Unser Kolumnist Jürgen Siebert rät Kreativen, den Wert ihrer Arbeit nicht zu verniedlichen.
Kreativität sei das Kapital der Zukunft, heißt es in Sonntagsreden der Wirtschaft unablässig. Wir schätzen Menschen, die »was mit Kunst oder Medien machen«. Allein die Bemessung des Wertes solcher Tätigkeiten bleibt seit Jahrzehnten rätselhaft. Wer seinen Lebensunterhalt in der Kreativwirtschaft bestreitet, weiß, dass es den Königsweg von der Idee zur Rechnung nicht gibt.
Fotografen, Musiker, Schriftsteller oder Filmemacher haben es vergleichsweise gut: Sie erzeugen geistiges Eigentum oder IP (intellectual property), wie man im englischsprachigen Raum zu sagen pflegt. Für ihre Produkte gibt es nicht nur jede Menge Businessmodelle, auch rechtlich sind ihre Schöpfungen gut behütet. Doch wie steht es um das Schaffen von Designern, Developern, Textern, Illustratoren und vielen anderen kreativen Talenten?
Wer seinen Neigungen folgt, steht schnell im Verdacht, ein Hobby zum Beruf zu machen. Malen, schreiben und gestalten . . . das macht doch Spaß. Wenn einem was im Blut liegt, zum Beispiel das Analysieren von Werbetexten, dann tut man das ohnehin den ganzen Tag und kann nicht anders. Und wenn dir dann morgens beim Duschen ein geiler Claim einfällt . . . Hey, was ist daran anstrengend? Warum soll das was kosten?
Viele Kreative wehren sich nicht mal gegen die Geringschätzung ihrer Arbeit. Sie befördern es sogar, mit Sprüchen wie »Geld ist mir nicht wichtig« oder »Ich profitiere von der viralen Verbreitung«. Erschwerend kommt hinzu, dass sie oft nicht in der Lage sind, den Wert ihrer Leistung zu beschreiben, geschweige denn nüchtern zu bemessen – ja, mit einer richtigen Rechnung. Die »ZEIT« brachte es Anfang Februar so auf den Punkt: »Niemand verhandelt schlechter als Kreative.« Sie sollten unbedingt lernen, über Geld zu reden. »In knappen, klaren Worten, ohne falsche Scham.«
You think differently, work differently – so deal differently
Erica Wolfe-Murray, Gründerin von Lola Media, www.lola-media.co.uk
Glücklicherweise verfügen wir über wertvolle Ratgeber zu diesem Thema, beispielsweise Berufsverbände, aber auch Wirtschaftsvertreter. Und es gibt Berater/innen, die auf dieses Gebiet spezialisiert sind. Eine von ihnen ist die Britin Erica Wolfe-Murray mit ihrer Firma Lola Media. Zu deren Klienten gehören kleine und große Designbüros, selbst Neville Brody holte die Beraterin zu einem zweitägigen Workshop ins NB Studio. Anfang März verriet sie bei den CreativeMornings Berlin mehr über ihre Businessstrategien. Und fast jeder ihrer Merksätze ließe sich einrahmen und über die Schreibtische Kreativer hängen – als Motivation für das nächste Angebot: »Creativity drives value« Punkt, »It is an asset, not a service« Punkt, »Be a partner to your clients. Don’t allow yourself to be put in a child’s role« Punkt, »Stop giving away power« Punkt, »You think differently, work differently – so deal differently« Punkt.
Doch Wolfe-Murray stellt nicht nur Ratschläge in den Raum – sie liefert auch praktische Methoden. Wenn es wirtschaftlich klemmt oder die Auftragslage mau ist, rät sie Kreativen zu folgender Selbstreflexion: »Macht zwei Listen. Erst eine mit allen, die euch schon mal bezahlt haben. Dann eine mit allem, wofür ihr bezahlt wurdet. Jetzt denkt darüber nach, was ihr ehemaligen und künftigen Auftraggebern anbieten könntet.« Klingt einfach, ist es auch . . . man muss es nur machen.
Am Ende der Veranstaltung fragte ich Erica Wolfe-Murray: Wie schafft es eine Beraterin, andere Berater zu beraten? Sie gab eine verblüffend einleuchtende Antwort. »Der Job kreativer Profis ist es, für ihre Auftraggeber zu denken. Mein Auftrag ist es, mit ihnen über sich selbst nachzudenken.« Zwischendurch zückt sie das eine oder andere Businessmodell aus ihrer Schatztruhe, einem Fundus von 52 Kalkulationen. Fast alle basieren auf IP, also dem geistigen Eigentum der Kreativen.
Als Postmaterialisten tun sich viele Designer schwer mit Eigentum. Doch hier geht es nicht um Immobilien oder Luxusgüter, sondern um eine gelieferte Leistung, mit der Auftraggeber nicht selten Millionen Umsätze machen. Aus diesem Grund empfiehlt Erica Wolfe-Murray Kreativen dringend, sich mit Themen wie Patenten, Urheberrechten und Nutzungslizenzen zu beschäftigen. Sie bilden seit Jahrzehnten den Unterbau für die Arbeit von Fotografen, Autoren, Komponisten, Textern und Architekten – warum nicht für Werber, Designer und Illustratoren? Auf kostenlose Pitches zu verzichten wäre ein erster Schritt, die präsentierten Inhalte zu schützen ein zweiter.
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