Motion Design verknüpft traditionelles Grafikdesign und klassische audiovisuelle Disziplinen mit moderner digitaler Technologie. Wie sich die Designdisziplin entwickelt hat und wie ihre Zukunft aussieht …
Die Darstellung von Bewegung hat kreative Menschen schon immer fasziniert. Bereits Höhlenzeichnungen zeigen Versuche, die Dynamik einer Situation mit Hilfe von Bildsequenzen darzustellen. Doch erst viel später, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, gelang mit der Erfindung des Films erstmals eine realitätsnahe Illusion von Bewegung. Für einige Künstlerinnen und Künstler – allen voran die Karikaturistinnen und Karikaturisten – war die Darstellung der Wirklichkeit bald nicht mehr so wichtig, denn die neue Technik eröffnete ihrer Kreativität völlig neue Bildwelten. Dies war die Geburtsstunde des Zeichentrickfilms bzw. der Animation.
Viele der Anfang des 20. Jahrhunderts gezeichneten und animierten Figuren wurden weltberühmt: Popeye von Max Fleischer, Felix the Cat von Pat Sullivan und allen voran Micky Maus von Walt Disney. Ihre Geschichten – erzählt auf eine neue, noch nie dagewesene Art und Weise – faszinierten und faszinieren die Menschen bis heute.
Inhalt
Am Anfang war ein Trick
Das Prinzip der Produktion von Zeichentrick- und dreidimensionalen Puppentrickfilmen nennt sich Keyframing oder Schlüsselbildanimation. Ausgangspunkt ist die sogenannte Stop-Motion-Technik. Zunächst geben einige wesentliche Bilder grob den Bewegungsablauf vor. Zwischen diesen Sequenzen werden so viele weitere Bilder, Interframes genannt, gezeichnet, bis eine flüssige Bewegung entsteht. Je nach Schnelligkeit der Bewegung sind das zwölf bis 24 Bilder pro Sekunde.
Die Filmindustrie erkannte sehr schnell, dass diese Trickfilmtechnik in Verbindung mit Typografie für die Gestaltung des Vorspanns eines Films nützlich ist. Dieser war notwendig, weil sich die Filmstudios verpflichtet hatten, alle Beteiligten an einem Projekt zu Beginn des Films zu nennen. Die anfangs üblichen statischen Texttafeln wurden dem Medium Film nicht gerecht und langweilten die Zuschauer – die neue Technik erlaubte eine attraktivere, weil bewegte Gestaltung der Titelsequenz. Das sogenannte Title Design war geboren, das durch stilprägende Gestalter wie Saul Bass (»Psycho«, »Vertigo«), Maurice Binder (»Dr. No«, »Goldfinger«) oder Wayne Fitzgerald (»My Fair Lady«, »The Three Faces of Eve«) etabliert und perfektioniert wurde. Bis heute hat Motion Design seine stärkste Präsenz in Film, Fernsehen. Schon seit vielen Jahren ist die Designdisziplin integraler Bestandteil des Corporate Designs von TV-Sendern und dient der visuellen Orientierung im Programm ebenso wie der Identifizierung des jeweiligen Kanals. Motion Design spielte außerdem – seit 1981, dem Startjahr des Musiksenders MTV – eine wichtige Rolle bei der visuellen Untermalung und Vermarktung von Musik.
Längst haben Streaming-Dienste, Videoportale und andere Social-Media-Plattformen den Musiksendern den Rang abgelaufen, und die Bedeutung von bewegten audiovisuellen Inhalten wächst weit über die Musik-, Film- und TV-Wirtschaft hinaus in Branchen wie Publishing, Branding, Werbung über die Internet-, Mobile-, Software- und Games-Industrie bis hin zu Kultur und Architektur.
Motion Design lediglich auf Animation oder bewegtes Grafikdesign zu reduzieren, ist zu kurz gegriffen. Die Disziplin bildet eine Synthese aus verschiedenen Entwicklungen des Kommunikationsdesigns samt all seinen filmischen beziehungsweise künstlerischen, grafischen und audiovisuellen Möglichkeiten. Hinzu kommen komplexere inhaltliche und konzeptionelle Anforderungen. Daher beschreibt der früher um einiges weiter verbreitete Begriff »Motion Graphics« die Disziplin nur noch unzureichend und wurde durch »Motion Design« ersetzt.
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Motion Design und Animation sind zwei verschiedene Anwendungsbereiche
Oft (auch von Fachleuten) werden die Begriffe Motion Design und Animation synonym verwendet. Das ist aber falsch. Motion Design ist eine Synthese aus verschiedenen Entwicklungen des Kommunikationsdesigns mit all seinen filmischen, künstlerischen, grafischen und audiovisuellen Möglichkeiten.
Ein praktischer Vergleich: Niemand käme auf die Idee, die Begriffe Illustration und Grafikdesign synonym zu verwenden. Deshalb hilft folgender Vergleich: Motion Design verhält sich zur Animation wie Grafik Design zur Illustration. Während Animation in der Regel narrativ und charakterbasiert ist, konzentriert sich Motion Design auf die Bewegung von Formen, Farben, Typografie, Fotografie, Illustration, Sound, Musik, Video und Film (auch Trickfilm), in funktionalen Zusammenhängen.
Obwohl sich die beiden Disziplinen überschneiden, unterscheiden sie sich grundlegend in ihrer Herangehensweise und Anwendung. Diese Differenzierung wurde erst durch die zunehmende Digitalisierung und die damit einhergehende Beschleunigung in der Verarbeitung und Gestaltung visueller Elemente greifbar. Mit der Entwicklung neuer technischer Möglichkeiten begann sich Motion Design als eigenständige Disziplin zu etablieren.
Die digitale Geschichte des Motion Designs beginnt Mitte des 20. Jahrhunderts am Massachusetts Institute of Technology. Am MIT entwickelte Charly Adams 1949 ein Programm, das einen springenden Ball in Echtzeit berechnen konnte. Dies war die erste Computeranimation – und der Start einer stetigen Weiterentwicklung. In den 1960er Jahren gründete der amerikanische Animator, Komponist und Erfinder John Whitney die Firma Motion Graphics Inc., die sich auf die digitale Produktion von Titelsequenzen für Film und Fernsehen spezialisierte und der neuen Designdisziplin den wesentlichen Impuls und einen Namen gab.
1974 gewann die Computeranimation »Hunger« von Peter Foldes in Cannes den Preis als bester Animationsfilm. 1982 entstand »Tron«, der zwar keine großen Summen an den Kinokassen einspielte, aber wegweisend für die weitere Entwicklung war, weil Schauspieler und synthetisch erzeugte Objekte kombiniert wurden. 1995 kam nach vierjähriger Produktion der erste vollständig computeranimierte Spielfilm »Toy Story« in die Kinos – der Durchbruch für Computer Generated Imagery (CGI). Im Gegensatz zu »Tron« war dieser Film ein großer kommerzieller Erfolg und ein Startschuss für zunehmende Investitionen in Produktionen und Innovationen in diesem Bereich.
Die Pioniere der bewegten Computeranimation übernahmen das Grundprinzip der Trickfilmtechnik, das bis heute in Programmen zur Keyframe-Animation – zum Beispiel Adobe After Effects – Anwendung findet. Allerdings werden dank digitaler Technik keine Zwischenzeichnungen mehr benötigt. Die Interframes werden interpoliert, das heißt auf Basis der bekannten Werte automatisch berechnet. Das vereinfachte die Arbeit, sodass handgemachte bewegte Bilder zunehmend von rein digital erzeugten Bildern abgelöst wurden.
Inzwischen revolutioniert die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz die Kreativwirtschaft und damit auch die Disziplin Motion Design. KI-basierte Werkzeuge wie generative Modelle und maschinelles Lernen haben das Potenzial, den Motion-Prozess weiter zu automatisieren, ohne die künstlerische Kontrolle zu verlieren. Von der automatischen Erstellung von Zwischenbildern bis hin zu kompletten Animationen auf Basis von Textbeschreibungen bietet KI Motion Designern völlig neue Möglichkeiten.
Während CGI den Durchbruch der computerbasierten Animation markierte, hat die Integration von KI und Automatisierung den Workflow in den letzten Jahren noch einmal deutlich verändert. Tools wie Runway ML, Adobes Sensei und DeepMotion ermöglichen Echtzeitanimationen und Interpolationstechniken, die früher manuell durchgeführt werden mussten. KI ermöglicht es Designern, komplexe Bewegungen oder visuelle Effekte mit nur wenigen Klicks zu erstellen, was sowohl Zeit als auch Kosten spart.
Das bedeutet jedoch nicht, dass alte Techniken überflüssig geworden sind. Wie in der gesamten Historie der Kommunikations- und Mediengestaltung gilt auch hier das 1913 von dem Altphilologen und Journalisten Wolfgang Riepl postulierte Riepl’sche Gesetz: Es besagt, dass weder ein Medium noch andere etablierte Kommunikationsinstrumente von Innovationen und neuen Technologien in der Regel vollkommen ersetzt oder verdrängt werden.
Das liegt vor allem daran, dass jede technologische Entwicklungsstufe ihre eigene, meist unverwechselbare Ästhetik hat, die ihre Bedeutung und Berechtigung behält. Entsprechend vielfältig sind heute die Gestaltungsmöglichkeiten.
Motion Design bedient sich heute sowohl klassischer handwerklicher Techniken als auch digitaler und KI-gestützter Werkzeuge, um eine unverwechselbare Ästhetik zu erzielen. Diese Synergie ermöglicht kreativere Ansätze, ohne die künstlerische Integrität zu verlieren.
Die Entscheidung für eine bestimmte Gestaltungstechnik, ob traditionell oder innovativ, analog oder digital – oder beides -, wird von künstlerischen Überlegungen und Intentionen bestimmt. Natürlich spielen auch wirtschaftliche Faktoren wie Zeit, Material und Kosten eine Rolle.
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Kunst und Kommerz
Die Geschichte des Motion Designs ist nicht vollständig erzählt ohne die Erwähnung des großen Einflusses der bildenden Kunst. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kooperierten Künstlerinnen und Künstler zunehmend mit Ingenieur:innen, Techniker:innen und Programmierer:innen. So entstand zunächst die elektronische Kunst oder Videokunst, später Medienkunst genannt, mit Nam June Paik oder Bill Viola als bekanntesten Vertretern. Sie entwickelte sich zur Computerkunst – synonym oft digitale Kunst oder Interactive Art genannt –, die ausschließlich mithilfe der spezifischen Eigenschaften und Möglichkeiten digitaler Medien arbeitet.
Die Avantgarde dieser Kunstrichtung war die Computer Technique Group (CTG), ein Kunstkollektiv bestehend aus Ingenieuren, Informatikern und Designern, gegründet in den späten 1960er Jahren in Tokio. Sie ist bis heute Vorbild für viele Kreativschaffende, denn die Verschmelzung künstlerischer beziehungsweise ästhetisch experimenteller Denkweisen mit der technologischen Entwicklung ist die treibende Kraft für die stetige Entwicklung neuer Gestaltungstechniken und innovativer Kunstformen. Sie brachte Künstler hervor wie Jeffrey Shaw, Julian Opie, Ryoji Ikeda, Cory Arcangel oder Alex Verhaest.
Der Wert der freien, künstlerisch-experimentellen Arbeit in Kooperation mit anderen, vor allem technologischen Disziplinen wurde von anwendungsorientierten Kommunikationsdesignern erkannt und für kommerzielle Auftragsarbeiten genutzt. Das veränderte die Arbeitsweise der Motion-Designer, die an den Schnittstellen von Kunst, Design, Werbung, Animation, Technik und Film arbeiten.
Zahlreiche Designerinnen und Designer, die auch künstliche Intelligenz einsetzen, um Bewegung zu erzeugen arbeiten an der Schwelle zur Kunst, wie Refik Anadol, GMUNK alias Bradley Munkowitz, Nidia Dias, Esteban Diaácono oder das Studio ManvsMachine.
Auch wenn mit dem Endergebnis einzelne Namen verbunden sind, ist Motion Design vor allem Teamarbeit: Designer:innen, die Bewegung gestalten, kooperieren ganz selbstverständlich eng mit Technikern, Ingenieuren, Programmierern, aber auch mit Regisseuren, Autoren, Produzenten, Art Direktoren, Marketingfachleuten und Musikern. Ihre Aufgabe ist es, Informationen, Botschaften, Geschichten, Ideen, Konzepte, Strategien und Marken in bewegte und bewegende audiovisuelle Werke zu übersetzen, die Aufmerksamkeit und Interesse wecken und Menschen unterhalten, überraschen und begeistern.
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Die Motion Design Ausbildung
Je mehr Schnittmengen eine Designdisziplin mit anderen aufweist, desto mehr potenzieren sich das Know-how und die Fähigkeiten, die man braucht, um den Beruf professionell auszuüben. Motion Design verbindet Elemente aus Illustration, Fotografie, Film, Typografie sowie Sound und Musik. Das sprengt schnell den Lehrplan eines Bachelorstudiums. Manche Studiengänge konzentrieren sich deshalb auf die technischen Aspekte, die für Motion Design notwendig sind, versäumen dabei aber oft die Vermittlung von künstlerischen und grafischen Gestaltungsgrundlagen sowie von kreativen Methoden und Prozessen.
Moderne Ausbildungsgänge zum Motion Designer integrieren zunehmend KI-gestützte Tools und Real-Time-Rendering-Technologien in den Lehrplan. Neben traditionellen Techniken lernen die Studierenden auch, maschinelles Lernen zur Optimierung ihrer Arbeitsprozesse einzusetzen. Insbesondere die Fähigkeit, mit KI in der Konzeption und Produktion von Motion Design zu arbeiten, wird als Schlüsselkompetenz vermittelt, um den Anforderungen eines sich wandelnden Marktes gerecht zu werden.
Technisches Know-how allein macht jedoch noch kein gutes Motion Design aus. Grundsätzlich reichen heute Standardsoftware wie Photoshop, Illustrator, Cinema 4D, Maya oder AI-Anwendungen aus, um gutes, kreatives und innovatives Motion Design zu produzieren. Umso wichtiger ist das gestalterische Fundament, auf dem der Studienschwerpunkt Motion Design aufbaut. Im Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein lernen deshalb alle Studierenden zunächst künstlerische Grundlagen, wesentliche typografische, fotografische, kunst- und designgeschichtliche Kenntnisse sowie grundlegende gestalterische Methoden und Prozesse. Erst danach entscheiden sie sich für eine Vertiefungsrichtung, die sie in selbst gewählten praxisorientierten Projekten vertiefen.
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Das 21. Jahrhundert: Alles ist in Bewegung
Niemand weiß genau, welche zukünftigen technischen Innovationen die grafische Synthese aus Bild, Text, Illustration, Animation, Sound und Musik – und damit unsere Wahrnehmung und unser Leben – verändern werden. Eine Richtung ist aber schon sichtbar: Starren grafischen Benutzeroberflächen gelingt es immer weniger, den Benutzer gut durch komplexe Multifunktionsgeräte zu führen.
Deshalb findet Motion Design vor allem Anwendung bei der Gestaltung von Interfaces beziehungsweise der Interaktion von Mensch und Maschine
Der nächste große Schritt im Motion Design liegt in der Verschmelzung von künstlicher Intelligenz und interaktiven Technologien wie Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR).
KI-gesteuerte Animationen in Echtzeit bieten die Möglichkeit, dass Nutzer in immersive, interaktive Welten eintauchen können. In der Gestaltung von User Experiences (UX) kommt Motion Design bereits verstärkt zum Einsatz, indem es dynamische Interfaces ermöglicht, die sich an die Aktionen und Bedürfnisse des Nutzers in Echtzeit anpassen. Dies eröffnet Designerinnen und Designern völlig neue kreative und wirtschaftliche Perspektiven.
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Der Autor
Richard Jung ist Professor für Kommunikationsdesign und Corporate Identity an der Hochschule Niederrhein in Krefeld. Vor seiner Berufung zum Professor arbeitete er u.a. als Creative Director bei Springer & Jacoby und als Geschäftsführer Kreation bei Scholz & Friends.