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Die Übermacht der Emojis

Jürgen Siebert über eine neue Form der Schrift- bzw. Bildsprache

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Das Schreiben mit Bildern begann lange vor Erfindung des Alphabets. Die ältesten Höhlenmalereien in Spanien und Frankreich entstanden vor mehr als 38 000 Jahren. Ab 3200 vor Christus be­dienten sich die Ägypter der Hieroglyphen, einer Bilderschrift, zu der spä­ter Konsonanten- und Sinnzeichen hin­zu­kamen. Andere Kulturkreise ent­wi­ckelten zur gleichen Zeit Buchstaben- und Silbenschriften, so wie wir sie heu­te verwenden.

Inzwischen spricht einiges dafür, dass die Bildersprache wiederkommt. Auf Mobilgeräten sorgen bunte Symbole bei Jung und Alt für Wärme in der digitalen Kommunikation. Emojis hei­ßen die Zeichen, deren Ursprünge in Japan liegen. Sie verbreiten sich rasend schnell in Messengern und in den sozialen Netzwerken. Der Realtime-Zähler emojitracker.com wacht seit Juli 2013 über die Nutzung der 845 verfügbaren Symbole auf Twitter und sieht aktuell das Tränenlachen-Emoji 😂 mit 780 Millionen Auslieferungen an ers­ter Stelle, gefolgt von Herz ❤️ und verliebtem Blick 😍.

Auch außerhalb privater Mitteilun­gen tauchen die Bildzeichen auf, vor­ al­lem in Werbung und Marketing. IKEA Nederland zum Beispiel hat im Februar eine virtuelle Bildertastatur für iOS und Android veröffentlicht. Sie umfasst rund hundert bunte Symbole, darunter Möbelklassiker, Accessoires und Ikonen wie Hotdog, Soft­eis­tüte und Köttbullar-Pyramide. Das Schriftenhaus Monotype hat im Frühjahr den Emoji-Keyboard-Entwickler Swyft Media übernommen, der solche Bildtastaturen bereits für Marken wie Miller, Warner und Disney realisiert hat.

Anfang Juni sorgte Norwegian Air mit einer Website für Aufsehen, deren URL aus drei Emojis besteht, die zugleich den Kern der Werbebotschaft transportieren (siehe unten). Soll heißen: »Wir fliegen euch junge Leute für wenig Geld ins Zockerparadies Las Ve­gas.« Das US-Magazin »Wired« räumte im März sogar sein Cover für zwei Emojis in Chat-Sprechblasen frei, die neugierig auf die Titel­geschichte »Sex in the Digital Age« machten.

In kurzen Online-Dia­lo­gen seien Emojis oft die einzige Möglichkeit, Gefühle zu transportieren.

Die Sozialpsychologin Tina Gans­ter hält Emojis für »eine kreative Weise, mit den Beschränkungen der digita­len Kommunikation umzugehen«. Sie vergleicht die di­gi­talen Bildchen gegenüber dem Sender Deutsche Welle mit unserer nonverbalen Kommunikation im realen Le­ben. Mi­mik, Tonfall und Kör­per­sprache ver­mit­telten sich nicht über einen ge­schrie­benen Text. In kurzen Online-Dia­lo­gen seien Emojis daher oft die einzige Möglichkeit, Gefühle zu transportieren.

Dass unsere Schriftsprache nicht per­fekt ist, wusste auch der Schriftstel­ler Vladimir Nabokov. »Ich denke häufig, dass ein spezielles typografisches Zeichen für ein Lächeln existieren soll­te«, äußerte er 1969 gegenüber der »New York Times«. Nabokov dachte an eine »auf dem Rücken liegende Klammer«, 13 Jahre bevor Scott E. Fahlman, Professor für Informatik an der Carnegie Mellon University, in seine Com­putertastatur tippte: »Ich schlage die Zeichenfolge 🙂 als Witzmarkierung vor. Bitte seitwärts lesen.« Das Emo­ticon war geboren, der Vorläufer der bunten Emojis.

Inzwischen interessiert die neue Bil­dersprache auch Psychologen, denn die Verwendung der Zeichen erlaubt Rückschlüsse auf die Schreibenden. Sabrina Eimler, Professorin für Human Factors and Gender Studies an der Hochschule Ruhrwest, fand heraus, dass Vorgesetzte anders wahrgenommen werden, wenn sie Emoticons in ih­ren Mails verwenden: »Der Chef wirkt dann sympathischer, aber auch weniger durchsetzungsfähig«, verriet sie der »ZEIT« (Nr. 19/2015). Auch die Frequenz der Smileys hinterlässt beim Empfänger einen Eindruck: Wer sie nie nutzt, gilt als konservative Spaßbremse, zu viele Emoticons entlarven eine Botschaft als unglaubwürdig.

Mit einem Kulturverfall hat der neue Bilderwahn jedenfalls nichts zu tun. Es mag zwar sein, dass Jugendliche keine Briefe mehr schreiben. Dafür entwickeln sie in digitalen Kanälen eine Form der Schriftsprache, die ganz neue Möglichkeiten eröffnet.

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