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Siebert-Kolumne: Vollzeit, Teilzeit, Freizeit

Trotz der schlechten Nachrichten für die Kreativbranche und Massenentlassungen bei Start-ups sehen Jobexpert:innen ak­tuell viel Positives. Unser Kolumnist Jürgen Siebert fasst die Lage zusammen

Wie wollen junge Kreative arbeiten? Eine Illustration von Karin Kraemer zur Kolumne Sieberts Betrachtungen
© Karin Kraemer, www.karin-kraemer.net | www.instagram.com/karin__kraemer

Das Jahr 2022 markiert für die Designbranche einen fun­da­mentalen Umbruch. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, ­die In­­fla­tion, Energiekrise, der Sturz der Kryptowährungen, Investi­tions­stopps bei den Start-ups … so viele negative Randbedingungen auf einmal für die Wirtschaft gab es lange nicht mehr. Wenn die Zuversicht der Unternehmen schwindet, wird zuerst im Marketing gespart, also bei Design und Kommunikation.

Doch trotz der schlechten Nachrichten für die Kreativbranche und Massenentlassungen bei Start-ups sehen Jobexpert:innen ak­tuell viel Positives. »Die meisten werden keine zwei Wochen ohne Job sein«, sagte jüngst zum Beispiel eine Recruiting-­Spezialistin gegenüber einem Online-Portal. Grund dafür sei der aktuelle Fach- und Führungskräftemangel in der deutschen Industrie.

Im Netz kursieren derzeit wieder Listen von entlassenen Mit­arbeiter:innen. Zum ersten Mal tauchten sie zu Beginn der Coronapandemie bei den Reise-Start-ups auf: Google-Tabellen, in die die Gekündigten ihre Kontaktinformationen eintragen konn­ten, öffentlich zugänglich, über LinkedIn geteilt. Im Mai 2022 ver­öffentlichte Gorillas-Gründer Kağan Sümer eine solche Liste – er nannte sie »Alumni Directory« – mit 100 Namen ehemaliger Mitarbeitender. »Bei aller Enttäuschung, dass unsere gemeinsa­me Reise endet, sind wir zuversichtlich, dass diese ehemaligen Gorillas weiterhin Mehrwert schaffen und einen großen Einfluss auf jedes Unternehmen haben werden, das sie einstellt«, schrieb er.

Arbeitsvermittler:innen halten den freiwilligen Eintrag in eine Kün­digungsliste für einen effizienten Weg, schnell an neue Jobmöglichkeiten zu gelangen, insbesondere wenn man noch keinen ge­nauen Plan für die berufliche Zukunft habe. Tatsächlich scheint es aktuell im Kreativbereich mehr Jobangebote als Nachfragen zu geben. Eine Suche nach »Design« bei Indeed fördert für Berlin rund 13 000 unbesetzte Stellen zutage, für Hamburg 7000 und für München 12 000, bundesweit 120 000.

»Der Jobmarkt ist heiß«, bestätigt mir auch der Berliner Head­hunter Jan Pautsch: »Großes Angebot, große Nachfrage. Es wer­den vor allem Spezialist:innen und Top-Führungskräfte gesucht.« Dabei sind es gar nicht so sehr Entlassungen, die den Arbeitsmarkt antreiben. »Remote Work hat viele Mitarbeitende von ihren Unternehmen entfremdet«, sagt Pautsch. Die Bindung zum Team und zur Agentur oder Firma werden lockerer, wenn man nicht mehr gemeinsam im Büro sitzt. Das führe irgendwann zu der Erkenntnis: »Wenn ich von zu Hause aus für X arbeiten kann, dann kann ich das auch für Y.« Wobei Y = interessanter und besser bezahlt.

Die Arbeit und unser Verhältnis zu ihr verändern sich seit drei Jahren, sowohl durch neue Technologien als auch durch die Krisen. Viele Mitarbeiter:innen sind anspruchsvoller geworden. Wie kann man sie gewinnen beziehungsweise halten? Eine attraktive Kom­bination aus Homeoffice und Präsenz im Büro kann für manchen ein Anreiz sein. Oder eine 4-Tage-Woche, in der zwar nicht weni­ger, aber konzentrierter gearbeitet wird, sodass sich drei freie Tage pro Woche ergeben. Nur zwei Ideen, um neues Personal zu finden und den Bedürfnissen nach Selbstbestimmung entgegenzu­kommen.

Die junge Generation will nicht weniger arbeiten, sondern flexibler und autonomer.

Anders gesagt: Die Menschen möchten die Arbeitszeiten dem Leben anpassen, nicht das Leben den Arbeitszeiten. Jan Pautsch erinnert in diesem Zusammenhang an das etwas in Vergessenheit geratene Contracting, also ein Arbeitsverhältnis, das über einen Werk- oder Dienstvertrag geregelt wird. In den Bereichen IT, Consulting, Medien und Werbung wird viel mit sogenannten festen Freien gearbeitet.

Allen, denen die Art des Arbeitsverhältnisses eher egal ist, die sich aber trotzdem ein neues berufliches Umfeld wünschen, rät Jan Pautsch, sich in anderen, verwandten Bereichen umzuschauen. Der aktuelle Bedarf an gut ausgebildeten Designtalenten ist enorm und die – mittlerweile auch internationalen – Player am deutschen Markt äußerst vielfältig: Unternehmensberatungen und ihre Innovationslabore und Venture-Building-Abteilun­gen, Start-ups, Inhouse-Studios von großen Agen­turen sowie Unternehmen – sie alle suchen händeringend nach Produkt-, Strategie- und Brand-Design-Spezialist:innen.

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Herausforderungen für Gestalter:innen in der Praxis

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