Wir sprachen mit Alexander Haase von Designerdock über mentale Gesundheit und Missstände in der Branche.
Nach zwanzig Jahren in Kreativagenturen – zuletzt als Executive Creative Director bei Innocean – führt Alexander Haase seit Juni 2022 das Frankfurter Büro der Personalberatung Designerdock. Deshalb hat er einen guten Überblick über die Lage in der Kreativbranche – auch, was mentale Gesundheit angeht.
Ist Mental Health ein Thema in euren Gesprächen mit Kreativen? Alexander Haase: Nicht in dem Sinne, dass Bewerber:innen explizit danach fragen. Aber insgesamt ist der Umgang mit diesem Thema viel offener geworden. Agenturen wissen zumindest theoretisch, dass das alte Modell mit seinen Nachtschichten und durchgearbeiteten Wochenenden nicht mehr funktioniert.
Die alten Selbstverständlichkeiten aus der Agenturwelt wirken inzwischen ähnlich deplatziert, wie wenn sich jemand im Restaurant eine Zigarette anstecken würde. Die jüngere Generation trifft auf einen brummenden Arbeitsmarkt und ist nicht mehr bereit, jeden Tag zwölf Stunden zu arbeiten.
Die Bedingungen in den meisten Agenturen haben sich noch nicht so sehr geändert.
Ich denke schon, dass Agenturen verstanden haben, dass Mitarbeiter:innen keine Verschleißobjekte sind. Und sie bemühen sich – mit Achtsamkeitstrainings, Mental-Health-Workshops oder Angeboten für bessere Work-Life-Balance. Am Ende ist es aber so, dass sie Dienstleister sind und sich über Jahre selbst in eine Situation hineinmanövriert haben, in der Auftraggeber es gewohnt sind, alles zu bekommen, was sie wollen. Dann muss die Belegschaft eben doch am Wochenende ran. Da kann man noch so viele Achtsamkeitstrainings machen.
Was sollten Agenturen deiner Meinung nach für ihre Mitarbeitenden tun?
Sie müssen versuchen, individuelle Lösungen zu finden, auch wenn das Mehraufwand bedeutet. »One size fits all« funktioniert nicht. Eine alleinerziehende Mutter braucht kein Fitnessstudioabo, sondern flexible Arbeitszeiten und einen Zuschuss zu der Kinderbetreuung. Der 20-jährige Berufsanfänger freut sich über das Fitnessstudio. Das ist ein Punkt, mit dem Agenturen gegenüber Unternehmen punkten könnten, wo es oft nur allgemeine Benefitprogramme gibt.
Siehst du eine Chance, dass sich das System Kreativagentur grundlegend verändert?
Das kommt auch auf die wirtschaftliche Entwicklung an. In einer ernsten Krise wird der Druck auf Dienstleister höher und deren Spielraum kleiner. Ich würde Agenturen raten, mehr mit einer Stimme zu sprechen, um Verständnis, Wertschätzung und Respekt auf Kundenseite einzufordern. Noch fehlt dieser Zusammenhalt – irgendeine Agentur geht doch mit einem Dumping-Preis in den Pitch, weil sie den Kunden unbedingt haben will.
Was hat dir in Stressphasen geholfen?
Als Texter und Konzepter hatte ich es grundsätzlich etwas einfacher als zum Beispiel Artdirektor:innen, die bis zuletzt an Layouts arbeiten müssen. Was ich aber schon immer gemacht habe: Wenn ich an einem toten Punkt angekommen bin, gehe ich nach Hause. Es hat keinen Sinn, bis zwei Uhr nachts im Büro zu sitzen und auf eine Idee zu warten, die in den acht Stunden davor schon nicht gekommen ist. Dann besser einen Cut machen, vielleicht joggen gehen und sich später zu Hause noch mal dransetzen. Außerdem empfehle ich, mittags einfach mal das Büro zu verlassen, um zum Beispiel etwas essen zu gehen. Das klingt total banal – machen aber viel zu wenige.
Ratgeber: Mental Health
In unserem Ratgeber gehen wir der Frage nach, wie Kreative im schönsten Beruf der Welt – und einem der stressigsten – ihre Balance halten oder wiederfinden und wie Agenturen sie als Arbeitgeber dabei unterstützen können: »Achtet auf euch! Unser Mental-Health-Ratgeber für Kreative«
»Input von außen hilft gegen die eigene Gedankenendlosschleife«: Ann Eckert ist Freelance-Grafikdesignerin und -Artdirektorin. Sie lebt in Hamburg und nimmt sich gerne eine Auszeit auf ihrem kleinen Segelboot – wobei sie den Begriff »Auszeit« problematisch findet …
»Psychische Gesundheit muss man kontinuierlich pflegen«: Ruth Bauer ist 2014 von Wien nach Hamburg gezogen, 2015 hat sie sich als Kreativdirektorin für Konzept und Text selbstständig gemacht. Gemeinsam mit ihrem Partner Falko Rössing, Kreativdirektor für Design, arbeitet sie unter dem Namen Behave Studio für Agenturen und Direktkunden. Sie hat in einer Therapie gelernt, Symptome psychischer Belastung besser zu erkennen.
»Dienstleistung ist nicht gleichbedeutend mit Sklaverei«: Die Münchner BECC Agency hat sich vom alten Agentursystem abgewendet. Die Chefetage achtet auf das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden und einen offenen Umgang mit ihren Kunden.
»Wir wollen selbst Spaß bei der Arbeit haben«: Lars Kreyenhagen und Claudia Fischer-Appelt leben ihrer Belegschaft bei Karl Anders vor, dass sich kreative Arbeit und Privatleben sehr wohl gut kombinieren lassen.
»One size fits all funktioniert nicht«: Nach zwanzig Jahren in Kreativagenturen – zuletzt als Executive Creative Director bei Innocean – führt Alexander Haase seit Juni 2022 das Frankfurter Büro der Personalberatung Designerdock. Deshalb hat er einen guten Überblick über die Lage in der Kreativbranche – auch, was mentale Gesundheit angeht.