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Blick zurück nach vorn

Jürgen Siebert zieht ein Resümee nach 30 Jahren PAGE.

Siebert_1988
© Foto: Sinje Dillenkofer

Anlässlich des 30-jährigen PAGE-Ju­biläums möch­te ich dem Wesen industrieller Evolution auf die Spur kom­men. Es geht um Sieger und Verlierer, um Visionäre und Ewiggestrige – und um die Frage: Wie kann ein Magazin für Desktop-Publishing 30 Jahre alt wer­den, wo es doch gar kein Desktop-Publishing mehr gibt, ja Drucksachen dem Untergang geweiht sind?

Wichtig: Diesen Text schreibe ich nicht als Mitwirkender, sondern als Le­ser von PAGE. Dazu muss ich kurz erläutern, wie die Texte für diese Ko­lum­ne ins Heft gelangen. Gesprä­chen ent­nehme ich mitunter, dass man mich an einem Schreibtisch in den Ham­bur­ger Redaktionsräumen sitz­en wähnt. Dem ist nicht so. Ich lebe und arbeite in Berlin. Seit 25 Jahren. Und seit rund 20 Jahren habe ich die PAGE-Redak­tion nicht mehr besucht. Meine Beiträge fliegen digital in die Redaktion, Mitte der 1990er Jahre noch auf Dis­ket­te, danach per Mail. Mein 30-Jahre-PAGE-Zeitstrahl sieht so aus:

Siebert_PAGE-Zeitstrahl
Diese Vorbemerkungen helfen zu verstehen, warum ich hier das ein oder andere Kompliment gegenüber PAGE äußern kann, ohne mir damit selbst auf die Schultern zu klopfen. Tatsächlich hatte ich in den letzten zwei Jahrzehnten keinen Einfluss auf das Ta­ges­geschäft des von uns allen so ge­schätz­ten Magazins.

Im Herbst 1986 war die Mitgründung von PAGE zugleich mein Start ins Berufsleben. Dabei kamen zwei spannende Umstände zusammen, deren Trag­weite ich erst in den folgenden Jah­ren ganz verstand. Zum einen wurde gerade die Druckvorstufe umgekrempelt, zum anderen hatten wir mit PAGE die einmalige Gelegenheit, zu praktizieren, was wir predigten. In den USA nennt man das »dogfooding« (= »Eat your own dog food«). Die Seitengestal­tung unseres Hefts entstand von der ersten Ausgabe an am Computer. Oft nutzten wir die neu erschienenen Soft­wares einen Tag, nachdem wir die Rezension darüber geschrieben hatten.

Nach Erscheinen der Erstausgabe 1986 erlebte ich auf einer Büromesse in Köln, wie eine etablierte Industrie mit neuen technischen Heraus­for­de­run­gen umgeht. Getragen vom Optimismus einer leichtfüßigen neuen Art der Seitengestaltung, kassierte ich an den Ständen etablierter »Do­ku­ment­ver­arbeiter« wie Rank Xerox, Bert­hold oder Nixdorf ein müdes Lächeln. Sie nannten unsere Tools »Micky-Maus-Technik« und die Ergebnis­se sei­en blo­ßer »Firlefanz«.

Die ersten PAGE-Ausgaben sahen wirklich bescheiden aus. Nur warum erinnerten sich die alten Hasen nicht an die ersten Autos, die ersten Fern­seher, die Musikkassette: Jede neue Technologie startet bescheiden. Doch wenn sie nicht nach zwölf Monaten verschwunden ist, trägt sie eine Qua­li­tät in sich, die das Alte bald vergessen lässt. Eine solche versteckte Qualität zu erkennen zeichnet erfolgrei­che Un­ternehmer aus.

Als ich die Kölner Messe vier Jahre später erneut besuchte, waren viele der kritisch eingestellten Firmen gar nicht mehr mit Stand vertreten. Einige ihrer Bosse hatten die Fronten gewechselt, andere ritten mit ihrer Arroganz das nächste Unternehmen in eine Sack­gas­­se. So was geht sehr schnell, wenn man keine Ahnung vom eigenen Hun­de­fut­­ter hat, und erst recht, wenn man die ge­änderten Lebensumstände der Hun­de ignoriert.

Wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig erfindet sich die grafische In­dus­trie ständig neu. Auch das habe ich bei PAGE gelernt: Meist kommen die Erfin­der von der Seite, nicht aus der eige­nen Branche. Ein Uhrmacher namens Ottmar Mergenthaler hat 1889 mit der Linotype-Zeilensetzmachine die Satz­industrie in ein neues Jahr­hun­dert katapultiert. Der Elektrotech­niker Rudolf Hell erfand 1965 den elek­troni­schen Schrift­satz mit digitaler Spei­che­rung. Steve Jobs krempelte gleich mehrere In­dustrien um, nach der Druckvorstufe die Musikbranche und danach die Mobiltelefonie.

Zurück zur Eingangsfrage: Warum gibt es dieses Magazin noch? PAGE hat sich mit dem Wandel der visuellen Kom­munikation Flexibilität antrainiert und ist zum Wissensvermittler ge­wor­den, vor allem durch die Neugier der Redakteurinnen und Redakteure. Heu­te ist das gedruckte Heft nur ein Kanal für die Verbreitung von Wissen. Bücher, Seminare, die Website und an­dere Formate sind hinzugekommen. Die Agilität und die Begeisterungsfähigkeit der Redaktion ist ungebrochen, wie am ersten Tag. Und ich weiß, wovon ich rede.

Keiner kann heute sagen, wie PAGE in 30 Jahren aussehen wird. Doch was zu tun ist, damit es PAGE 2046 noch gibt, lässt sich in fünf Punk­ten zu­sam­menfassen: wissbegierig bleiben, auf die Leser hören, den Wandel der Me­di­en verfolgen, mitmischen und auf den Wettbewerb links und rechts achten.

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