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Streit um offenen Brief an die Stiftung Buchkunst

Sind die Forderungen zu abgehoben, die führende deutsche Designer an den Wettbewerb um die schönsten deutschen Bücher stellen?

Einige der führenden deutschen Grafikdesigner – zumeist gleichzeitig Professoren für Design – haben im Oktober in einem offenen Brief an die Stiftung Buchkunst radikale Kritik geübt. Die Stiftung, die den renommierten Wettbewerb um die schönsten deutschen Bücher veranstaltet, »missverstehe« das schöne Buch »als marktgerechtes Erbauungsaccessoire mit Renditepotenzial«. Sie agiere eher wie ein Interessenverband der Druck- und Verlagsindustrie statt spannende buchgestalterische Diskurse zu fördern. Zu den prominenten Unterzeichnern gehören Designer wie Fons Hickmann, Tania Prill, Sascha Lobe, Andreas Uebele, Andrea Tinnes und so weiter (wir hatten hier über den offenen Brief berichtet).

Tatsächlich ließen gerade die Ergebnisse des diesjährigen Wettbewerbs zu wünschen übrig, waren teils eher mittelmäßig. Die Stiftung, die in die Jury nicht nur Gestalter, sondern immer auch Hersteller und Buchhändler einlädt, beruft sich auf ihre Satzung, wo ausdrücklich vom »Gebrauchsbuch« die Rede ist. Für Experimentelleres gäbe es ja den Förderpreis für junge Buchgestaltung.

Auf der Buchmesse haben beide Parteien öffentlich miteinander diskutiert. Die Fronten waren bald klar: Die eine Seite kritisierte die Designer/Professoren aus dem Elfenbeinturm, die andere die vom Markt allzu sehr vereinnahmte Stiftung. Wir haben mit den drei Initiatoren des offenen Briefs gesprochen: 

– Markus Dreßen von der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig (links oben, Foto: Andrzej Steinbach)
– Markus Weisbeck von der Bauhaus-Universität Weimar (rechts oben)
– Ingo Offermanns von der Hochschule für bildende Künste in Hamburg (unten)

 

Was war der Anlaß, einen offenen Brief zu schreiben?

Markus Weisbeck: Wir haben uns schon lange gewundert, was da so ausgezeichnet wurde. Immer wieder haben wir es mit Jury-Ergebnissen zu tun, die wir überhaupt nicht spannend finden, weder vom Bezug auf die Gegenwart, noch vom Anspruch her, den ein solcher Wettbewerb haben sollte.

Ingo Offermanns: Wenn eine Stiftung den Begriff »Kunst« im Namen führt und die nationale Produktion international vertreten möchte, geht das mit einer Verantwortung einher. Leider hat sich der Wettbewerb der Stiftung Buchkunst aber zu einer Art Provinz-Oskars der deutschen Buchproduktion entwickelt: Sie nimmt primär kommerzielle Produktionen in den Fokus und handelt impulsgebende und kritische Projekte auf dem Niveau der Nachwuchsförderung mit drei Preisen ab. Bleibt es dabei, sollte sich die Sitftung umbenennen: »Stiftung Gebrauchsbuch und grafisches Dienstleistungsgewerbe« wäre eine Möglichkeit.

Waren Sie denn schon immer mit den Ergebnissen des Wettbewerbs unzufrieden?

Markus Dreßen: Besonders, seit experimentelle Bücher in einer Auflage unter 500 Exemplaren in den neuen Förderpreis für junge Buchgestaltung ausgelagert wurden. Was den deutschen Wettbewerb von dem in der Schweiz und in Holland unterscheidet, sind auch die Zäune, die zwischen verschienenen Kategorien aufgezogen werden. Wenn unbedingt auch Sachbücher, Kinderbücher und Ratgeber in ihrer jeweiligen Kategorie ausgezeichnet werden müssen, gibt es keine einheitliche Messlatte, sondern ästhetische Kriterien werden je nach Kategorie an- und ausgeschaltet.

Verschiedene Kategorien sind an sich doch keine schlechte Idee – sonst zeichnet man vielleicht nur Kunstbücher aus. Es geht aber darum, die Qualität der Gestaltung in wirklich allen Bereichen zu verbessern.

Markus Dreßen: Das ist nachvollziehbar, aber wozu führt das? Am Ende liegen durchschnittliche Kinderbücher neben einem wegweisenden und toll gemachten Architekturband. Das ergibt kein Bild mehr.
Ich war drei Jahre in der Jury der schönsten Schweizer Bücher, vier Jahre bei der Jury der Schönsten Bücher aus aller Welt. Weil es da solche Grenzen nicht gibt, lassen sich Trends und Innovationen ganz anders darstellen. Der deutsche Wettbewerb repräsentiert nicht die Spitzenklasse gegenwärtiger Buchgestaltung.

Markus Weisbeck: So entstehen natürlich auch Fragezeichen bei unseren Studierenden, die ganz weit vorn mitspielen wollen. Und das sollen sie ja auch, denn Kommunikation muss sich weiterentwickeln. Vor diesem Hintergrund finden wir sehr problematisch, dass viele der ausgezeichneten Arbeiten überhaupt nicht zeitgenössisch sind. Viele Lehrende sehen das offenbar ähnlich, ihre Zustimmung war mehrheitlich spürbar.

Der Wettbewerb geht also an der jungen Generation der Gestalter und Leser vorbei?

Ingo Offermanns: Trotz aller Unkenrufe vom »End of Print« entsteht gerade neue Verlage, die sich auf independent publishing fairs präsentieren, deren Arbeit beim Wettbewerb um die schönsten Bücher nicht gewürdigt wird. Auch die sich verändernden Lesegewohnheiten der digital natives finden keine Berücksichtigung.

Andererseits kritisieren manche in der Verlagsbranche die Stiftung schon jetzt als zu elitär.

Markus Weisbeck: Das ist falsch gedacht und ungefähr so, als würden ländliche Galerien sagen, die Dokumenta sei zu abgehoben.

Markus Dreßen: Ich verstehe den Wettbewerb als Impulsgeber, der Verlage stimuliert, mutiger, experimenteller und selbstkritisch gegenüber eigener Verlagsroutinen zu produzieren. Die Stiftung Buchkunst hat eine unglaubliche Ausstrahlung, an der eine ganze Generation gearbeitet hat. Ihr goldener Aufkleber sollte nicht zum billigen Verkaufs-Sticker werden und den Status Quo legitimieren.

Ingo Offermanns: Unsere Hoffnung wäre eine Stiftung, die wirklich die Bandbreite des deutschen Buchdesigns repräsentiert, unter besonderer Berücksichtigung impulsgebender und kritischer Buchgestaltung. Dass hieße Jurys zusammenzustellen, die die unterschiedlichen Diskurse abbilden. Das hieße auch, die Anzahl der ausgewählten Bücher wieder zu erhöhen und einen Vorstand zu haben, der Mitglieder mit einschließt, die eine professionelle visuelle Schulung durchlaufen haben.

 

 

Vor allem umstritten: die Ergebnisse in den Kategorie Ratgeber und Kinderbücher. Insgesamt gibt es fünf Kategorien mit je fünf Preisträgern

 

 

Die drei mit dem Förderpreis für junge Buchgestaltung ausgezeichneten Bücher. Kriterium für diesen Wettbewerb sind laut Stiftung Buchkunst »besonders innovative, zukunftsweisende Konzepte zur gestalterischen Weiterentwicklung des Mediums Buch«

 

 

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