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Nutzbarkeit überzeugt: Radio im »Einfach-Modus«

Einfach ist für alle gut! Drei Agenturen entwickelten gemeinsam mit dem Inhouse-Team beim Deutschlandradio für die Deutschlandfunk-App ein völlig neues Interface. Das erleichtert die Nutzung des Programmangebotes für alle Hörer:innen und unterscheidet die App deutlich von anderen Audio-Diensten.

Eine Hand hält ein Smartphone. Man sieht das Interface des Einfach Modus Im App-Store bekommt sie weitaus bessere Bewertungen als die meisten anderen Radio-Angebote: Die Deutschlandfunk-App vereint die drei Programme Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova. Sie läuft auf Apple-Geräten, auch der Applewatch, in iOS Carplay genauso wie im diversen Android-Umfeld und stellt Nutzer:innen Livestreams, Podcasts, Hörspiele, Konzerte und viele andere Inhalte aus dem Deutschlandfunkprogramm zur Verfügung.

Was sie besonders auszeichnet: die Deutschlandfunk App ist seit jeher barrierearm gedacht und erhält mit dem jüngsten Update auf Version 4 zusätzlich den sogenannten »Einfach-Modus«. Das ist eine spezielle Darstellungsform innerhalb der App, die Nutzer:innen bestmögliche Barrierefreiheit bieten soll. Etwa indem interaktive Flächen wie Play- und Pause-Buttons sowie die Standardschrift größer sind, Overlays und Swipe-Gesten entfallen oder die Kontraste stärker sind. All das soll das Bedienen der App erleichtern, ohne dass Funktionen aus dem Standardmodus wegfallen.

»Als Deutschlandradio stehen wir zu unserer Verantwortung, unsere Angebote für alle Interessierten zugänglich zu machen.«

Die Herausforderung: leichter Zugang für viele im Land

»Als Deutschlandradio stehen wir zu unserer Verantwortung, unsere Angebote für alle Interessierten zugänglich zu machen. Daher wollten wir auch ein Angebot schaffe, dass sich an Menschen richtet, die sich mit digitalen Diensten eher schwerer tun«, erklärt Thomas Kley, Product Owner Apps und IT-Projektmanager bei Deutschlandradio in Köln.

Dieser Gedanke stand im Zentrum der ersten Projektmeetings mit den Design- und Digitalagenturen Make Studio aus Hamburg und Appsfactory aus Leipzig. Mit beiden Agenturen arbeitete das Produktteam beim Deutschlandradio bereits zusammen an anderen Projekten. Nun ging es darum, wie man die Deutschlandfunk-App weiter stärken und entwickeln könnte.

Zwei Smartphonebildschirme zeigen die App: die sechs Hauptmenüpunkte auf der schlichten Startseite sind übersichtlich angeordnet, mit prägnanten Icons versehen und eindeutig benannt.
Das ist Radio im besten Einfach-Modus: die sechs Hauptmenüpunkte auf der schlichten Startseite sind übersichtlich angeordnet, mit prägnanten Icons versehen und eindeutig benannt.

»Es gab kein klassisches Agentur Briefing, sondern wir haben agil begonnen auf der Idee von Thomas rumzudenken und erste Leitgedanken aufzuschreiben: Was müsste denn gegeben sein in einer nahezu barrierefreien App? Wieviel Orientierungsachsen kann oder will man einsparen? Auf welche Art von komplizierteren Interaktionsweisen kann man verzichten?«, erklärt Michael Ahlf, Gründungspartner von Make Studio, Interaction- und Media Designer mit 20 Jahren Erfahrung. Zu den Kunden des Hamburger Design-Studios gehören neben dem Deutschlandradio auch der DER SPIEGEL, DIE ZEIT oder Finanztip.

»In der Produktentwicklung haben wir häufig das Erlebnis: je älter so ein Produkt wird, desto mehr entwickelt man dazu, das Produkt wächst, ebenso sein Funktionsumfang. Was aber nicht wächst, ist der Platz«, erklärt Thomas Kley. Zudem könne man nicht einfach Dinge weglassen, weil man damit automatisch Nutzer:innen vor den Kopf stoße, die das als wichtigste Funktion betrachteten. »Das hatten wir schon öfter erlebt und fragten uns, wie wir diesen Gordischen Knoten durchschlagen könnten«, so Kley.

Quickinfo und Links:

Die Lösung: ein Schalter statt zwei Apps

Benjamin Schöndelen arbeitet gemeinsam mit Thomas Kley im Produktteam und ergänzt: »Uns war es von Anfang an wichtig, dass wir keine Light-Version erstellen, sondern dass der Funktionsumfang vollständig erhalten bleibt. Es wäre zu leicht, einfach Funktionen wegzulassen und damit das Interface sofort zu entlasten.«

In den Einstellungen „Mein Dlf“ befindet sich ein Schieberegler zur Wahl zwischen „Einfach“- und „Standard“-Modus. Der aktuelle Modus „Einfach“ ist aktiviert.
Im Bereich »Mein Dlf« finden Nutzer:innen einen horizontalen Umschalter für den App-Modus.

Das Team arbeitete also in Diskussionen und einem langen Gedankenprozess Thomas Kleys Idee aus, nicht zwei einzelne Produkte zu entwickeln, sondern beides in einer App umzusetzen, indem mit einem Schalter zwischen den verschiedenen Interfaces gewechselt werden kann. Die Kerngruppe des Teams arbeitete zunächst auf dieser inhaltlichen und strategischen Ebene weiter, spielte Gedanken hin und her und begann mit dem Wireframen auf rudimentärer Ebene.

»Für Designer:innen mag es ein Klischee sein, aber Einschränkungen sind immer auch eine Befreiung.

Man kann sehr gezielt in eine Richtung arbeiten und hat mehr als nur die Gestaltung im Kopf. Ich fand, dass die harten Vorgaben für die Usability unserem kreativen Prozess wahnsinnig gutgetan haben«, berichtet Michael Ahlf. In Abstimmung mit Appsfactory aus Leipzig, die mit ihrer großen Erfahrung in vielen App-Projekten ihre konzeptionelle und technologische Perspektive mit einbrachten, entstanden nach und nach die ersten Click-Dummies in Figma und Ideen, wie der Einfach-Modus aussehen könnte. Relativ bald darauf startete das Team dann in den operativen Entwicklungszyklus.

Prototyping und Testing für sehr diverses Publikum

Die Deutschlandfunk-Programme wenden sich an ein sehr diverses Publikum, wie Thomas Kley erklärt: »Wir haben älteres Publikum, wir haben auch junges Publikum, wir haben ebenfalls sehr nerdiges Publikum.« Um einen möglichst barrierearmen Zugang für alle zu schaffen, testeten die Teams das Produkt während der gesamten Entwicklung immer wieder auf verschiedene Weise.

Die Interfaces im Vergleich. Links der Standard-Modus: Bilderkacheln, daneben Buttons. Rechts der Einfach-Modus: keine Bilder, große Button und höhere Kontraste.
Die Interfaces im Vergleich. Links der Standard-Modus: Bilderkacheln, daneben Buttons. Rechts der Einfach-Modus: keine Bilder, große Button und höhere Kontraste.

Zum einen holte sich das Team schon während der Konzeption Unterstützung bei der Digitalagentur Digitas in Düsseldorf. Die Agentur verfügt über starke Expertise im Bereich Barrierefreiheit und arbeitet unter anderem für verschiedene Behörden.

»Die Experten bei Digitas haben uns während des gesamten Prozesses begleitet und unsere Ausarbeitung ständig überprüft. Wir haben ihr Feedback im Team diskutiert und einfließen lassen«

Links Standard Modus: Magazinübersicht mit großformatigen Kacheln für Hörtipps. Sichtbare Kategorien, Beiträge mit Bildern und vollständiger Titelanzeige. Navigationselemente oben vorhanden. Rechts Einfach Modus: Magazinansicht reduziert auf Listenform. Beiträge werden untereinander mit Bild, Titel, Dauer und Abspielknopf angezeigt. Kategorien entfallen, Fokus auf schneller Übersichtlichkeit.
Links Standard Modus: Magazinübersicht zum Swipen mit großformatigen Kacheln für Hörtipps. Rechts Einfach-Modus: Magazinansicht in Listenform.

berichtet Franz Müller, Teamleiter & Technischer Projektleiter bei Appsfactory. Neben Deutschlandradio sind beispielsweise Tagesschau, FAZ, oder Mercedes-Benz Kunden der Digitalagentur. Als sein Team verschiedene Bereiche in der App umgesetzt hatte, ließen sie diese zunächst vom Tool Browser Stack testen. »Wie sehen die Kontraste aus, welche Label fehlen, wir testen also die grundlegenden technischen Gegebenheiten mit dem Tool. Das allein gibt aber noch keinen Aufschluss darüber, wie nutzbar die App tatsächlich ist«, so Franz Müller.

Das Team musste unter anderem sicherstellen, dass sich die App mit externen Peripheriegeräten, wie einer Tastatur verwenden oder sich per Stimme steuern lässt – »das sind Teile der Usability, die sich mit solchen Tools nicht testen lassen«, so Franz Müller.

»Zudem konnten wir beim Testen des ersten Prototyps das technische Fundament noch nicht überprüfen. Wir wussten also, dass es einen zweiten technischen Test der App geben musste, um die barrierefreien Features auf Code Ebene zu validieren«, so Benjamin Schöndelen.

Arbeitshypothesen qualitativ überprüfen

Um sich bestimmter Arbeitshypothesen zu vergewissern, prüfte das Team den ersten Prototypen auch mit qualitativen Testings. »Wir haben dazu mit der UX-Researcherin Kira Tschierschke aus Hamburg zusammengearbeitet. Sie ist auf qualitatives Testing spezialisiert und bietet gute Beratungsleistungen an«, so Michael Ahlf.

Zwei Personen sitzen an einem Tisch. Links testet eine Person eine App auf einem Smartphone, rechts notiert eine andere Person Beobachtungen auf einem Klemmbrett. Auf dem Tisch stehen Getränke, ein Laptop und ein Topf. Im Hintergrund ein Fenster.
Links: Diese Probandin testete die Dlf-App unter erschwerten Rahmenbedingungen. Während sie den Löffel im Kochtopf rührte, musste sie die Dlf-App einhändig bedienen. Rechts: Kira Tschierschke notiert ihre Beobachtunge.

Sie testete die App sowohl mit Bestandsnutzer:innen als auch neuen Usern in verschiedenen Szenarien. »Wir hatten eine breite Streuung, was die verschiedenen digitalen Kompetenzprofile der Menschen angeht. Für sie haben wir Szenarien entwickelt, wie man während der App-Nutzung eingeschränkt sein kann, beispielsweise abgelenkt beim Kochen oder unter schlechten Lichtverhältnissen«, erklärt Michael Ahlf.

»Die einhändige Bedienung konnten wir mit einem Kochtopf und einem Kochlöffel gut nachstellen. Das Setting ist nicht sehr kompliziert, aber man hat sofort ein Gefühl dafür, was das bedeutet, wenn man gerade nur eine Hand zur Verfügung hat«,

ergänzt Benjamin Schöndelen. Durch die Tests gewann das Team wertvolle Einblicke, etwa dazu, wie das Wording und Buttons verstanden werden und wo Dinge sichtbar offen blieben, die man weiter iterieren musste.

Technische Implementierung für iOS und Android

Eine Herausforderung bei der technischen Umsetzung stellten die zwei verschiedenen Betriebssysteme mit unterschiedlichen Anforderungen an die Usability dar. »Im Großen und Ganzen haben wir versucht, uns an den UX-Vorgaben der Betriebssysteme zu orientieren, weil deren Bedienung gelernt ist. Bei Apple gibt es dazu bereits diverse Standards, allerdings waren die in unserem Fall nicht immer optimal«, berichtet Thomas Kley.

Links im Standard-Modus: eine Übersicht aller Podcasts mit Auswahlmöglichkeiten nach Sender und Kategorie, Suchfeld für Podcasts, darunter Podcastliste mit Bildern und Titeln. Die Navigation oben ist vollständig sichtbar. Rechts Einfach Modus: Die Podcastübersicht kommt ohne Kategorieauswahl. Nur ein großes Suchfeld mit Button „Podcasts filtern“, darunter reduzierte Podcastliste. Die Bedienung ist klarer strukturiert.
Links Standard-Modus: eine Übersicht aller Podcasts mit Auswahlmöglichkeiten nach Sender und Kategorie, Suchfeld für Podcasts, darunter Podcastliste mit Bildern und Titeln. Die Navigation oben ist vollständig sichtbar. Rechts Einfach-Modus: Die Podcastübersicht kommt ohne Kategorieauswahl. Nur ein großes Suchfeld mit Button »Podcasts filtern«, darunter reduzierte Podcastliste. Die Bedienung ist klarer strukturiert.

Beispielsweise empfiehlt Apple ein Objekt als Ganzes ansprechbar zu entwickeln, statt in verschiedenen Teilen. »Die Empfehlung von Digitas war aber, es dennoch zu tun«, erinnert sich Daniel Klein, iOS-Entwickler bei Appsfactory.

Facts & Feelings. Linker Screenshot: Standard Modus mit kompakter Listenansicht und kleinerem Text. Rechter Screenshot: Einfacher Modus mit größeren Bedienelementen, klarerer Gliederung und zusätzlichen großen Buttons für ‚Podcast abonnieren‘ und ‚Podcast teilen‘.“
Links Standard-Modus mit kompakter Listenansicht und kleinerem Text. Rechts Einfacher-Modus mit größeren Bedienelementen, klarerer Gliederung und zusätzlichen großen Buttons für ‚Podcast abonnieren‘ und ‚Podcast teilen‘.

Auch für ihn waren die strengen Accessibility Vorgaben noch recht neu und das Testen und Iterieren besonders wichtig. »Für die User Interface Elemente sollte man Accessibility Labels für Werte und Beschreibungstexte hinterlegen und es gibt Gruppierungsmöglichkeiten, die man genau durchdenken muss«, so Daniel Klein.

Beispielsweise sollte der Screen-Reader bei den Listenelementen in der Magazinansicht nicht jedes Mal den Play- oder Bookmark Button mit vorlesen. Um das zu verhindern, gruppiert man diese Elemente. »Geht man dann in eine Detailstufe, kann man dort die Aktivitäten auslösen, aber zuerst wird eine vereinfachte Version vorgelesen«, erklärt Daniel Klein.

Ausblick: mehrsprachige Live-Transkripte

Und das Ergebnis ist nicht nur gut gemeint, sondern auch gut gemacht. »Ich denke, wir haben es geschafft, einen bestmöglich barrierefreien Modus anzubieten, mit dem wir der Verantwortung gegenüber den Nutzenden gerecht werden können«, so Michael Ahlf.

Dieser erste Aufschlag ist gleichzeitig ein Anfang, von dem aus das Team schon weiterdenkt: »Die Funktion Live-Transkription im Deutschlandfunk-Programm ist beispielsweise erst relativ spät dazu gekommen und noch eine Beta-Version, weil wir das erst ausprobieren, aber hier ergeben sich neue Wege, wie eine Ergänzung auch aller anderen Audioinhalte durch Texte oder auch mehrsprachige Simultanübersetzung im Live-Radioprogramm«, so Thomas Kley.

Smartphone auf hellem Hintergrund zeigt eine Live-Transkription von gesprochenem Text. Zwei kabellose Kopfhörer liegen daneben.
Prinzip Karaoke: Im Transcription Modus verändert sich die Farbe des laufenden Textes wenn er live ist.

Die Hauptsache für das Team: »Bei der Deutschlandfunk-App geht es nie ausschließlich darum, »Hygienefaktoren« zu erfüllen, sondern einen Mehrwert in der Nutzung herzustellen. Sie leistet mehr, als nur den Standards gerecht zu werden«, so Ahlf und Schöndelen ergänzt:

»Einfache Nutzbarkeit ist zum Differenzierungsmerkmal geworden. Marken heben sich nicht mehr durch Design, sondern durch Usability ab.«

Nach dem Launch nutzen aktuell bereits 15 Prozent der Menschen die Dlf-App im Einfach-Modus. »Für den Anfang ist das gar nicht so schlecht, zumal wir bislang noch kaum Werbung dafür gemacht haben, aber wir müssen mit unserer Kommunikation vor allem die Communities erreichen, die wirklich darauf angewiesen sind. Dann wird ihr Feedback sehr spannend für uns sein, um noch einmal zu schauen, wo wir noch besser werden können«, so Kley.

 

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