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Siebert Kolumne: Vom Ich zum Wir

Das Prinzip »gläserner Kunde« ist passé. Heute müssen die Unternehmen gläsern sein: nachhaltig wirtschaften, verantwortungsvoll handeln und ehrlich darüber kommunizieren.

Filterblasen: Vom Ich zum Wir. Eine Illustration von Karin Kraemer zur Kolumne Sieberts Betrachtungen
© Karin Kraemer, www.karin-kraemer.net | www.instagram.com/karin__kraemer

1969 war die Welt in Ordnung: Woodstock, Love & Peace, Gemeinschaft statt Alleingang. Zwanzig Jahre später kam die Wende: »Ich und mein Magnum« hieß es in der Werbung. Die Hamburger Agentur Lintas hat sich das 1989 für Langnese ausgedacht. Marketingpremiere für das unabhängige Selbst. Freie Fahrt für Egoismus.

In den Jahrzehnten danach entwickelte sich die Welt nicht unbedingt zum Besten. Anfang der 2000er Jahre hat uns die Digitalisierung zwar vernetzt, doch schon bald führte uns die mobile Technik in die kommunikative Isolation, dank der Amazon- und Social-Media-Algorithmen. Ich und meine Filterblase. Statt miteinander zu reden, zetern wir übereinander.

Das Paradoxe am Jetzt: Die Technologie hat die Information demokratisiert, doch die einstigen Hochburgen der Demokratie sind tief gespalten. Während die Polarisierung zunimmt, wächst das Misstrauen der Menschen gegenüber Unternehmen, Medien und der Regierung. Unter diesen Umständen lässt sich kaum fortschrittliche Politik machen. Wichtige Entscheidungen zur Klimakrise werden von oppositionellen Kräften ausgebremst.

Ökologische, soziale und politische Störungen wirken in viele Lebensbereiche hinein und beeinflussen unsere täglichen Entscheidungen. Vor Corona ging es den Unternehmen um die Performance ihrer Produkte. Marketing und Design waren kundenzentriert. Das personalisierte Erlebnis stand im Vordergrund. Doch die Erfolgsgeschichte dieses Systems läuft aus.

Ende 2022 stellt sich die gesellschaftliche Dynamik differenzierter dar. Die Menschen jonglieren die bitteren Pillen Infla­tion, Corona und Energiekrise mittlerweile ziemlich sicher. Die Ver­braucher:innen entwickeln ein Gefühl der Eigenverantwortung. Sie überdenken die Werte, die sie jahrelang schätzten. Laut einer Studie von Accenture geben zwei Drittel von ihnen an, dass sie im Leben völlig neue Prioritäten setzen. Dabei schauen sie Marken und Unternehmen genauer auf die Finger.

Bereits 2017 bestätigten die Finanzanalyst:innen des CFA Institute in einer Studie, das 73 Prozent der Großinvestoren Sus­tain­abilitykriterien in den kommenden Jahren eine hohe Bedeutung beimessen. Heute ist die Nachhaltigkeit von Unternehmen für institutionelle Anleger und Fondsmanager:innen ein essenzielles Qualitätsmerkmal.

Vor diesem Hintergrund müssen Marken ihre Werbung, ihre Kommunikation und ihr Design sozial ausrichten. Folgende drei Ansätze helfen bei der Transformation:

  1. Die Konsument:innen als Menschen betrachten, nicht als wandelnde Geldbörsen. Das Prinzip »gläserner Kunde« ist passé. Heute müssen die Unternehmen gläsern sein: nachhaltig wirtschaften, verantwortungsvoll handeln und ehrlich darüber kommunizieren.
  2. Produkte schnell anpassen. Ob im Nahverkehr, bei Strom- und Gasversorgern oder dem Fahrzeugbau . . . jetzt sind flexible Angebote statt one-size-fits-all gefragt. Eine konsequente Digitalisierung hilft Marken dabei, ihre Produkte schnell an gesellschaftliche Bedürfnisse anzupassen.
  3. Angebote vereinfachen. Das Leben ist zu kurz, um sich durch Abofallen, Ladenlabyrinthe oder Tarifdschungel zu quälen. Die meisten Verbraucher:innen riechen die Upselling- und Cross-Selling-Tricks des Handels. Sie brechen den Kauf ab und greifen zur einfachen und glaubwürdigen Alternative.
PDF-Download: PAGE 01.2023

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Vielen Dank Jürgen für deine zusammenfassende Zeitreise und Blick in die Zukunft. Gar nicht so düster der Ausblick.

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