Von Selbstzweifeln geplagte Mittdreißiger am Rande ihrer Komfortzone – das war die OFFF 2019 in Barcelona. Zumindest auf den ersten Blick. Ein Gastbeitrag von Christoph Becker und Mike Zeiler von Artus Interactive.
Hier und da hatten die Besucher der OFFF 2019 das Gefühl, dass die Design-Konferenz in Barcelona sich in eine kleine Selbsthilfegruppe für Kreative und Designer verwandelt. Case Videos und Projekte wichen persönlichen Geständnissen über Versagensangst oder Selbstzweifel. Erläuterungen zu kreativen Prozessen wichen Fragen über Effizienz im Job und der Zahlungsbereitschaft der Kunden. Es scheint so, als wären wir Kreative im harten Arbeitsalltag angekommen. Aber das Ganze sollte doch eigentlich Spaß machen oder? Keine Angst – das hat es auch! Die OFFF 2019 war trotz oder gerade wegen diesen spannenden Kontrasten einmal mehr einen Besuch wert.
Von Audi und Affen
Für die gewisse Rockstar-Attitüde sorgte dieses Jahr einmal mehr Bradley Munkowitz aka Gmunk. Der selbstständige Designer, Director und selbst ernannte Galactic Crusader tauschte mal eben schnell das Rednerpult gegen ein braunes Ledersofa inklusive Gin Tonic ein. Von dort nahm er das Publikum mit auf eine wilde Reise durch seine gesammelten Werke von Audi bis Hollywood, Infrarot Fotografie, Drogentrips und onanierende Affen (Pro-Tipp: Besucht seine Homepage und klickt auf das Logo). Was davon wohl seine größte Leidenschaft ist und den meisten Jubel im Publikum ausgelöst hat, kann sich jeder selbst denken. Nur soviel: Das Publikum feiert seine Show und trägt ihn weiterhin auf Händen – ein echter Rockstar eben. Man könnte meinen, das Ganze wäre ein wenig lächerlich, doch die Qualität seiner kreativen Arbeiten sucht ihresgleichen und so steckte das Publikum auch den zwanzigsten Affen beim Geschlechtsverkehr mit einem Lachen weg.
You have to take a risk to create a strong message!
Ohne Risiko macht sich Edel Rodriguez erst gar nicht an die Arbeit. Die Präsentation des amerikanischen Künstlers und Designers mit kubanischen Wurzeln war eines der Highlights der diesjährigen OFFF. Richtig bekannt wurde er in Deutschland erst mit seinen Cover-Designs für den Spiegel. Seine illustrativen Statements zu Donald Trump stellen den amerikanischen Präsidenten visuell ins rechte Licht und enttarnen seine menschenverachtende und klimafeindliche Politik auf direktem Wege. Was wahrscheinlich nur wenige wissen: Edel Rodriguez genügt es nicht, seine politischen Designs nur auf dem Cover des Time-Magazine oder dem des Spiegels zu präsentieren. Mit persönlichen Guerilla-Aktionen platziert er Illustrationen in amerikanischen Großstädten. Die Motive entstammen seiner Ausstellung „Agent Orange“, die seine Kritik an Donald Trump thematisiert. So konfrontiert er die Gesellschaft mit seinen politischen Botschaften. Ein starkes Statement, Mr. Rodriguez.
Produce, Produce, Produce!
Eine ebenso unterhaltsame Darbietung lieferte der spanische 3D Artist und PZZZA Studios Gründer Boldtron. Sein Motto lautet: »Strange 3D Behavior with no strategy involved!« Seiner Meinung nach muss Design keinen Zweck erfüllen, solange es einfach Spaß macht. Das sehen Kunden wie Lacoste, Reebok und Nike wohl genauso, denn für eben diese entwickelte er Kampagnen in seinem typisch-abstrakten 3D-Look. Spaß hatte auch das Publikum, nicht zuletzt dank seiner sehr ehrlichen und sympathischen Art. Er vermittelte dem Publikum zudem, dass es für Designer absolut ok ist, sich den ein oder anderen visuellen Fehltritt zu leisten und Andere daran teilhaben zu lassen. Das Leben ist schließlich kein Influencer-Kanal und ohne Übung gibt es eben auch keine Meister! Abschließend forderte er das Publikum auf, zu produzieren, was das Zeug hält, zu lernen, dabei Fehler zu machen und immer wieder neue Wege zu gehen – raus aus der Comfort-Zone. Alright, wird gemacht Boldtron!
Im Zweifel für den Zweifel – Tocotronic
Das die Skepsis gegenüber der eigenen kreativen Arbeit nicht zwangsläufig zum Burn-out führen muss, zeigen die Arbeiten des multidisziplinären Künstlers und Illustrators Sebastian Haslauer aus Berlin. Seine Zweifel scheinen den kreativen Motor überhaupt erst in Schwung zu bringen. »More dirt!« fordert er gestalterisch. Dabei hat Haslauer keine Angst davor, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn er die Grenzbereiche der eigenen künstlerischen Schaffenskraft auslotet. Nachdem er zahlreiche Collagen für das SZ Magazin und NEON kreierte, hat er jetzt Bock auf Skulpturen. Und stellt diese gleich in einer Einzelausstellung in Berlin vor. Haslauer schafft es, sich einen eigenen Spielraum zu kreieren, in dem freie und Auftragsarbeiten zweifelsohne gut miteinander harmonieren.
Blanc X OFFF 2019
Die nötige Portion Young Talents gab’s wie gewohnt am Sonntagnachmittag in Kooperation mit den Kollegen vom Blanc Festival auf der »…And«-Bühne. Vor allem die Arbeiten des Illustrators und Design-Nomaden Magoz, des finnischen Designer Trios TSTO und des multidisziplinären Designers Josep Prat Sorolla, haben uns besonders begeistert und sind allemal ein paar Blicke wert! Magoz führte das Publikum durch einige seiner minimalistischen und doch verspielten Illustrationen, die während der Präsentation durch Animation und Sound langsam zum Leben erweckt wurden und so ihr volles Potential entfalteten. Dabei wurde er von Freunden unterstützt, denen Musik und Animation deutlich mehr liegt als ihm. Wieso also alles mit sich selbst ausmachen, wenn man kollaborieren kann?
Sehen wir auch so! TSTOs Arbeiten sind unglaublich facettenreich: Während einige Arbeiten, zum Beispiel für Artek, von absolutem Minimalismus geprägt sind, begeistern die gesammelten Werke für das Flow Festival etwa durch einen Overload an Formen, Fonts, Farben und experimentellen Layouts. Josep Prat Sorolla, oder auch SEPE, ist ein multidisziplinärer Kreativer, dessen Arbeiten bunt, wild, minimalistisch, futuristisch, nostalgisch und sexy sind. Und das alles zusammen. Ob Illustration für Adidas, Animation für MTV oder ein Musikvideo für Reyko – alles folgt seinem unverkennbaren Stil, der sofort begeistert. Bitte mehr davon!
Welcome to the OFFFterworld!
Zur letzten Lecture der OFFF 2019 gab es noch eine 600-seitige Präsentation unter Zeitdruck vom „Godfather of Grunge-Typography“ David Carson. Mit Zweifeln hat der gute Mann schon lange nichts mehr am Hut: Er macht nur noch, worauf er Bock hat und surft vor seinem Haus auf der perfekten Welle dem Sonnenuntergang entgegen. Von seiner Coolness könnten sich die geplagten Selbstzweifler in Zeiten großer Skepsis eine Scheibe abschneiden.
Die OFFF 2019 in Barcelona hat auch in diesem Jahr gezeigt, was in ihr steckt: Das Festival wurde zum Mekka für tausende Künstler und Designer, die den Großen der Branche lauschten, sich vom Flair des Events inspirieren ließen und die neusten Trends diskutierten. Und allen Zweifeln zum Trotz wurde den Besuchern wieder einmal klar, dass unser Job trotz manchmal hartem Arbeitsalltag vor allen Dingen eines macht – jede Menge Spaß!
Eindrücke von der OFFF 2019
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Über die Autoren
Christoph Becker ist Kreativer mit Fokus auf Idea, Creative Concepts und Copywriting. Lead für viele erfolgreiche Social Media Kampagnen. Erkennt aktuelle Trends und verwandelt sie in Brand Value. Er setzt auf einen teamorientierten Führungsstil mit Betonung der Strategie und Blick aufs Ganze.
Mike Zeiler ist Art Director bei Artus interactive mit starkem Fokus auf aktuelle Trends und ihre Adaption in das digitale Umfeld. Er hat über zehn Jahre Erfahrung in der Konzeption und Gestaltung digitaler Projekte für Procter & Gamble, Delonghi und andere Marken.