In der aktuellen PAGE gehen wir den Stärken und Schwächen von Printwerbung im digitalen Zeitalter auf den Grund. Hier weitere Statements kreativer Köpfe.
In der aktuellen PAGE gehen wir den Stärken und Schwächen von Printwerbung im digitalen Zeitalter auf den Grund.
PAGE hat bei Deutschlands kreativen Köpfen nachgefragt, welche Gründe es gibt, heute auf das analoge Format zu setzen. Im Heft stehen unter anderem Stefan Kolle und Dörte Spengler-Ahrens Rede und Antwort. Hier gibt’s weitere Statements aus der Branche.
»Papier ist weniger vergänglich als ein RSS Feed«
Amir Kassaei, Kreativchef DDB Worldwide
Die Stärken von Printwerbung liegen immer noch in ihrer Relevanz für das Leben der Menschen. Papier ist weniger vergänglich als ein RSS Feed. Die Schwäche ist die Geschwindigkeit und ihre schnell verlierende Bedeutung. 99% der Printwerbung ist schlecht, weil weder die Auftraggeber noch die Agenturen sich ernsthaft mit dem Medium auseinandersetzen und ihre Möglichkeiten ausschöpfen. Im Agenturalltag von heutigen Kreativen spielt Print nur noch eine geringe Rolle. Solange es sich bei QR-Code-Anwendungen nur um Spielereien ohne einen relevanten Grund und Nutzen und Erweiterung handelt, halte ich davon nichts.
»Eine gute Printkampagne braucht Ruhe, Liebe und Sorgfalt«
Ralf Heuel, Kreativchef Grabarz & Partner
Die Stärken von Printwerbung liegen sicher im hohen Leser-Involvement und in der hohen Glaubwürdigkeit. Richtig genutzt, hat kein anderes Medium eine solche Autorität. Außerdem gehört Print zu den wenigen Medien, die man nicht nebenbei konsumiert. Die Schwächen: Print ist nicht unbedingt das interaktivste Medium. Und ohne Bewegtbild oder Ton große Emotionen zu erzeugen, ist nicht ganz einfach. Für Worst-Case-Beispiele muss man nur mal den aktuellen Spiegel durchblättern. Wenn man ehrlich ist, ist da nicht eine halbwegs ordentliche Anzeige drin. Es gibt leider viele Anzeigen, die eigentlich lieber ein Plakat wären. Oder die an den TV-Spot erinnern sollen. Oder die lediglich als Rampe fürs Online dienen.
Eine gute Printkampagne braucht Ruhe, Liebe und Sorgfalt. Das ist bei den heutigen Timings zunehmend schwierig. Es gibt immer weniger Zeit, handwerkliche Präzision wird immer weniger wichtig. Vielen Layouts und Fotos sieht man an, dass sie mit dem Computer und nicht mit dem Kopf und dem Herz gemacht wurden. Dazu kommt noch die beliebte Media-Optimierung, die eine atemberaubende Doppelseite schnell in sechs praktische aber unsichtbare Eckfeld-Anzeigen verwandelt. Im Spiegel vom 29.8.2011 gab es übrigens exakt noch 3 Doppelseiten – und eine davon sah auch noch stark nach Gegengeschäft aus. Insofern läuft Printwerbung Gefahr, dass sie als Gattung gerade bei jungen Leuten Dinosaurier-Gefühle auslöst: Irgendwie süß, aber irgendwie auch von gestern.
Ich fürchte, dass die Energie, die früher in Printkampagnen geflossen ist, heute in Online, Mobile oder auch TV fließt. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, wann ich zuletzt eine breit geschaltete Kampagne gesehen habe, bei der mir wirklich die Kinnlade runtergeklappt ist. Aktuell kommen spannende Impulse aus Asien. Der Cannes Print Grand Prix ging dieses Jahr nicht zufällig an eine chinesische Agentur.
»Der Trend geht hin zum visuellen Overload«
Stephan Vogel, Kreativchef Ogilvy & Mather Frankfurt
Die Printanzeige kann heute das gleiche wie vor 100 Jahren: Sie kann überzeugen in der Longcopy, sie kann image- und markenbildend wirken, sie kann verkaufen und sie erzeugt ein hohes Involvement der Leser, das länger als 30 Sekunden anhält – wenn sie gut gemacht ist. Wichtig ist Priorisierung: Es darf kein Element zu viel, keine Redundanz geben. Oft soll eine Anzeige alles leisten – Imageförderung, Information und Abverkauf. Aber man muss sich entscheiden.
Der Trend geht hin zum visuellen Overload. Oft wird integrierte Markenführung so interpretiert, dass alle Maßnahmen gleich aussehen sollen. Die Printanzeige wird damit degradiert und verkümmert zur stiefmütterlichen, hässlichen Schwester des TV-Spots. Die Stärke des Mediums wird so verschenkt. Werbemaßnahmen sollten zwar auf inhaltlicher Ebene verbunden sein, auf formaler Ebene aber getrennt werden. Man muss die stilistischen Eigenschaften der einzelnen Medien richtig einsetzen.
»Bei Print ist, wie überall, weniger mehr«
Alexander Reiss, Kreativchef Saatchi & Saatchi Düsseldorf
Printwerbung kann auch heute noch genau das leisten, was sie seit den 60er Jahren leisten kann: überraschen. Wenn sie auf relevanten Insights basiert und ungewöhnliche Wege beschreitet. Doch auch bei Print ist, wie überall, weniger mehr. Häufig wird gerade das aber nicht beherzigt und Anzeigen mit zu vielen Botschaften gleichzeitig zugeballert. Und dann wundern sich die Kunden, warum Print vielleicht doch nicht wirkt. Die Stärken liegen bei formalen Aspekten wie Design, Corporate Design etc, die Schwächen dort, wo es tiefer gehen soll, wo man in ein Thema einsteigen soll. Dort sind die digitalen Möglichkeiten viel größer.
Der Trend geht zum Einheitslayout. Eine große Headline, ein Foto, das Logo rechts unten. Plus wahnsinnig viele Bulletpoints oder sonstige Zusatzinformationen. Printanzeigen, die sich auf das Wesentliche bzw. das Entscheidende reduzieren, findet man in Deutschland wenige bis gar keine. Leider wird oft im Marketing nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht und nicht nach Uniqueness, nach dem Besonderen.
In unserer Bildergalerie sehen Sie gute aktuelle Anzeigen und Kreationen, auf die die Macher stolz sind sowie absolute Klassiker.
PAGE 11.2011, in der der Artikel zur Printanzeige erschienen ist, können Sie hier bestellen.
Die Geschichte eines Klassikers – der »Think small«-Anzeige von DDB vor den VW Beetle aus den 1960ern – gibt es übrigens auch als Buch.