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Die Verantwortung des Konsumenten und ihre Grenzen

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mmer zum Erscheinen der aktuellen Printausgabe der PAGE: »Die Fundstücke« von Jürgen Siebert. Freuen Sie sich über kühne Kommentare zu Trends, Entwicklungen, Ereignissen und dem ganz normalen Alltagswahnsinn eines Kreativen … Diesmal: Der mündige Verbraucher und die richtige Politik.

Verbraucher sein ist nicht leicht im Land des Überflusses. Jüngst forder­te ein Berliner Journalist, wir Kunden soll­ten Apple mit unserer Brieftasche zwin­gen, endlich ordentlich Steuern zu zah­len und keine Arbeiter in China auszubeuten. Hallo?! Ich soll mir also Geräte zulegen, von denen ich nicht überzeugt bin, nur damit ein in die Kritik gerate­ner Konzern zur Räson gebracht wird. Gibt es dafür nicht Politiker und Gesetze?

Ob Eier von unglücklichen Hühnern oder steigende Strompreise … wenn die Vermarktungskette aus dem Ruder läuft, ducken sich manche Verantwortliche gerne weg und schieben den Verbraucher vor. Dann heißt es »Selbst schuld, wer billig kauft … oder » … wohl nicht die Inhaltsstoffe gelesen«. Die Zeitung »der Freitag« hat Anfang des Jahres eine Lis­te mit den Top-Ver­ant­wortungsfel­dern ver­öffentlicht, auf de­nen wir Verbraucher kämpfen.

Danach:
• steuern wir mit unserem Kaufverhalten die Nahrungsqualität,
• beeinflussen wir mit dem Stromzähler die Energiepreise,
• verschmutzen wir mit schickem Verpackungsmüll die Umwelt,
• bekommen wir abends das Fernsehprogramm serviert, das wir verdienen,
• haben wir uns nicht hinreichend informiert, wenn Aktien abstürzen,
• befeuern wir mit dem eigenen Wohnverhalten die Mietpreise,
• beerdigen wir mit unserer Gratiskultur die Printmedien,
• drosseln wir bald mit übermäßigem Digitalkonsum das Internet.

Unser Verhalten und die angebotenen Produkte mögen sich teilweise be­einflussen, aber die Macht, etwas zu ändern, liegt eigentlich in den Händen von Menschen, die sich hauptberuflich mit dieser komplizierten Materie beschäftigen. Haben wir unsere Poli­tiker dafür gewählt, dass sie uns in schwierigen Zeiten vorhalten, wir seien doch irgendwie selbst schuld an den Missständen in der Gesellschaft? Als ob es nicht schon schwer genug ist, genau die Produkte zu finden, die für einen selbst die richtigen sind …

Als Verbraucher bin ich zunächst mal nur einem gegenüber verantwort­lich: mir selbst. Ich muss die Nahrungsmittel finden, die mir bekommen, und jene meiden, die mir schaden. Ich muss genau das Kraftfahrzeug entdecken, das meiner Mobilität entspricht und mich emotional anspricht. Ich muss den Kinofilm auswählen, der mich unterhält und meinen Horizont erweitert. Mächtige Kräfte wie die Industrie, die Werbung und der innere Schweinehund wollen mich vom »richtigen«, dem selbstbewussten Pfad abbringen. Nun auch noch die Politik …

Natürlich steht es jedem frei, mit seiner Kaufentscheidung zugleich auch ein Votum abzugeben. Ja, das ist sogar erwünscht. Aber nicht jeder kann sich dies leisten, denn derartige politi­sche Kaufentscheidungen kosten Zeit und Geld. Deshalb muss die Ver­braucher­po­litik für einen Mindestschutz sorgen. Wir wollen und können uns für eine Konsumentscheidung nicht unendlich Zeit nehmen. Selbst Bildung und Information sorgen lediglich bedingt da­für, dass wir uns Konsumkompetenz aneignen.

Nur eine kleine, aber wachsende Gruppe von Konsumenten verdient das gern zitierte Etikett »mündiger Verbraucher«. Das Recht auf individuelle Konsumfreiheit findet bei ihnen seine Grenze im bewussten Kon­sumhandeln. Sie übernehmen beim Shopping die Verantwortung für sich selbst, für die Umwelt und für andere. Gerade diese Kunden wünschen sich mehr und vor allem genauere Informatio­nen für ihre Kaufentscheidun­gen. Sie verbinden ih­ren persönlichen Nutzen mit der Frage, auf welche Weise Ressourcen geschont oder faire soziale und wirtschaftliche Bedingun­gen geschaffen werden können.

Wenn ausreichend Menschen nach­haltige Produkte kaufen, so die Idee des mündigen Verbrauchers, dann stel­len die Unternehmen nur noch gute Produkte her. Bei den Eiern hat Demokratie von unten durchaus Wirkung ge­zeigt. Abgeschreckt von den Bildern verletzter Hühner in engen Käfigen, verlangten die Kunden nach tiergerecht produzierten Eiern. Die aus Käfig­haltung findet man heutzutage kaum noch in den Regalen. Im Februar 2013 stellt sich dann heraus, dass teuer bezahlte Bio-Eier gar nicht Bio sind.
An diesem Fall wird nicht nur deutlich, wie schlecht die Einhaltung von Gesetzen kontrolliert wird. Sondern auch, dass die Struktur eines faulen Marktes nicht per Kaufentscheid geändert werden kann. Dies funktioniert nur über die richtige Politik – in diesem Fall eine, die eine industrielle Produktion zugunsten einer ökologischen herunterfährt. Und Apple spart auch nur deswegen Steuern, weil es die Gesetze erlauben.

Also: Wir kümmern uns gerne um gesunde Nahrung und funktionierende Technik, aber ihr sorgt dafür, dass Gesetze eingehalten werden.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. S. g. H. Siebert! Ich bin sehr froh, dass jemand diese Thematik einmal anspricht. Vor lauter Verpflichtung zum Gutmenschentum traut man sich das ja kaum. Es ist tatsächlich bemerkenswert, wofür dem/der Einzelnen heute so alles die Verantwortung untergeschoben wird. Wir sind ja selber an allem schuld. Man müsste sich eigentlich permanent dafür entschuldigen, dass man überhaupt existiert und dabei noch so viel Dreck macht. Wenn man dann zwangsläufig konsumiert (es scheint als wäre dies die wichtigste Funktion des Menschen in der 1. Welt, denn meistens wird man ja auf seine Eigenschaft als Konsument reduziert), dann auch noch das falsche. Wie ihr Beispiel mit den Bio-Eiern zeigt ist die Sache aber noch viel komplizierter. Selbst die besten Gutmenschen, die brav und öko-logisch konsumieren, machen zwangsläufig Fehler. So einfach ist die Sache nämlich nicht. Soll ich jetzt im Sommer heimische Äpfel kaufen, die monatelang im Kühlhaus gelagert wurden oder ist die CO2 Bilanz vielleicht doch bei Importware mit Transport auf dem Seeweg besser? Oder darf ich jetzt wirklich monatelang keine Äpfel mehr essen? So eine Entscheidung am Supermarktregal braucht schon komplexes Fachwissen. Außerdem muss doch jemand die armen ArgentinierInnen unterstützen! Und dann sollten wir uns ja auch gesund ernähren, um die Krankenkassen nicht über die Maßen zu belasten. Was heute aber als gut (also ökologisch und politisch korrekt) und gesund angepriesen wird, ist vielleicht schon morgen ganz verkehrt. Man denke da nur an die tapfere Öko-Avantgarde 80er Jahre, die sich mit Frischkornbrei den Magen verdorben hat. Dazu kommt noch, dass die Industrie das Gute im Menschen schamlos ausnützt und uns alles Mögliche als umweltschonend verkaufen will. Nur weil Öko draufsteht heißt das ja noch lange nicht, dass das Produkt wirklich eine gute Wahl ist. Selbst bei bestem Willen und selbstauferlegter Askese kann man also nie sicher sein, eine gute Entscheidung getroffen zu haben. Das ist ein bisschen so wie bei der „Parkraumbewirtschaftung“ in österreichischen Städten. Die Sache ist so komplex, dass man nie ganz sicher sein kann, ob man hier wirklich parken darf. Und der Einfluss auf die Politik und die von uns gewählten Politiker? Die haben ja schon so viel mit der Rettung von Banken und der Förderung der Wirtschaft zu tun. Da drängt sich das ungute Gefühl auf, dass wir in unseren Demokratien unter dem Strich eigentlich gar nicht so viel mitzubestimmen haben. Davon lässt sich vielleicht am besten damit ablenken, dass man den Leuten einredet, wie sehr sie für alles verantwortlich sind und steuern können. Und gleichzeitig kann man das veränderte Kaufverhalten wieder wirtschaftlich ausnützen. Das könnte man dann ver-Applen nennen.

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