Misch Strotz und Sebastian Zimmerhackl sind nicht nur Vordenker, was Kreation mit KI angeht, sondern auch Macher. Im Interview ordnen sie den Megatrend ein.
Keinen der beiden muss man fragen ob, sondern höchstens wie und warum sie KI in ihren Gestaltungsprozess integrieren.
Misch Strotz ist Gründer der Agentur Neon Internet, die sich auf Beratung, Aufklärung und Training im Umgang mit KI und anderen Trends in der Kreativbranche fokussiert. Er und sein Team legen Wert darauf, Kunden und Community abzuholen, ihnen die neuen Tools zu erklären und zu vermitteln, dass die Zusammenarbeit mit KI Tools noch kein Selbstläufer ist.
Sebastian Zimmerhackl arbeitet als Creative Technologist und Art Director seit vielen Jahren mit den neusten Web-, AR/VR- und KI-Technologien. Seine Begeisterung, sein Wissen und Können in dem Bereich setzt er unter anderem für Kunden aus der Mode-, Musik- und Fashionindustrie in die Praxis um. Als starker Netzwerker und Memetiker ist das Internet sein Medium.
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Was sie eint: Beide sind unfassbar neugierig, wenn es um das Ausprobieren neuer technologischer Mittel bei der Kreation geht. Kollaboration und Open Source Tools spielen dabei eine große Rolle.
Die Erfahrung, die wir mit KI gerade alle machen, bringt Misch auf den Punkt: »Der Space bewegt sich sehr schnell. Neue Tools mit immer neuen Möglichkeiten fluten den Markt.
Man verfällt schnell in den Zustand des »Shiny Object Syndroms« 🙂
Sebastian und Misch ordnen den Trend ein, erklären, wie kluge KI-Kampagnen funktionieren und verraten uns, worauf wir uns in einer Zukunft mit KI einstellen müssen.
Was hat sich in der Kreation mit KIs über die Jahre am deutlichsten verändert?
Misch Strotz: Um das zu beantworten, muss man zuerst definieren, wo die Grenze zwischen Mensch- und Maschinenarbeit verläuft. Tools wie Adobe Photoshop haben beispielsweise seit Jahren KI-Features integriert, ich würde sie aber nicht direkt als Co-Creation Tools bezeichnen. Für mich persönlich fängt die Co-Creation, bzw. die Synthography – also die synthetische Zeichnung – da an, wo der Computer ganz neue Informationen schafft, statt nur existierende auszubessern.
Letztes Jahr gab es riesige Durchbrüche. Text-To-Image-Models wie Stable Diffusion und Tools wie Midjourney, haben in der digitalen Kunstwelt neue Wege eröffnet, die vorher nur für eine kleine Nische zugänglich waren.
Man muss bedenken, dass das Trainieren eigener Modelle sehr aufwändig und kostenintensiv ist. Frühere Modelle waren meist eher auf einen speziellen Use-Case trainiert und deshalb sehr begrenzt in ihrer Schaffenshoheit.
Es ist ein riesiger Sprung nach vorne, dass es nun KI-Modelle gibt, mit denen Endnutzer:innen ohne zusätzlichen Aufwand viele verschiedene Dinge generieren können. Diese Systeme hatten 2022 ihren iPhone-Moment. Die Technologie ist nun so nutzer:innenfreundlich, dass jedermann sie ohne großen Aufwand einsetzen kann.
Wie wirkt sich das auf euren Gestaltungsansatz aus?
Misch: Sowohl für mich persönlich als auch bei uns in der Agentur ändert sich gerade sehr viel. Der künstlerische Schaffensprozess wird demokratisiert. Resultate, die früher nur eine kleine Anzahl hochspezialisierter Leute erzielen konnten, sind nun in greifbare Nähe für jedermann gerückt.
Zum Beispiel in der 3D-Darstellung. Die Kreation war hier sehr lange Opfer ihrer technologischen Rahmenbedingungen. Man brauchte einen leistungsfähigen Computer, die Renderzeiten waren sehr lang, und die Lernprozesse mussten agil sein, da die Tools sich ständig veränderten.
Kurz gesagt: In vielen Fällen war es nicht angemessen, Zeit oder Geld in die Produktion eines einzigen Bildes zu stecken. Das ist nun anders, und das nicht nur für Bilder, sondern auch in der Video- und Audioproduktion, wo gerade viel experimentiert wird und neue Styles erschlossen werden. Und dann gibt es da ja auch noch die Chatbots und Text Tools…
Sebastian: Zum Beispiel Midjourney ist einfach herrlich, um die eigenen Ideen mit Variationen zu visualisieren. Zurzeit mache ich täglich “/Blend”, bis die Festplatte raucht.
Man lernt ungemein viel beim richtig Beschreiben, und es macht eine Freude.
In Bezug auf die Tools und Technologien ist es faszinierend, wie sich die KI-Landschaft kontinuierlich weiterentwickelt und wie neue Modelle und Algorithmen dazu beitragen, dass wir immer komplexere Aufgaben lösen können. Es ist erstaunlich, wie weit wir in den letzten Jahren gekommen sind, und ich bin gespannt darauf, zu sehen, was die Zukunft für Produkte für uns bereithält.
Was glaubt ihr, wird sich da durch KI ändern? Wo ist noch Platz für die Experten, wenn die Kosten für die Kreation neuer Inhalte gen Null fallen?
Misch: Ich habe im Januar einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel »Infinite Information Loops«. Hier beschreibe ich, dass wir als Gesellschaft neue Denkmuster brauchen und neue Paradigmen annehmen sollten. Der Großteil der Informationen, die wir in Zukunft konsumieren werden, wird von Maschinen produziert worden sein.
Da habe ich festgestellt, dass die natürliche Reaktion vieler Menschen zuerst instinktiv Ablehnung ist: zu sagen, dass man das nicht will, oder dass es einem Angst macht. Man nimmt intuitiv an, dass die menschlichen Informationen qualitativer seien als die der Maschinen.
Sie haben nicht Unrecht: KI-Informationen sind lange nicht perfekt. Aber ich kann sie auch beruhigen, denn man darf nicht vergessen: auch der Mensch kann lügen, sich irren und Dinge erfinden. Tatsächlich macht er das sehr häufig. Das nennt man dann eine Geschichte (Story), oder einfach nur Geschichte (History).
Wir sollten also akzeptieren, dass die Zukunft der Informationen das sein wird, was wir heute fake nennen.
Denn durch die Demokratisierung der Informationserzeugung wird das Erstellen von eben solchem fake Content immer einfacher und schneller.
Die Maschine wird nicht müde, neue Informationen zu produzieren. Man denke hierbei an den berühmten Baum, der im Wald umfällt: Wenn ihn keiner hört, hat er dann ein Geräusch gemacht? (Anm. d. Red.: ein philosophisches Problem, das spätestens seit der Heisenbergschen Unschärferelation auch an Naturwissenschaften kratzt; es zeigt: die Realität ist kein objektives, sondern ein relationales Phänomen. Die Frage, ob wahr oder unwahr stellt sich dann nicht, sondern die danach, wie nützlich welche Ansätze und Ergebnisse sind.)
Die gleiche Frage müssen wir uns bei der KI stellen: Wenn die Maschine Geschichten schreibt, aber keiner sie liest, sind sie dann real? In der nahen Zukunft wird es so sein, dass die Maschinen konstant Informationen und Geschichten generieren werden, aber es bleibt (vorerst) immer noch der Mensch, der aus der puren Information Realität macht, indem er die Resultate kuratiert.
Sebastian: Die Rolle von menschlichen Designerinnen und Designern wird weiterhin wichtig bleiben. KI kann zwar nützliche Vorschläge und Inspiration liefern, aber sie kann nicht die menschliche Kreativität, Empathie und den kulturellen Kontext ersetzen, die für erfolgreiches Design unerlässlich sind. Es wird auch wichtig sein, sicherzustellen, dass KI-Systeme ethisch und verantwortungsvoll eingesetzt werden, um zu verhindern, dass sie Verzerrungen oder Diskriminierungen reproduzieren.
Woher kommen neue ästhetische Impulse?
Misch: In der Kunstgeschichte sehen wir: sobald es dem Mensch in einer Kunstform gelingt, die Realität perfekt abzubilden, sieht er sich schon nach neuen Welten oder neuen Details um; von der Renaissance zu Barock über Realismus zum Impressionismus und so weiter.
Heute sehen wir ähnliche Trends, und zwar nicht nur in der räumlichen Dimension, sondern auch zeitlich: Die Informationen, die wir online konsumieren, sollen möglichst immer schneller zu verdauen sein, um uns in möglichst kurzer Zeit mit möglichst vielen Dingen zu bestrahlen.
Die Kombination aus beidem, Raum und Zeit, bringt neue Impulse. So ist auf der Plattform TikTok vor kurzem der Trend »Core Core« entstanden, bei dem man verschiedene Snippets aus Filmen und Clips zusammenreiht, um eine neue Wirkung zu erzeugen. Eine Art zeitliche Video-Collage.
Wieso entsteht dieser Trend gerade jetzt? Weil man keine Menschen mehr braucht, um diese Form des Contents zu erzeugen. Algorithmen greifen auf ihre Datenbanken zu und erzeugen neue Videos und damit neue Botschaften. Man packe noch ein KI Voice Over drauf, und ein bisschen KI Hintergrundmusik, und fertig ist das Entertainment-Format der Zukunft.
Man sieht »Core Core« inzwischen auf allen Plattformen, zum Beispiel Anfang des Jahres, wo viele Videos entstanden, in denen Joe Rogan, Donald Trump und Joe Biden zusammen Minecraft spielen und sich dabei über Gott und die Welt unterhalten. Natürlich alles Fake.
https://www.youtube.com/watch?v=42Y0bCx8z4U
Ich nenne das »Aicorecore« (AI Core Core): weder die Stimmen, noch die Texte, noch die Bilder sind real, aber die wahllose Aneinanderreihung kann in ihrer Gesamtform wieder Sinn ergeben und sogar unterhaltsam sein.
Also kurz: Trends sind nicht statisch. Jede neue Bewegung bringt in der Regel auch eine Gegenbewegung hervor. Und so kann es ganz gut sein, dass diese extreme Beschleunigung einigen Zuschauern zu viel wird: sie werden sich nach Entschleunigung sehnen. Auch eine solche Gegenbewegung wäre also ein neuer Impuls.
Was sind eure Bedenken, wenn es um Kreation mit KI geht, etwa bei Copyrights?
Misch: Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen Probleme haben werden, die neuen Paradigmen schnell genug anzunehmen. Noch nie zuvor in der Geschichte kam der technologische Wandel so schnell und so abrupt wie heute. Man liest oft als Beispiel, dass ChatGPT nur zwei Monate gebraucht hat, um 100 Millionen Nutzer zu bekommen. Beim Telefon dauerte es rund 75 Jahre.
Prinzipien aus der alten Welt (“Prä-KI”) ergeben heute keinen Sinn mehr und müssen unter Umständen über Bord geworfen werden. Es braucht gesetzliche Klarheit für die neuen Kunstformen und auch ein Umdenken beim Copyright.
Das spürt gerade auch die Musikindustrie mit zahlreichen fake Songs von bekannten Künstlern, wie z.b. Drake. Auf der anderen Seite zeigt die Künstlerin Grimes wie es geht: Sie ermutigt über ihre Plattform elf.tech Menschen ihre Stimme zu benutzen um neue Songs zu generieren.
Ich glaube, die digitale Welt von morgen wird überflutet werden mit neuen KI Inhalten und Inhaltsformen. Wir werden die gleichen Superstars, die gleichen Kunststile und Motive in allen möglichen fake KI Formaten sehen. Wir werden mehr und mehr Deep Fakes sehen, virtuelle Models oder Influencer.
Das wird Aneignungskunst auf Steroiden.
Neue Licencing Modelle werden sich verbreiten. Online Identität wird ein großes Thema werden. Ein gutes Beispiel ist der automatisierte Instagram Account Ailien Night Club, der KI-generiete Captions, Hashtags und Bilder verwendet.
In meinen Augen müssen wir ab jetzt davon ausgehen, dass alles, was wir online sehen, fake sein könnte. Ich nenne das »A priori fake« (Aus dem Lateinischen: Zuerst Fake). Früher hat man mir in der Schule beigebracht, dass “man nicht alles glauben soll, was man im Internet sieht”. Heute sage ich, dürfen wir nichts glauben, es sei denn jemand beweist uns, dass es wirklich real ist. Wie man das beweisen soll, ist eine andere Frage, auf die ich keine einfache Antwort habe.
Die angesprochenen Berührungsängste gibt es daher noch auf mehreren Ebenen. KI ist noch nicht ganz im Mainstream angekommen und auch gesellschaftlich noch nicht überall akzeptiert oder verstanden, so wie beispielsweise die Suchmaschinen. Ein Großunternehmen muss sich in einer Kampagne also fragen, welche Ideen die Leute verschrecken und welche interessant genug sind, um tatsächlich umgesetzt zu werden.
Das perfekte Beispiel ist die Kampagne von Heinz Ketchup. Hier stimmt die Message und die Nutzung von AI ergibt auf allen Ebenen Sinn. Was wurde gemacht? Heinz hat mit Hilfe von DALL-E Ketchupflaschen erzeugt. Heraus kamen nur Heinz-Flaschen-Designs. Die Message: Heinz = Ketchup. Geil.
Wer aber versucht auf Teufel komm raus KI in die eigene Kampagne zu integrieren, der wird eher danebengreifen.
Wohin sollte sich der KI-Trend nicht entwickeln?
Misch: Ich glaube, wir stehen gerade wieder an einem sehr wichtigen Punkt in der Menschheitsgeschichte und müssten uns eigentlich erneut die Frage stellen: Wie viel Technologie ist zu viel? Ein Mensch allein kann diese Frage aber nicht beantworten. Und so wird es immer weiter gehen: Immer schneller – »der Markt wird das schon regeln«.
Es ist heute sehr schwer vorauszusagen, in welchen Disziplinen der Mensch die Nase vorn haben wird. Früher haben wir uns gefreut, weil der Taschenrechner auf einmal für uns rechnen konnte, heute freuen wir uns, weil die Maschinen uns Geschichten erzählen können. Vielleicht freuen wir uns morgen, weil die Maschine unser Essen wie ein Sternekoch kocht, und das gesund auf unsere Allergien zugeschnitten. Auch ein kreativer Job, übrigens.
Muss ich diese Frage also für heute beantworten, dann sage ich, dass wir in einer Sache der Maschine aktuell noch weit voraus sind: wir haben Hände. Die Maschine hat nur ein Gehirn, um es mit einer Metapher zu sagen.
Ich hoffe, dass die KI-Kunst uns befreien kann. Sie hat das Potential uns von den Fesseln der sozialen Medien zu befreien, denn: Wenn alles auf Knopfdruck gefaked werden kann, und nichts mehr real ist, was wir in der digitalen Welt sehen, dann haben wir selbst weniger Anreiz unser eigenes Leben online zu faken. Der Mensch könnte sich wieder mehr auf die physische Welt fokussieren, und die digitale Welt nur noch als Tourist besuchen.
Sebastian: Außerdem ist es gerade recht schwierig, einer Gesellschaft und ihrem System, das immer noch .pdf-Dateien faxt, Passwörter für Windanlagen online lesbar hat, Cybersecurity mit drei Fragezeichen schreibt, zu erklären, dass es in Asien (bald) fliegende Autos gibt. Funfact: wánquán bù míngbái heißt auf Chinesisch: ich verstehe nur Bahnhof.
Und ich finde, targeted advertising im Metaverse sollte illegal sein.
Was reizt euch als nächstes?
Misch: Mir macht es aktuell sehr viel Spaß zu beobachten, wo die Reise hingeht und die aktuellen Möglichkeiten auszureizen. Persönlich beschäftige ich mich gerade viel mit dem Thema »Virtual Influencer« und wie die sozialen Medien von morgen funktionieren werden. Stichwort: Komplette Automatisierung. Hier arbeiten wir gerade über unsere Plattform neontools.io an einem neuen Social Media Tool namens “Post Automator”.
Wir überlegen, mit welchen Avataren wir uns in Zukunft online präsentieren werden, wer unsere Medien schreibt, oder was wir online verkörpern wollen. Oder, um in den Worten von Richard David Precht zu fragen: Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?
Sebastian: Ich freue mich gerade richtig auf die nächsten Tests für neue experimentelle Musikvideos mit GEN-2 von runway, und natürlich die ganzen Sachen, die durch GPT4 möglich werden. Ich konzentriere mich eben wieder mehr darauf, interessierte Menschen zusammenzuführen und gemeinsam an Geschichten zu arbeiten, die uns wichtig erscheinen.
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Außerdem organisieren wir beispielsweise zusammen mit Futurehain und Journee das experimentelle Meet-Up Format <Soiree XD>, wo wir uns interisziplinär mit eben jenen Zukunftsfragen beschäftigen.
»Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeug uns.« In seinem TED-Vortrag greift Misch Strotz das Zitat von Marshall McLuhan auf und erklärt, wie sich die Zukunft der Gestaltung durch KI-Tools verändert.
Für den Sänger, Songwriter und Model Aime Simone (https://aimesimone.com) produzierte Sebastian Zimmerhackl gemeinsam mit Sonja Fix (www.HDSHT.pink), Ümüt Yildiz (IG @uemuetyildiz) und Melih Akya (IG: @melih_akya) das Musikvideo zu New World.
Super spannendes Interview mit einer sehr interessanten Sicht auf K.I. in der Kreation . Gerne mehr davon.