as Papier verliert seine jahrhundertealte Rolle als dauerhaftes Medium – der Bildschirm löst es ab, als ständig verfügbares Fenster zur Information.
»Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen«, heißt es in Goethes »Faust«, wobei sich der Dichter auf kein Medium festlegte. Wir dürfen davon ausgehen, dass er Papier meinte. »Papier ist geduldig«, besagt ein weiteres Sprichwort, das erstens dem Goethe-Zitat widerspricht und zweitens an die Dauerhaftigkeit dieses Mediums erinnert.
Die Rolle des Papiers ändert sich gerade dramatisch. Was das Fernsehen in fünfzig Jahren nicht geschafft hat, scheint dem Netz und den damit verbundenen Lesegeräten zu gelingen: Papier verliert seine jahrhundertealte Rolle als dauerhaftes Speicher- sowie Kommunikationsmedium und wird flüchtig. Der Bildschirm löst es ab, als ständig verfügbares Fenster zu historischen und aktuellen Informationen.
Zwei Entwicklungen sind für den Untergang des Papiers verantwortlich. Da ist zunächst einmal die sinkende Bedeutung der gedruckten Medien. Aufgrund infrastruktureller wie strategischer Schwäche schmelzen seit Jahren die Auflagen und damit die Verbreitung von Presseerzeugnissen und Büchern. Das nächste Opfer sind die Verkaufsstellen, also Buchhandlungen und Zeitungskioske.
Parallel dazu verbreiten sich die Bildschirme ungebremst. Sie übernehmen zunehmend Aufgaben, die einst dem Papier vorbehalten waren, angefangen von der Bandenwerbung in den Stadien über die Infoflächen im öffentlichen Nahverkehr bis hin zum Preisschild im Supermarkt. Wenn es sein muss, imitieren sie auch Papier, zum Beispiel in den E-Book-Readern.
Die zweite Entwicklung ist der Aufbau der Online-Archive. Im Moment steht deren Blüte entweder eine bremsende Gesetzgebung im Weg, die bestehende Geschäftsmodelle schützt, oder mangelnde Fantasie für neue Businessideen. So dürfen etwa die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Inhalte nur bis maximal sieben Tage nach der Erstausstrahlung ins Netz stellen.
Wer heute die »Tagesschau« vom Tag seiner Geburt sehen will, kann das an seinem 20. Geburtstag tun, keinen Tag früher und keinen Tag später. Dafür hat Das Erste vor Jahren die Serie »Die Tagesschau vor 20 Jahren« ins Leben gerufen. Die findet man übrigens auf einem Kanal, der »Tagesschau 24« heißt und seine absurde Existenz alleine dem staatlichen Schutz (oder ist es eine Gängelung?) verdankt.
Doch eines ist auch klar: Wer heute geboren wird, muss keine 20 Jahre mehr warten, um sich die Nachrichten von heute noch einmal anzusehen. Der Tag rückt näher, an dem wir uns Medieninhalte vergangener Zeiten zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort dieser Welt auf ein Tablet oder Smartphone laden können. So wie es heute bereits mit tagesaktuellen Inhalten geschieht. In Zukunft vielleicht gegen eine kleine Gebühr oder im Rahmen einer Medien-Flatrate. Und erst dann werden die Verlage und Sendeanstalten ihren Kunden wieder auf Augenhöhe und mit Stolz gegenüberstehen.
Literaturfreunde könnten nun erwidern: Ein Buch im Regal ist unvergänglicher als ein Buch auf dem Bildschirm. Bis man es verleiht und vergisst, an wen, oder es im Urlaub lesen möchte, es aber nicht eingepackt hat. In Zukunft werden jene Bücher die beständigsten sein, die online binnen Sekunden zu finden und zu laden sind. Die Musikkonzerne haben dieses Geschäftsmodell schon akzeptiert – freilich (noch) ohne ausreichend Umsatz damit zu machen.
Technikfeinde argumentieren: Gedruckte Bücher und Zeitungen benötigen keinen Strom, um gelesen zu werden. Im Dunkeln schon. Wer die Schwäche von Bildschirmen mit der Elektrizität begründet, die sie zum Darstellen brauchen, müsste seine Wohnung abends mit Kerzen beleuchten. Tatsächlich sind Laptops, Tablets und Smartphones weniger anfällig gegen Stromausfall als eine Glühbirne, weil sie eine Energiereserve für mehrere Stunden in sich tragen.
Verabschieden wir uns also von der Mär, dass Papier ein dauerhaftes Medium ist. Das war es nie. Papier ist bloß ein Träger von Information – so wie auch Bildschirme nur Abspielgeräte sind. Allerdings mit jeder Menge Vorteile gegenüber Papier. Konzentrieren wir uns endlich auf die Inhalte, deren nachhaltige Archivierung und leichte Zugänglichkeit. Viel zu lange haben die Verlage diese Inhalte als Staffage behandelt, im Schutz von satten Werbeumsätzen und der Buchpreisbindung.