Von Brooklyn lernen
Immer zum Erscheinen der aktuellen Printausgabe der PAGE: »Die Fundstücke« von Jürgen Siebert. Freuen Sie sich über kühne Kommentare zu Trends, Entwicklungen, Ereignissen und dem ganz normalen Alltagswahnsinn eines Kreativen … Heute: die Geheimtipps der Brooklyner Szene.
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Zwei Brücken, die ihre Namen tragen, verbinden die ungleichen Stadtteile: die Brooklyn und die Manhattan Bridge. Brooklyn liegt auf Long Island, direkt gegenüber dem Finanzviertel Manhattans. Während dort die Wolkenkratzer eine gewisse Kühle ausstrahlen, wirkt Brooklyn wie eine Mischung aus Klein- und Weltstadt, offen und weitaus gemütlicher. Für Touristen ist Brooklyn noch ein Geheimtipp. Doch die Bewohner haben das Potenzial ihres Bezirks bereits vor Jahren für sich entdeckt. Nicht nur gut verdienende junge Leute mit Kindern finden die Gegend attraktiv. Vor allem kreative Büros und Services lassen sich in frisch sanierten Industriegebäuden zu (noch) angemessenen Mieten nieder, darunter viele Web- und App-Designer.
Investoren bestätigen den Trend: Start-ups zieht es kaum noch ins Silicon Valley, sondern nach Brooklyn und Manhattan. Laut Statistiken von Pricewaterhouse und der National Venture Capital Association stieg die Zahl der New Yorker Neugründungen zwischen 2007 und 2011 um 34 Prozent; im Silicon Valley gingen diese um 7 Prozent zurück.
Die meisten Start-ups siedeln sich in der Dumbo Neighborhood an, also direkt am ehemaligen Marinehafen, unterhalb der Auto- und U-Bahn-Brücke. Dumbo ist ein Akronym und steht für »Down Under the Manhattan Bridge Overpass«. Überregional bekannteste Jungfirmen in Brooklyn sind Etsy, MakerBot, Steiner Studios, die Werbeagentur Huge oder die Mobile-Media-Agentur Pontiflex. Noch bekannter – vor allem in der Designszene – sind Einzelpersonen, die sich mittels sozialer Medien Gehör verschaffen und auf diese Art ihr Business aufbauen. Allen voran die Twitter-Stars rund um die Schweizer Designerin Tina Roth-Eisenberg (@swissmiss, 328 000 Follower), die vor acht Jahren nach Brooklyn kam und ihren Blog startete.
Ihre Coworking-Truppe nennt sich Studiomates. Das sind ungefähr dreißig Berufskollegen mit einer Internet-Einschaltquote von mehr als 10 Millionen Nutzern, wenn man alle Accounts zusammenrechnet. Die bekanntesten influencer sind Jason Santa Maria (@jasonsantamaria, 302 000 Follower), Maria Popova (@Brainpicker, 256 000 Follower), Frank Chimero (@fchimero, 32 000 Follower) und Bekka Palmer, die auf Pinterest aktiv ist – mit inzwischen 7 Millionen Followern. Sie alle zahlen 500 Dollar für ihren Schreibtisch in der 6. Etage von 10 Jay Street.
Auf dem von Tina geschaffenen kreativen Nährboden sind bis heute gleich eine ganze Reihe Pflänzchen mit weltweitem Echo gewachsen. Beispielsweise die Checklisten-App TeuxDeux, die temporären Tattoos von Tattly und die Frühstücksvortragsreihe »Creative-Mornings«, die inzwischen monatlich in vierzig Städten auf sechs Kontinenten stattfindet. Seit einem Jahr bin ich Gastgeber der »CreativeMornings Berlin«. Nach zwölf Morgenvorlesungen an der Spree hatte ich Mitte Oktober endlich Gelegenheit, das Original am East River zu besuchen und der Erfinderin auf der Bühne für die großartige Idee zu danken. In derselben Woche fand auch die hochkarätig besuchte Internetkonferenz Brooklyn Beta statt. Sie ist ein weiteres Beispiel für die ausgeklügelten Energiespender der Brooklyner Szene, die verstanden hat, dass die persönliche Begegnung immer noch wichtiger ist als große Follower-Zahlen und Facebook-Likes.
Die folgenden Lehren habe ich vom »CreativeMorning« und von der Brooklyn-Beta-Konferenz mit nach Hause gebracht, und ich glaube, dass sie überall gültig sind:
• Nicht der Beste sein wollen, sondern das Beste machen.
• Menschen sind das Medium, nicht Pixel.
• Meide giftige Auftraggeber und Kollegen!
• Es ist ökonomischer, in Ausbildung zu investieren, als Gleichgültigkeit zu bezahlen
• Nicht der Zugang zur Information ist entscheidend, sondern der Zugang zueinander.
Danke, Brooklyn!
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