Schönheit ist verzichtbar, KI nimmt uns Arbeit ab, China besteigt den Design-Thron: Jochen Rädeker hat acht streitbare Thesen zur Zukunft des Designs im neuen Jahrzehnt formuliert. Die erste These lautet: »Richtig ist das neue Schön« – und Stefan Sagmeister kontert.
Der Designberuf ist von jeher volatil. Nicht nur die Tools, mit denen wir arbeiten, ändern sich ständig und wachsen exponentiell, auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umstände fordern uns ständig heraus, die Rolle des Designs neu zu definieren – und ja, auch zu verteidigen. Zum Start ins neue Jahrzehnt wollten wir einen Blick in die Kristallkugel werfen: Was erwartet professionelle Designer in den 2020er Jahren? Wie verändern sich die Arbeitsbedingungen in Zeiten von Automatisierung und künstlicher Intelligenz? Wie verdienen wir in Zukunft unseren Lebensunterhalt?
Wie gerufen kam daher der Vorschlag von Jochen Rädeker, seine Gedanken zur Zukunft des Designs zur Diskussion zu stellen. Und so formulierte der Gründer der erfolgreichen Designagentur Strichpunkt für uns acht Thesen – bewusst zugespitzt und provokant. Weitere Thesen wird es demnächst in einem Buch zu lesen geben, an dem Rädeker derzeit arbeitet. Um direkt in die Debatte zu starten, haben wir zu jeder seiner Positionen auch gleich einen (oder zwei) Konter eingeholt. Man beachte: Jeder Autor bekam nur jeweils eine These vorgelegt mit der Einladung, darauf zu reagieren.
Die Ergebnisse sind mal angriffslustig, mal differenzierend, mal weiterdenkend – und immer spannend. In PAGE 3.20 – die Sie hier erwerben können – finden Sie alle acht Thesen samt Konter. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen und natürlich beim Mitdiskutieren! Auf PAGE Online veröffentlichen wir alle Thesen nach und nach und freuen uns auf regen Austausch – denn »Streit ist der Treibstoff des Fortschritts«, wie die »ZEIT« zum Start ihres »Streit«-Ressorts formulierte.
These 6: »Unvollkommenheit statt fertiger Produkte?« Jochen Rädeker erwartet in den 2020ern ein Höchstmaß an Individualisierung in drei zentralen Design-Bereichen. Markenexperte Klaus-Dieter Koch hält dagegen.
These 7: »Wem gehört die Designleistung?« Jochen Rädeker stellt Nutzungsrechte oder Stundensätze in Frage. Victoria Ringleb (AGD) reagiert.
Debatte: The Future of Design ++ Visual Trend: Cultural Cross-over ++ Für Kunden im Nahen Osten arbeiten ++ Top-Schriften für UI Design und Coding ++ Kundenbindung durch Erlebnisse: Innovationsprojekt für adidas ++ CD/CI: Vom PDF-Bericht zum kompletten Branding ++ EXTRA: Top 50: PAGE Ranking 2020
In den 2020ern wird alles gestaltet: Körper und Kulturen, Interfaces und Interaktionen, Strategien, Systeme und Services. Denn die Wirtschaft hat endlich erkannt: Bei zunehmend austauschbaren Produkten und Dienstleistungen, die alle auf denselben ausgereiften Technologien beruhen, liegt der Schlüssel zum Erfolg in benutzerfreundlichem Design und angewandter Kreativität. Sie sind der Extrakick, der den Unterschied macht – und gleichzeitig der Basisprozess bei der Entwicklung. Wir Designer wussten das schon immer, leider hat aber niemand zugehört. Ganz offiziell belegt das die Studie »The Business Value of Design«, die McKinsey Ende 2018 veröffentlichte. Wohlweislich hat der Konzern – wie andere Consultingriesen auch – einen eigenen Designableger gegründet, um davon zu profitieren.
Der Trend zur Schönheit – zur gleichen Zeit von Sagmeister & Walsh als große Wiederentdeckung gefeiert – wirkt daneben wie ein kleines Strohfeuer für Szenegänger. Denn: Keiner bezahlt dafür. Für alle, die zufällig kein Superstar sind und Kunden statt Museen bespielen, gilt: Nur was messbar ist, lässt sich auch managen. Design gehört zum Erfolgsbaukasten der Unternehmensführung – und wirkt nachhaltig. Schönheit ist und bleibt dagegen ein weitgehend individuelles, zerbrechliches Gut.
Deshalb wird Design in Zukunft mehr strategische Denkweise, wirtschaftliche Problemlösung und Businessmodell sein als primär ästhetisches Gestaltungs- oder Unterhaltungsmittel. Entsprechend werden Kreativwettbewerbe wie die von ADC oder Red Dot (und andere erst recht) in ihrer bisherigen Ausrichtung keine Rolle mehr spielen, weil kreative Lösungen viel direkter am Unternehmenserfolg ablesbar sind – dafür werden sie schließlich auch beauftragt. Für unverbesserliche Ästheten bleibt die Erkenntnis: Wie schön, dass Schönheit nachweislich wirkt, weil wir intuitiv Schönes mit Gutem gleichsetzen. nach oben
KONTER: Es lebe die Schönheit!
Ich bin froh für alles, was in irgendeiner Weise zur Verbreitung der Idee von Schönheit als Ziel unter Firmen führen kann. Ich hoffe, dass Jochen Rädeker recht behält und die McKinsey-Studie »The Business Value of Design« viel, viel erfolgreicher wird als unsere Ausstellung, unser Buch und meine Vorträge zur Schönheit! Da die »Beauty«-Ausstellung in den ersten beiden Städten eine viertel Million Besucher anzog – es gibt erstaunlich viele Szenegänger in Wien und Frankfurt – und 600 Artikel darüber geschrieben wurden, wird die McKinsey-Studie eine wahre Lawine an Schönheit lostreten, rechtzeitig zur Präsentation unserer Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe.
Wir selbst sind durch Erfahrung in unserem Studio darauf gekommen, dass immer, wenn wir die Form sehr ernst nehmen und viel Liebe in die Schönheit stecken, die resultierende Arbeit viel besser funktioniert. Wir haben dies in der Zwischenzeit auch bei vielen anderen Beispielen festgestellt: Denken Sie nur an die funktionalen Wohnblöcke aus den 1970er Jahren, die in den 1990ern schon wieder gesprengt werden mussten, weil niemand darinnen wohnen wollte. Sie hätten viel besser funktioniert, wenn Schönheit bei der Planung ein Teil des Ziels gewesen wäre. Die Leute hätten sich in ihnen wohler gefühlt – eine wichtige Funktion im Wohnbau –, und die Gebäude wären langlebiger gewesen.
Stefan Sagmeister ist österreichischer Grafikdesigner und Typograf. Bis Mitte 2019 führte er mit Jessica Walsh das Designstudio Sagmeister & Walsh in New York. Ihre gemeinsam kuratierte Ausstellung »Beauty« ist gerade im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen (bis 26. April).
Bitte diskutieren Sie mit! Nutzen Sie dafür einfach die Kommentarfunktion unter dem Artikel. Und bleiben Sie dran: Jede Woche veröffentlichen wir eine neue These von Jochen Rädeker samt Konter.
Es lebe die Schönheit! Dem schließe ich mich an. Der Markt würde nicht leben, er würde nicht genügend Bedarf generieren, wenn es das menschliche Verlangen nach Schönheit nicht gebe. Denn Funktionalität ist schnell erreicht. Die perfekte Schönheit bleibt immer unerreichbar. Menschen schrieben diese gern dem Göttlichen zu. Was hat der Mensch auf der Suche nach Schönheit erschaffen? Das Leben? Was auf der Suche nach reiner Funktionalität? Den Tod?
PS: Ästhetisch wertvolle Häuser werden gern renoviert!
Lynn schreibt
Die aktuelle Page-Ausgabe und der leider etwas tapsige Versuch einen Diskurs über die Zukunft des Designs anzustoßen bezeugt meiner Meinung nach leider nur eins: Das Verständnis von Design in der deutschen “Designszene” ist weiterhin sehr eindimensional und alles andere als zukunftsfähig.
Als Designwissenschaftlerin bin ich doch etwas sehr verwundert, dass sich fast alle Thesen nur um den kommerziellen Nutzen von Design drehen. Die wenigen nicht-kommerziellen Ansätze werden hier als “heisser Zukunftsscheiss” verkauft. Dabei entspringen viele dieser Ansätze aus Bewegungen der 60er,70er, 80er und 90er Jahre, wie etwa des Social Designs (ja diesen Begriff gibt es schon seit 60 Jahren), Design Anthropologie, Radical Design und Critical Design. Wer an dieser Stelle überrascht ist, dem lege ich nahe sich mit Viktor Papanek, Enzo Manzini oder Anthony Dunne auseinander zu setzen – um nur sehr wenige frühere Akteure zu nennen.
Design war schon immer verantwortungsbewusst, nutzerorientiert und nachhaltig – eben weil es sich schon immer parallel und jenseits von wirtschaftlichen Interessen weiterentwickelt hat. Es war nur sehr lange nicht en vogue darüber zu sprechen. Vermutlich weil sich diese Ansätze finanziell für keinen Kunden gelohnt haben, bevor diverse Trends wie z.B.: Greenwashing zu einer beliebten Marketingstrategie wurden.
Keine der Thesen behandelt die Rolle des Designs als Befähiger und Übersetzer in wissenschaftlichen und gesellschaftsorientierten Innovationsprozessen. Dabei ist das ein unfassbar spannender Nährboden für die Designdisziplin. Methodische Designansätze aus dem Speculative Design und Design Fiction werden leider nicht mal ansatzweise erwähnt.
Die zunehmende Verschmelzung von Design und Biotechnologie wie sie bereits seit Jahren am Royal Collage of Arts, am MIT oder auch in Biotechfirmen (wie etwas Gingko Bioworks) stattfindet, ist weitaus realistischer als die Tatsache, dass die Chinesen die Weltmacht im Design ergreifen, nur weil Deutschland kein ausgebautes 5G Netz hat. Man kann nur hoffen, dass Herr Rädeker einen ausgefeilten Sinn für Sarkasmus hat.
Allein beim Lesen der neuen Nationalen Bioökonomiestrategie, die vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde, lassen sich weitaus mehr realistische Thesen für die Zukunft des Designs ableiten als aus der aktuellen Page-Ausgabe.
Vor allem fehlt mir bei diesen Thesen aber ein sehr relevanter Aspekt: Design im interkulturellen Kontext. Ich beziehe mich hier vor allem auf “Design for the Pluriverse” von Arthuro Escobar oder “Decolonising Design” Ansätzen von Dori Tunstall.
Wer so vielversprechende Thesen formuliert, dass der Designer zum “Universalisten” oder “Weltretter” wird, der sollte auch erwähnen, dass Design-Lösungen, die im westlichen Kontext entwickelt werden, nicht einfach ohne Weiteres in andere kulturelle Kontexte übertragen werden können. Wer sich mit aktuellen sozio-ökologischen Herausforderungen auseinandersetzt, muss zunächst ein Verständnis für kulturelle Diversität und ein differenzierteres Naturverständnis entwickeln.
So sehr ich ich auch (recht offensichtlich) den Versuche unterstütze, einen Diskurs anzustoßen, so sehr bedauere ich die nicht sehr durchdachte Umsetzung.
Das was hier angestoßen wird ist weitaus mehr als ein Kaffeeplausch und paar Zankereien unter Designern. Die Zukunft des Designs betrifft schlussendlich alle.
Solche Designthesen lese ich mir immer mit einem gewissen Abstand durch. Denn wie oben schon erwähnt ist es bewusst zugespitzt (mit dem Ziel eine Debatte zu erzeugen). Man müsste sich von 10 Designern die Meinung durchlesen. Nur wenn man einen gemeinsamen Punkt findet, könnte man diesen als allgemeingültig nehmen. Der Rest sind Variablen, die je nach Designdisziplin auftreten, und auch dort ihre Daseinsberechtigung haben. Nichts destotrotz ist die Kombination von allem eher der Fall, da Design so vielfältig ist.
Verdammt, jetzt habe ich doch noch mit debattiert
Es lebe die Schönheit! Dem schließe ich mich an. Der Markt würde nicht leben, er würde nicht genügend Bedarf generieren, wenn es das menschliche Verlangen nach Schönheit nicht gebe. Denn Funktionalität ist schnell erreicht. Die perfekte Schönheit bleibt immer unerreichbar. Menschen schrieben diese gern dem Göttlichen zu. Was hat der Mensch auf der Suche nach Schönheit erschaffen? Das Leben? Was auf der Suche nach reiner Funktionalität? Den Tod?
PS: Ästhetisch wertvolle Häuser werden gern renoviert!
Die aktuelle Page-Ausgabe und der leider etwas tapsige Versuch einen Diskurs über die Zukunft des Designs anzustoßen bezeugt meiner Meinung nach leider nur eins: Das Verständnis von Design in der deutschen “Designszene” ist weiterhin sehr eindimensional und alles andere als zukunftsfähig.
Als Designwissenschaftlerin bin ich doch etwas sehr verwundert, dass sich fast alle Thesen nur um den kommerziellen Nutzen von Design drehen. Die wenigen nicht-kommerziellen Ansätze werden hier als “heisser Zukunftsscheiss” verkauft. Dabei entspringen viele dieser Ansätze aus Bewegungen der 60er,70er, 80er und 90er Jahre, wie etwa des Social Designs (ja diesen Begriff gibt es schon seit 60 Jahren), Design Anthropologie, Radical Design und Critical Design. Wer an dieser Stelle überrascht ist, dem lege ich nahe sich mit Viktor Papanek, Enzo Manzini oder Anthony Dunne auseinander zu setzen – um nur sehr wenige frühere Akteure zu nennen.
Design war schon immer verantwortungsbewusst, nutzerorientiert und nachhaltig – eben weil es sich schon immer parallel und jenseits von wirtschaftlichen Interessen weiterentwickelt hat. Es war nur sehr lange nicht en vogue darüber zu sprechen. Vermutlich weil sich diese Ansätze finanziell für keinen Kunden gelohnt haben, bevor diverse Trends wie z.B.: Greenwashing zu einer beliebten Marketingstrategie wurden.
Keine der Thesen behandelt die Rolle des Designs als Befähiger und Übersetzer in wissenschaftlichen und gesellschaftsorientierten Innovationsprozessen. Dabei ist das ein unfassbar spannender Nährboden für die Designdisziplin. Methodische Designansätze aus dem Speculative Design und Design Fiction werden leider nicht mal ansatzweise erwähnt.
Die zunehmende Verschmelzung von Design und Biotechnologie wie sie bereits seit Jahren am Royal Collage of Arts, am MIT oder auch in Biotechfirmen (wie etwas Gingko Bioworks) stattfindet, ist weitaus realistischer als die Tatsache, dass die Chinesen die Weltmacht im Design ergreifen, nur weil Deutschland kein ausgebautes 5G Netz hat. Man kann nur hoffen, dass Herr Rädeker einen ausgefeilten Sinn für Sarkasmus hat.
Allein beim Lesen der neuen Nationalen Bioökonomiestrategie, die vor wenigen Wochen veröffentlicht wurde, lassen sich weitaus mehr realistische Thesen für die Zukunft des Designs ableiten als aus der aktuellen Page-Ausgabe.
Vor allem fehlt mir bei diesen Thesen aber ein sehr relevanter Aspekt: Design im interkulturellen Kontext. Ich beziehe mich hier vor allem auf “Design for the Pluriverse” von Arthuro Escobar oder “Decolonising Design” Ansätzen von Dori Tunstall.
Wer so vielversprechende Thesen formuliert, dass der Designer zum “Universalisten” oder “Weltretter” wird, der sollte auch erwähnen, dass Design-Lösungen, die im westlichen Kontext entwickelt werden, nicht einfach ohne Weiteres in andere kulturelle Kontexte übertragen werden können. Wer sich mit aktuellen sozio-ökologischen Herausforderungen auseinandersetzt, muss zunächst ein Verständnis für kulturelle Diversität und ein differenzierteres Naturverständnis entwickeln.
So sehr ich ich auch (recht offensichtlich) den Versuche unterstütze, einen Diskurs anzustoßen, so sehr bedauere ich die nicht sehr durchdachte Umsetzung.
Das was hier angestoßen wird ist weitaus mehr als ein Kaffeeplausch und paar Zankereien unter Designern. Die Zukunft des Designs betrifft schlussendlich alle.
Solche Designthesen lese ich mir immer mit einem gewissen Abstand durch. Denn wie oben schon erwähnt ist es bewusst zugespitzt (mit dem Ziel eine Debatte zu erzeugen). Man müsste sich von 10 Designern die Meinung durchlesen. Nur wenn man einen gemeinsamen Punkt findet, könnte man diesen als allgemeingültig nehmen. Der Rest sind Variablen, die je nach Designdisziplin auftreten, und auch dort ihre Daseinsberechtigung haben. Nichts destotrotz ist die Kombination von allem eher der Fall, da Design so vielfältig ist.
Verdammt, jetzt habe ich doch noch mit debattiert