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Die besten Mal-App-Künstler

Das Angebot an gelungenen mobilen Mal- und Zeichenapps ist riesig. Wir stellen sieben Digital Artists vor, die auf Smartphone und Tablet echte Meisterwerke schaffen.

Wer sich im iTunes Store auf die Suche nach einer geeigneten Mal-App macht, verbringt dort schon mal einige Stunden. Dafür sorgt eine Vielzahl von Anbietern mit unterschiedlichsten Herangehensweisen an Interface Design, Usability und Haptik. Das Spektrum reicht von digitalen Notizbuch-Varianten so traditionsreicher Firmen wie Moleskine bis zu mobilen Apps, die das Desktop-Portfolio von Adobe und Autodesk ergänzen. Nicht zuletzt locken kleine Softwareanbieter wie FiftyThree mit großartig gestalteten Anwendungen wie der iPad-App Paper, 2012 ausgezeichnet mit dem Apple Design Award.

In den letzten Jahren erschienen etliche lohnenswerte Android-Apps, etwa ArtFlow oder Infinite Painter. Auch Windows-Devices gewinnen an Bedeutung. Besonders Microsofts Surface Pro reizt Profis; und auch Microsofts eigene Mal-App Fresh Paint kann sich sehen lassen. Außerdem laufen auf dem Surface auch die Desktop-Versionen von ArtRage, SketchBook oder MangaStudio.

Wir haben App-Künstler aus aller Welt nach ihren Favoriten und ihrem Workflow gefragt:

 

Craig Newsom und Kara Jansson arbeiten schon seit 2011 als CoalFather an gemeinsamen Projekten. Als Basis für ihre schrillen Videos und Collagen dienen oft Fotos oder in Autodesks 123D Sculpt entworfene 3D-Objekte, die sie in Procreate, Brushes oder SketchBook Pro um Zeichnungen ergänzen.

»Weil wir an verschiedenen Orten leben – Craig in Illinois und Kara in New York – passiert unser gesamter Workflow online. Den Löwenanteil unserer Zeit nimmt das Sammeln und Organisieren von Video Footage, Bilder und Audio-Content in Anspruch. Das meiste Material wurde mit dem iPhone aufgenommen und stammt von lizenzfreien Quellen im Netz. Oder wir zeichnen es auf dem iPad mit Procreate, Brushes oder Sketchbook Pro. Wir teilen uns ein großes Online-Archiv mit Material. Meist beginnt einer von uns mit einem Bild und ein paar Ebenen den Hintergrund für ein Werk aufzubauen; dann gibt er es an den anderen weiter, der es nachbearbeitet und neu zusammensetzt. 

Wir konzentrieren uns auf zeitgenössische Themen, erschaffen eine verlorene und chaotische digitale Welt, in der Orte und Bedeutungen nicht feststehen. Gleichzeitig ist unsere Arbeit das Produkt genau dieser Welt, entstanden auf Mobilgeräten, zu beliebigen Zeiten und an unbestimmten Orten. Wir sind uns der Ironie bewusst. «

 

Jaime Sanjuan Ocabo bringt das iPad buchstäblich um den Schlaf, denn er zeichnet am liebsten nachts. Dass er seine in Procreate erstellten hyperrealistischen Szenen mit den Fingern malt, ist kaum zu glauben. Fast einhundert Stunden dauert es, bis ein Bild fertig ist.
 

» Ich habe Bildende Kunst studiert, mit Schwerpunkten Plastik, Design und Medienkunst. Zur Zeit schreibe ich meine Doktorarbeit in Kunst und Neuen Technologien an der Universität Saragossa in Spanien. Weil ich kein eigenes Studio habe, habe ich fast fünf Jahre lang nicht gemalt – bis ich vor einem Jahr auf Mal-Apps gestoßen bin. Das hat wirklich mein Leben verändert, denn dadurch habe ich mein Studio auf dem iPad und somit immer bei mir. Ich benutze die exakt die gleichen Techniken, die ich auch analog einsetzen würde. Deshalb nenne ich meine Bilder auch Digital Oils.«

 

 

Filmkulissen sind das täglich Brot des norwegischen Digital Artists Nikolai Lockertsen. Er schätzt die Arbeit mit Procreate auf dem iPad vor allem wegen der Möglichkeit, Bilder in 4K zu exportieren. Je nach Komplexität braucht er zehn bis 20 Stunden für seine großartigen, an Filmstills erinnernden Bilder. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Procreate-Tutorials.

 

» Ich habe als Concept Artist und Matte Painter an mehr als 30 Spielfilmen sowie zahlreichen TV- und Werbeproduktionen mitgearbeitet. Seit ich vor einigen Jahren die Procreate-App und damit die Möglichkeit, in 4K zu malen, für mich entdeckt habe, fertige ich all meine Concept Artworks und meine privaten Zeichnungen auf dem iPad an. Ich liebe das Format und die Flexibilität, die es mir bietet. Ich benutze verschiedene Pinsel, zum Beispiel den Sensu Brush und den Adonit Touch 4. Beide haben eine gute Drucksensitivität. Der Hex3 hat ebenfalls eine Menge coole Features.

Mein Tipp an App-Maler: Beginne immer mit einem großen Pinsel und arbeite Dich zu den feineren Werkzeugen durch. Zoome nicht ins Bild ein oder beginne, an Details zu arbeiten, bevor Deine Komposition wirklich sitzt. Und vor allem: keine Angst vor ungewöhnlichen Farben oder radikalen Ideen! « 

 
 
Paul Vera-Broadbent aus Liverpool hat als Digital Artist an der Produktion von über 40 Games mitgewirkt. In seiner Freizeit setzt er sich ans iPad oder ans Surface Pro. Besonders seine Interpretationen alter Meister im Polygonstil sind beeindruckend. Das Zeitraffervideo zeigt den Entstehungsprozess des Gemäldes A Table of Fruit, das in über 25 Arbeitsstunden in Fresh Paint auf dem Microsoft Surface Pro entstand.

 

» Die bessere Auflösung war einer der Hauptgründe, weshalb ich vom iPad zum Surface gewechselt bin. Das Surface ist großartig – es fühlt sich ähnlich an, wie das iPad, jedoch etwas professioneller. Weil ich immer schon auf Windows-Devices gearbeitet habe, fühlten sich die Benutzeroberfläche und das System, um Dateien zu verwalten, gleich vertraut an. Beim Malen ist die integrierte Druckempfindlichkeit ein echter Vorteil. Meist nutze ich die App Fresh Paint, die Ölmalerei sehr gut simuliert, oder auch Autodesks Sketchbook Pro 6, die auf dem Surface sogar noch etwas besser läuft als auf dem iPad.
 
Ich bin vor allem für meine Bilder im Polygonstil bekannt, für die ich jeweils etwa eine Woche brauche. An meiner Version des »Schwur der Horatier« habe ich sogar volle zwei Monate gearbeitet. Der erste Schritt jedes Gemäldes ist immer, sich ein Bild so vorzustellen als bestünde es aus lauter Vielecken. Das ist gar nicht so einfach, denn man muss sich dazu das Bild zunächst als dreidimensionales Modell vorstellen und es kann vorkommen, dass einige Bereiche strukturell schwer zu verstehen sind. Den letzten Schritt mag ich am Liebsten, dabei experimentiere ich mit verschiedenen Oberflächenbehandlungen und füge zusätzliche Details und die Stimmung zu.
 
Meine Artworks verkaufe ich über eine Reihe von Galerien in Liverpool und Barcelona. Als ich begann, alte Meister zu kopieren, habe ich mich umgehört, was ich wegen des Urheberrechts beachten muss. Für eines meiner ersten Werke, »Die Hinrichtung der Lady Jane Grey«, kontaktierte ich sogar die National Gallery in London, wo das Original von Delaroche hängt. Dort bestätigte man mir, dass ich meine Arbeiten verkaufen könne. Etwas kompliziertes sieht es mit Kopien jüngerer Werke aus – so holte ich zum Beispiel vorsichtshalber das OK des zeitgenössischen texanischen Malers Graydon Parrish ein, bevor ich eines seiner Portraits im Polygon-Look umsetzte. Ich liebe seine Arbeiten, daher war es fantastisch, dass er mich unterstützte und dass ihm meine Version gefiel. «

 


Das Beste an der Arbeit am Tablet? Dass man nie Zeit vergeudet, so der
Digital Artist Roz Hall aus dem englischen Arundel. Seine realistischen Porträts entstehen oft auf einem Microsoft Surface 2 Pro in SketchBook Pro oder, wie hier, auf einem iPad der dritten Generation mit der App und einem Sensu Pinsel. Dafür braucht er nur 3 bis 8 Stunden. Die fertigen Werke druckt er aus und stellt sie in Galerien aus.

 

»Meist zeichne ich einfach nach Fotos – ganz klassisch, nach dem Rasterprinzip, um die Proportionen korrekt abzubilden. Ich zeichne gern auf langen Zugfahrten, im Aufenthaltsraum im Büro, oder abends auf dem Sofa, wenn die Kinder im Bett sind. Das ist großartig, weil ich wenig Zeit und kein eigenes Studio habe. Wenn ich fertig bin, kann ich meine Werke direkt auf Flickr posten. Die Community dort ist stark, man tauscht sich aus. Angefangen habe ich auf dem iPhone, inzwischen nutze ich hauptsächlich das Surface 2 Pro. Dass man darauf Desktop-Applikationen benutzen kann – in meinem Fall Autodesks Sketchbook Pro – ist ein Traum. Ich drucke meine Werke nämlich in der Regel aus und zeige sie in Galerien, und so kann ich in einer wesentlich besseren Auflösung zeichnen und auch individuelle Leinwandgrößen nutzen. «

 

Der in der Tablet-Art-Szene als Fabric Lenny bekannte Künstler Paul Slater aus Yorkshire machte sich vor allem durch sein kollaboratives Projekt »Woven Narratives« einen Namen, das er gemeinsam mit dem in Charlotte, North Carolina, lebenden Maler Jonathan Grauel betrieb. Digital, aber auch per Post schickten beide ihre Werke immer wieder hin und her, um abwechselnd Formen und Farben zu ergänzen. Auf der Projekt-Website kann man zusehen, wie die Bilder entstehen. Im Moment arbeitet Fabric Lenny vorzugsweise mit der App Sketchbook Ink an einem Wacom Companion Hybrid Tablet im Android-Modus
 
» Ich arbeite prinzipiell sehr spontan und weniger planvoll, wodurch sich Bilder und Inhalte im Zeichenprozess entwickeln. Oft nutze ich auch Endloslinien, und ich bin sehr interessiert am negativen Raum, der durch das Zeichnen von Formen und Umrissen von Figuren entsteht, und der potenziell für neue Bildwelten zur Verfügung steht. Dadurch gleicht mein Prozess wohl dem einer visuellen Archäologie, bei der mir das Zeichnen erlaubt, im Bild zu graben und verborgene Elemente freizulegen. « 

 

 

Der Hamburger Webdesigner Benjamin Rabe engagiert sich schon lange auf der Plattform FingerPainted.it und organisierte 2010 die erste Konferenz zum Thema, die Mobile ArtCon in New York. Aktuelle Entwicklungen und Trends der Mal-App-Szene diskutiert der Gestalter in seinem unregelmäßig erscheinenden Magazin »The Nimble«, das über iTunes erhältlich ist. Das Video zeigt eine künstlerische Live-Projektion, die Rabe 2013 mit der App Tagtool im Altonaer Museum in Hamburg veranstaltete.

 

»Mich fasziniert nach wie vor das iPhone, weil man es wirklich immer zur Hand hat und es sich so gut zum Doodlen und schnellen Skizzieren eignet. 

Wir müssen lernen, weniger skeuomorph zu arbeiten, ohne dabei nur digital zu denken. Wir schaffen Kunst mit Daten, direkt, aber eben nicht algorithmisch. Das ist eine neue Qualität, die sichtbar gemacht werden muss.«
 

 

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Best-Practices und Beispiele im User Experience Design und Interface Design

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Was soll ich sagen

  2. Viel Spaß damit, dr.know!

  3. Wow! Die App Tagtool ist ja der absolute Hammer! Danke Benjamin Rabe für den tollen Tip! Krasses Ding!

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