auch mancher Designer sollte angesichts der drohenden Totalüberwachung seine Komfortzone verlassen. Nutzt einen Teil der Zeit, die euch die digitale Technik schenkt, um für deren Freiheit zu kämpfen!
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