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Emojis und Politik

Jürgen Siebert über miss­ver­ständliche Schriftzeichen.

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© Norman Posselt

Mit Interesse verfolge ich die Ver­bild­lichung geschriebener Kommuni­kation durch Emojis. Der Unterschied zum Schreiben in Reinform ist gravierend. Bilder transportieren fix fer­tige Botschaften: Daumen hoch steht für »Prima«, ein rotes Herz für »Liebe«, eine Rakete für Tempo.

Symbole können direkt verständlich sein, oft aber sind sie eher miss­ver­ständlich. Während es beim amt­li­chen Emoji No. 1 namens »Grin­ning Face« (lächelndes Gesicht) keinen Dissens geben dürfte, ist das bei No. 283 anders. Es heißt »Dancer« und zeigt eine Art Flamencotänzerin. Männliche Tänzer fühlen sich durch das Zeichen nicht repräsentiert. Daher wird im Sommer der männliche Tänzer eingeführt, im Stile eines John Travolta aus »Saturday Night Fever«. Ist das repräsentativ? Könnte ich damit eine Dame zum Walzer auffordern? Natürlich nicht, denn zum Walzer bittet man immer noch mit dem gesprochenen Wort.

Zum Glück gibt es eine inter­natio­na­le Vereinigung, das Unicode Consor­­tium, das sämtliche Schriftzeichen der Mensch­heit sortiert, katalogisiert und in einen Standard packt. Es sorgt dafür, dass wir Schriftzeichen auf Tas­ten­­druck abrufen können, mittlerweile auch Emojis. Natürlich ahnten die Schrift­wächter, auf was sie sich vor fünf Jahren einließen. Wie viele Emojis sol­len es denn werden? 1000, 10 000? Aus dem Straßenverkehr wissen wir, dass Kommunikation mit einer überschau­baren Menge an Zeichen möglich ist. Aber all jene Dinge, die Menschen in den sozialen Medien beschäftigen – Haustiere, Essen, Kleidung, Musik, Kul­tur –, haben unendliche Facetten.

Mit der Katalogisierung der wachsenden Bildsprache muss Unicode von Release zu Release entscheiden, welche Zeichen hinzukommen (rund 100 bis 200 jährlich) und welche verändert werden müssen, weil sie in einzelnen Kulturkreisen nicht funktionieren. Ei­ne erste Überarbeitung gab es vor zwei Jahren, als Hautfarben ein­geführt wur­den. Wann immer eine mensch­li­che Figur oder ein Körperteil zu sehen ist, müssen diese in sechs Hauttönen angeboten werden. Selbst die Flamen­co­tänzerin gibt es nun mit verschiedenen Haar- und Hauttönen.

Was die Political Correctness betrifft, muss sich das Konsortium also nichts vorwerfen lassen. Doch genau diese sorgt nun für den ersten poli­ti­schen Streit. Mitte Februar forderte das indonesische Informationsmi­nis­te­ri­um, Emojis mit angeblich homose­xueller Konnotation aus den Messen­gern und Smartphones seiner Bürger zu entfernen. »Soziale Medien müssen die Kultur der Länder respektieren, in denen sie eine große Zahl von Nutzern haben«, zitierte »Der Spiegel« den Spre­cher des Informationsministers. WhatsApp– und LINE-Anwender hätten sich über die bunten Bilder mit ho­mosexuellen Motiven beschwert. LINE habe die betreffenden Emojis daraufhin gelöscht, denn mit 30 Millionen Usern ist Indonesien für das Netz, nach Japan, der zweitgrößte Markt. WhatsApp wird wohl bald folgen.

Emojis sind genauso »unschuldig« wie Buchstaben, und sie werden es auch bleiben, weil sie so allgemein wie möglich funktionieren müssen.

Dabei ist die Deutung der harm­lo­sen Bildchen alles andere als eindeu­tig: Zwei Männer, ein Junge, ein Mädchen … Opa, Vater, Kinder, Enkel … al­les ist möglich. Die Interpretation liegt im Auge des Betrachters. Gepaart mit der Fantasie von Zensoren, entsteht da ganz schnell etwas vermeintlich Anstößiges. Müssten die Sittenwächter ge­­mäß ihrer Logik nicht ­alle Schriftzeichen verbieten, mit denen man »lesbisch« oder »schwul« schreiben kann? Emojis sind genauso »unschuldig« wie Buchstaben, und sie wer­den es auch bleiben, weil sie – ähnlich Verkehrsschildern – so allgemein wie mög­­lich funktionieren müssen, damit ihr Vorrat überschaubar bleibt. Freuen wir uns einfach auf die nächste Sprachverwirrung. Sie wird kommen. Garantiert.

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