Wenn eine Designagentur ein Tool entwickelt, das automatisch Layouts generiert, stellt sich unweigerlich die Frage: Schaffen sich Designer jetzt selbst ab? Jochen Rädeker, Gründer und Geschäftsführer von Strichpunkt, sagt nein. Das Gegenteil sei der Fall.
Für die Deutsche Post DHL Group entwickelte Strichpunkt nicht nur ein markenübergreifendes Brand-Portal, sondern auch ein Gestaltungswerkzeug, das mithilfe künstlicher Intelligenz Layouts erstellt: den Layout Creator. Mehr Infos dazu gibt es hier.
Wir wollten von Strichpunkt-Chef Jochen Rädeker, der auch Professor für Kommunikationsdesign an der Hochschule Konstanz ist, wissen, wie die zunehmende Automatisierung durch KI den Designberuf verändern wird.
Was bedeutet ein System wie der Layout Creator für die Zukunft des Designs?
Jochen Rädeker: Ich bin sicher, dass unser Tool erst der Anfang ist. Wenn eine international gesehen relativ kleine Agentur wie Strichpunkt fähig ist, so ein System aufzusetzen, lässt sich daraus ableiten, zu was etwa Google, Microsoft oder Adobe mit all ihren Spezialisten in der Lage wären – und wie schnell sich solche automatisierten Designsysteme verbreiten werden. Wir haben zwar den Vorteil, dass wir aus der Gestaltung kommen, und sind vermutlich die einzige Agentur, die derzeit so ein System anbieten kann – aber die Big Five aus dem Silicon Valley könnten da ganz schnell gleichziehen, wenn sie denn wollten.
Wenn ich mich als Designer darauf kapriziere, dass ich InDesign besser bedienen kann als mein Kunde, dann habe ich meinen Beruf falsch verstanden.
Gefährdet das den Designberuf?
Das kommt auf die Definition und das Selbstbild an. Wenn ich mich als Designer darauf kapriziere, dass ich InDesign besser bedienen kann als mein Kunde, dann habe ich meinen Beruf falsch verstanden. Wenn ich mich aber darauf konzentriere, mit technischer Unterstützung kreative Ideen umzusetzen, stehe ich schon besser da. Ich sehe angesichts der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung harte Zeiten für Berufe wie DTP-Setzer oder Mediengestalter, die sich vor allem übers Handwerk definieren. Dafür sehe ich aber eine große Zukunft für Menschen, die Kreativität professionell ausleben wollen, ohne sich dabei von technischen Barrieren behindern zu lassen. Der Designberuf wird vielfältiger, es geht immer mehr auch um Themen wie Werteberatung oder die Entwicklung von Produkt- und Geschäftsideen.
Was heißt das genau?
Designer müssen sich auf die Tugend besinnen, dass sie strategisch denken, kreative Lösungen und Ideen entwickeln können und ein ausgeprägtes formales Empfinden haben. Unser Tool, also der Layout Creator, trifft formale, ästhetische Entscheidungen basierend auf einem Regelwerk, das professionelle Gestalter entworfen haben. Unsere Aufgabe wird sich immer mehr dahin bewegen, eine Corporate Identity zu definieren, dazu passende Corporate-Design-Module zu entwickeln und zu optimieren. Ihre Anwendung und Umsetzung aber werden zunehmend Maschinen übernehmen. Wir können uns also wieder auf die wirklich spannenden Aufgaben konzentrieren!
Ich bin überzeugt, dass der Beruf des Designers künftig keine große technische Komponente mehr haben wird.
Wieder?
Vor der Einführung des Desktop-Publishings haben Designer vornehmlich konzeptionell gearbeitet – die Umsetzung übernahmen andere, etwa Schriftsetzer, Reprografen et cetera. Mit der technischen Revolution unseres Jobs in den 1990er Jahren wurden wir zu Technikern, die nebenbei noch kreativ sind. Das wird durch die KI-gestützte Digitalisierung wieder umgekehrt. Ich bin überzeugt, dass der Beruf des Designers künftig keine große technische Komponente mehr haben wird. Genauso wenig wie ein Programmierer heute noch perfekt HTML schreiben können muss. Unser Job wird sich dahin verlagern, einem Voice Interface zu sagen: »Ich brauche ein Layout, feminin, freundlich, Zielgruppe 20- bis 30-jährige Frauen. Such bitte geeignete Farben und Schriften heraus und füge oben rechts folgenden Inhalt ein . . .« Dann liefert ein System von Google, Adobe, Microsoft oder Strichpunkt einen Vorschlag, den man noch etwas anpasst – fertig. Die ganze Technik dahinter müssen wir nicht mehr en detail beherrschen, sondern nur ihre Wirkweise verstehen. So bekommen wir die Freiheit zurück, uns intensiv mit Problemstellungen beschäftigen und kreative Lösungen finden zu können. Das ist unsere Überlebenschance in einem Weltmarkt, der sich weiter technisieren wird.
Werden solche Tools dann nicht vor allem dazu genutzt, um Geld für Design einzusparen?
Es wäre vermessen zu glauben, dass die digitale Revolution ausgerechnet dort haltmacht, wo digitale Medien gestaltet werden. Dazu kommt, dass wir am Beginn einer deutlichen wirtschaftlichen Eintrübung stehen, was Agenturen bereits zu spüren bekommen. Die Kreativbranche trifft eine Wirtschaftskrise meist als Erstes – weil sich ihre Ergebnisse so schlecht messen lassen. Das macht Tools wie den Layout Creator, die viel Geld bei der technischen Umsetzung von Kreation sparen, für Unternehmen natürlich umso spannender. Das kann man als Angriff auf die Kreativbranche sehen – oder als ihre große Chance: Wir müssen uns nicht mehr mit der Technik beschäftigen, sondern mit der Lösung. Agenturen, die sich darauf spezialisiert haben, Anzeigen nach bestehenden CD-Regeln zu bauen oder zu adaptieren, werden es sehr schwer haben, und das wird sicher Auswirkungen auf den Markt haben. KI ist aber nicht böse – sie ist Teil einer Entwicklung, der wir uns allgemein als Designer stellen müssen.
Und was ist mit den internen Design- und Marketingabteilungen der Unternehmen?
Die könnten sich wieder mehr Gedanken über die Zukunft der Marke machen und innovative Strategien entwickeln. Aber natürlich wird es auch Unternehmen geben, die in dieser Entwicklung vor allem eine Möglichkeit sehen, Personalkosten zu sparen. Das ist der Nachteil der technologischen Revolution – aber leider einer, der sich nicht verhindern lässt.
Reagieren die Hochschulen schon auf diese Entwicklung?
Leider nein – oder genauer: nicht genug. Was die Aus- und Weiterbildung angeht, plädiere ich dringend dafür, mehr Ideation und Kreativtechniken zu schulen, strategische Kompetenzen zu vermitteln und Menschen dazu anzuregen, nachzudenken und ihre Fan tasie einzusetzen. Stattdessen konzentriert sich der Großteil der Designstudiengänge, vor allem in den Grundsemestern, auf die technische Ausbildung. Die Hochschulen bilden letztlich für veraltete Technologien aus, die man schon bald nicht mehr brauchen wird. Es muss mehr Bildungsangebote geben, die Designern dabei helfen, die neue Freiheit zu nutzen. Ich habe mal Fotosatz gelernt, dann Quark XPress. Alles tot. Demnächst sterben eben InDesign oder Cinema 4D. Aber Ideen sterben nie.
Maschinen können nicht überraschen. Das benötigt Kreativität.
Was können Designer, das künstliche Intelligenz nicht kann?
Mit dieser Frage habe ich mich in den letzten Jahren als Professor, aber auch als Strichpunkt-Geschäftsführer viel beschäftigt. Die Antwort ist stets dieselbe: KI kann fast alle handwerklichen Prozesse ersetzen, aber nicht kreatives Denken. Das bedeutet die Befreiung von technischen Beschränkungen, ist aber zugleich eine bittere Nachricht für all jene, die den Beruf rein technisch auslegen. Codende UX/UI Designer sind heute gesuchte Talente, aber früher oder später werden auch diese Aufgaben an Maschinen ausgelagert werden – bis auf den kreativen Part. Um Wireframes in einen attraktiven Zustand zu bringen, wird man bald keine Designer mehr brauchen. Die konzeptionelle Überlegung – also warum welche Wireframes wo sind – wird uns die Maschine aber nicht so schnell abnehmen. Und das Ganze überraschend zu machen, erst recht nicht. Maschinen können nicht überraschen. Das benötigt Kreativität. Das sollten wir als Designer im Fokus haben.