Überlassen wir die langweiligen Jobs doch den Maschinen, meint unser Kolumnist Jürgen Siebert.
Anfang Mai löste die Entwicklerkonferenz Google I/O Diskussionen über Technik und Ethik aus. Mit zwei aufgezeichneten Telefonaten demonstrierte Google, wie Computer bei einem Friseur einen Termin vereinbarten und einen Tisch in einem Restaurant reservierten – und deren Mitarbeiter dabei glauben ließen, sie sprächen mit einem Menschen. Die Software war dabei sogar mit Pausen und Zwischenlauten wie »ähm« und »hmm« darauf getrimmt, besonders menschlich zu klingen. Google zufolge macht das die Unterhaltung »natürlicher«.
In den Social Media ging es dann um Fragen wie: Sollten Sprachroboter nicht grundsätzlich dazu verpflichtet werden, sich zu Beginn der Unterhaltung dem menschlichen Gegenüber vorzustellen? Wie werden solche Technologien die Arbeitswelt verändern? Wenn diese Duplex genannte Technik schon so fortgeschritten ist, warum präsentierte Google dann nur zwei Aufzeichnungen und kein Live-Telefonat?
Die Antwort auf die letzte Frage erschließt sich aus den Hintergrundinformationen zu Duplex, die das Unternehmen in seinem KI-Blog nachlieferte. So verblüffend »geschmeidig« sich die beiden Demotelefonate für Außenstehende auch anhören, es ist eine technische Inszenierung. Das System wurde über Monate auf diese Aufgaben trainiert: »Vereinbare einen Termin« und »Reserviere einen Tisch«. Bereits das Bestellen einer Pizza würde einen erneuten Trainingszyklus erfordern. Ganz zu schweigen von einer Unterhaltung, die sich weder mit Duplex noch mit den populäreren Sprachassistenten Siri oder Alexa führen lässt.
Telefonroboter befinden sich auf dem Stand von Industrierobotern, die ebenfalls nur sehr spezielle »Handgriffe« durchführen können. In der Automobilindustrie machen sie das seit Mitte der 1970er Jahre. Sicherlich verrichten sie ihr Werk heute noch raffinierter, preiswerter und umfangreicher als damals. Aber von einer Übernahme der Automobilproduktion durch Roboter zu sprechen wäre eine Übertreibung. Und über die Verdrängung des Menschen in diesem Bereich klagt man seit Jahren nicht mehr.
Was dem Umgang mit neuen Technologien eher schadet, sind in gleichem Maße übertriebener Pessimismus wie Optimismus.
Ich vertrete sowieso die sicherlich optimistische Ansicht, dass Automatisierung und Rationalisierung die eher langweiligen Aufgaben in den Industrien beseitigen. Gleichzeitig begrüße ich jede politische Initiative, die sich aktiv darum bemüht, dass solche Veränderungen kontrolliert ablaufen. Was solchen Entwicklungen eher schadet, sind in gleichem Maße übertriebener Pessimismus wie Optimismus.
In der grafischen Welt, die ich seit über 30 Jahren verfolge, sind viele stupide Tätigkeiten verschwunden, zum Beispiel bei der Seitengestaltung die gesamte Arbeitskette Manuskripterfassung, Textsatz, Klebelayout, Reprofotografie, Bogenmontage und so weiter. In ähnlicher Weise hat die Digitalisierung das Handwerk von Musikern, Fotografen und Architekten nachhaltig vereinfacht. Und das überwiegend zum Vorteil, denn wer möchte noch in einer Welt ohne Copy-and-paste oder Undo leben?
Die Zukunft gehört den künstlich intelligenten Werkzeugen, auch wenn – oder gerade weil – sie in den nächsten Jahren keine intelligenten Telefonate führen werden. Und wenn man den Erfahrungsberichten aus datenintensiven Branchen glauben darf, wo die KI-Assistenten längst zum Einsatz kommen, zeichnet sich eine eher angenehme Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine ab. Übersetzungsbüros, Finanzdienstleister, Juristen und auch Mediziner bereiten sich auf eine Zukunft als Supervisor vor. Dass dieses Schicksal auch die Welt des Designs ereilen wird, habe ich an dieser Stelle in PAGE 02.18 beschrieben.
Politisch und wirtschaftlich gilt es in den kommenden Jahren zwischen zwei Haltungen zu vermitteln: 1. Die Maschine kann immer mehr, macht die Preise kaputt und ersetzt menschliche Tätigkeiten. 2. Die Maschine macht den Menschen produktiver, seine Arbeit preiswerter und damit attraktiver.
Dass die Maschine auf die Gehälter drückt, ist ja nur die »Glas halb leer«-Sichtweise. »Glas halb voll« heißt: Wie nutze ich die Maschine, um mein Glas wieder bis zum Rand aufzufüllen? Wenn der Wert der Arbeit durch die Maschinen sinkt, steigt der Wert jener menschlichen Fähigkeiten, die Maschinen nicht leisten können. Diese gilt es nun zu erkennen, zu entwickeln und auf dem Arbeitsmarkt anzubieten.