Radikal und etwas Eighties: Andreas Homann hat das Stadtmagazin SZENE Hamburg redesignt. Wir sprachen mit ihm über den großartigen neuen Look und über Tendenzen im Editorial Design.
Radikal und etwas Eighties: Andreas Homann hat das Stadtmagazin SZENE Hamburg redesignt. Wir sprachen mit ihm über den großartigen neuen Look und über Tendenzen im Editorial Design.
40 Jahre ist die SZENE HAMBURG alt – und beschenkte sich zum Jubiläum mit einem Redesign des Hamburger Gestalters Andreas Homann, der wagemutig mit Traditionen bricht, auf ausdrucksstarke Schriften setzt, auf Emotionen und die Kraft von Geschichten.
Stellt der Relaunch eines Stadtmagazins einen vor besondere Aufgaben?
Andreas Homann: Stadtmagazine wie die SZENE HAMBURG müssen sich die Frage stellen, wie sie auf Online-Angebote reagieren: Der komplexe Veranstaltungskalender ist in gedruckter Form nicht mehr konkurrenzfähig. Der Schwerpunkt verlagert sich also von reinen Service-Angeboten zu großen, übergeordneten Themen – in der Regel mit lokalem Bezug –, die ausführlich und mit inhaltlicher Tiefe verhandelt werden. Ebenso muss ein Stadtmagazin trotzdem auch die kleinsten lokalen Ereignisse kommunizieren – vom Hinterhof-Flohmarkt über den Insider-Konzerttipp bis zur Kita-Schließung um die Ecke. Diesem Spagat muss man mit unterschiedlichen redaktionellen und grafischen Formaten gerecht werden, ohne dass das Heft optisch auseinanderfällt.
Worauf hast Du das Hauptaugenmerk bei dem Relaunch gelegt?
Das Hamburger Abendblatt nannte die SZENE HAMBURG kürzlich die »Mutter der Stadtmagazine«: Ihre 40-jährige Tradition sowie das Hinwenden zu großen Geschichten wollen wir wiederbeleben, indem wir uns auf ihre einstigen Stärken besinnen – sowohl redaktionell als auch optisch. Also bin ich auf Zeitreise gegangen, habe das Archiv der SZENE durchwühlt und bin in den 1980er Jahren visuell fündig geworden: ein strenges Spaltenraster, dünne Spaltenlinien sowie fettere Linien zur Betonung und Gliederung von Texten, die heute wieder zeitlos modern wirken. Dazu haben wir typografische Anklänge aus den Glanzzeiten der Magazingestaltung gestellt – von »Twen« aus den Sechzigern bis »The Face« aus den Achtzigern –, die auch lange Lesestrecken ohne Bebilderung attraktiv werden lassen und die LeserInnen durch das Heft führen. Auf den zusätzlichen Einsatz von Farbe habe ich zugunsten von Klarheit und Schwarz-Weiß-Kontrast verzichtet.
Die Schriften stehen sehr im Vordergrund. Welche hast Du gewählt?
Als auffällige Headline-Schrift habe ich die im letzten Jahr entstandene Schrift »Chupada« des spanischen Typedesigners Josep Patau gewählt. Sie ist ein hervorragend ausgebauter Open-Type-Font, wobei wir nur zwei Schnitte benutzen: »Chupada Bold« und »Chupada Demibold« für Größen unter 40 Punkt. Die »Chupada« ist eine betont schlanke, serifenlose Schrift, die zum einen ganz pragmatisch längere Headlines zulässt – gemäß einem ausdrücklichen Wunsch der Redaktion –, und zum anderen explizit stilbildend ist.
Gegen die kühle Strenge der »Chupada« habe ich die verspielte »Sahara Bodoni« gesetzt, eine zeitgenössische Interpretation der klassischen »Bodoni Poster« durch den 2007 verstorbenen Schriftgestalter Bob Alonso, der diesen Font 1996 gezeichnet hat. Die »Sahara Bodoni« wird für kurze Headlines, Initialen sowie als Teaser (oft mit den sehr schönen Ziffern) von kurzen Infotexten verwendet. Sie bildet den emotionalen Gegenpart zur »Chupada«.
Für Auszeichnungen wie Vorspänne, Bildunterzeilen und kurze Infotexte kommt die sachliche, serifenlose Schrift »Vaud« zum Einsatz, ein echte Alternative zu Helvetica, Akzidenz Grotesk und Univers. Sie erschien in diesem Jahr, entwickelt von dem US-amerikanischen Designer Ian Lynam, und ist ein sehr gut durchdachter Open-Type-Font mit vielen Features.
Als Brotschrift für den Fließtext habe ich auf die 1990 von Robert Slimbach entworfene »Minion« zurückgegriffen, eine moderne Renaissance-Antiqua, die eine gute Lesbarkeit aufweist und trotzdem sehr schmal läuft und ein ruhiges Schriftbild besitzt. Die verwendete Open-Type-Version »Minion Pro« ist zudem noch einmal gründlich verbessert und ausgebaut worden.
Kannst Du eine Tendenz im aktuellen Zeitschriften-Design ausmachen?
Natürlich gibt es immer aktuelle Tendenzen im Design. Allerdings entdecke ich zur Zeit nichts wirklich Überraschendes:
1. die Wiederbelebung klassischen Magazindesigns, z. B. mithilfe traditioneller typografischer Elemente (siehe »Nido«, »Monopol«, »Stern«);
2. das Aufgreifen von Fanzine-Ästhetiken aus den 1960er–1980er Jahren, mit vermeintlich ungestalteter Ästhetik, bei vielen kleinen Special-Interest-Veröffentlichungen vor allem im Kunst- und Kulturbereich, und
3. überambitionierte und nichtssagende Effekt-Grafik, die nichts vermitteln will (z. B. »Beef«, »Business Punk«).
Auf den ersten Blick gibt es ja durchaus Ähnlichkeiten zum »Stern« Relaunch …
Anscheinend hat es beim »Stern« ähnliche Überlegungen wie bei der SZENE HAMBURG gegeben – die Besinnung auf klassisches Editorialdesign und der daraus folgende Blick ins eigene Archiv. Der Umgang mit Schrift ist aber ein anderer, die Typografie der neuen SZENE HAMBURG ist expressiver und spielt eine große Rolle. Wir nehmen unsere LeserInnen ernst, indem wir sie auch visuell fordern: Wir arbeiten radikal mit ungewöhnlichen Umbrüchen, gehen mit Schrift in den Anschnitt, Schrift kann zum Bild werden oder ein Bild zerteilen, Vignetten – wie Buttons oder Pfeile – sind grafisch auffällig und detailreich gestaltet. Auch im Layout wird mitunter das Raster beiseite geschoben und die Fläche mit freien Multipicture-Kompositionen besetzt. Gewiss alles keine neuen Erfindungen, aber in Zeiten heutiger Auflagen-Ängste selten geworden.
Die von der SZENE-Redaktion »Wanderspalte« getaufte halbe Spalte ist ein probates Gestaltungsmittel, um Texte zu gliedern und durch Weißraum »Luft zum Atmen« zu gewinnen, als auch den RedakteurInnen die Möglichkeit zu geben, Zusatzinformationen aus dem Text herauszunehmen. Diese halbe Leerspalte hatte ich aus diesem Grund bereits 2011 für das Redesign der Zeitung »ak – analyse & kritik« (siehe PAGE 02.2012) sowie für die Entwicklung des Modemagazins »Inshoes« im Jahr 2009 verwendet.
Auch die Website ist neu. Welche Elemente der Heftgestaltung hast Du übernommen?
Viel Weißraum und die Spaltenlinien. Die Schriften sind aus pragmatischen Gründen ausschließlich Google-Webfonts, welche analog zur »Vaud« und »Sahara Bodoni« ausgesucht wurden. Auf eine so schlanke Schrift wie die »Chupada« haben wir aus Gründen ihrer im Netz schlechten Lesbarkeit verzichtet – vielleicht auch ein Beweis für die Stärke des Prints.
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