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»Die Kreativbranche muss verstehen, dass ihre Arbeit viel wert ist«

Erica Wolfe-Murray berät Kreative in Bezug auf geistiges Eigentum. Im Interview erklärt sie, wie man sich dieses am besten zunutze macht.

Erica Wolfe-Murray Lola Media

Erica Wolfe-Murray arbeitet schon immer in der Kreativbranche – in der Werbung, im Produkt- und Grafikdesign, in der Öffentlichkeitsarbeit, im Lizenzgeschäft sowie in der TV-Produktion. 2011 hat sie das Innovationsstudio Lola Media gegründet und sich auf geistiges Eigentum spezialisiert. Sie berät Unternehmen aus der Kreativ-, Kultur- und Tech-Branche, wie diese ihr geistiges Eigentum am besten einsetzen können, um neue Zielgruppen und Erlöse zu generieren. Sie hat dazu ein E-Book herausgegeben und schreibt aktuell an einem weiteren Buch, das im Januar 2019 erscheinen wird. Erica Wolfe-Murray ist fest davon überzeugt, dass Kreative sich bewusst werden müssen, wie viel ihre Arbeit wert ist – gute Argumente dafür nennt sie im Interview.

Wie kam Ihre Spezialisierung auf geistiges Eigentum zustande?
Erica Wolfe-Murray: 2011 hatte ich eine Operation am Bein und konnte eine Weile nicht laufen. Ich saß zuhause auf dem Boden, malte die Fußleisten an und dachte darüber nach, wie ich meine beruflichen Erfahrungen für etwas nutzen könnte, was sonst niemand anbietet. Ich hatte genug davon, für Idioten zu arbeiten. Ich wollte eine Firma gründen, in der sich alle Mitarbeiter willkommen fühlen, in der man sich freut, mit ihnen zu arbeiten und ihnen ermöglicht, über sich selbst hinauszuwachsen. Ich habe mich an zwei sehr unterschiedliche frühere Auftraggeber erinnert: Bei Historic Royal Palaces ging es um Lizenzen und Design, bei National Geographic International um neue Dokumentarfilm-Formate. Beide wünschten sich ein Angebot, um neue Märkte und neue Zielgruppen zu erschließen – und neue Ertragsquellen. Während der Arbeit für National Geographic war mir aufgefallen, dass für Dokumentarfilme oft Recherche-Ergebnisse oder Geschichten von Beteiligten verwendet werden, die nicht finanziell beteiligt werden, wenn der Film international an andere Sender verkauft wird. So kam ich auf Intellectual Property. Mein Ziel war es, neuartig mit diesem Thema umzugehen, das in jedem Unternehmen eine Rolle spielt, doch immer nur aus rechtlicher Sicht beleuchtet wird.

»Jede einzelne Person, jede kleine Firma und jeder große Konzern hat geistiges Eigentum, das nicht genutzt wird.«

Welches Potenzial hat das Thema darüber hinaus? Was fasziniert Sie daran?
Jede einzelne Person, jede kleine Firma und jeder große Konzern hat geistiges Eigentum, das nicht genutzt wird. Zu geistigem Eigentum zähle ich alles, was einen zu dem Punkt gebracht hat, an dem man ist: Kontakte, frühere Kunden, Archive, Produkte, Rezepte, … Geistiges Eigentum hat einen langweiligen Ruf. Man sollte es stattdessen als tolles Sprungbett für die eigene Zukunft sehen. Schließlich ist das geistige Eigentum jeder Person absolut einzigartig, niemand anderes wird jemals wieder genau dieselbe Laufbahn haben. Mit seiner persönlichen Geschichte und dem dazugehörigen geistigen Eigentum kann man sich also bestens von Wettbewerbern absetzen und etwas anbieten, was sonst niemand hat. Es ist, als würde man seine Regale öffnen, um zu schauen, was man mit den vorhandenen Zutaten Neues kochen könnte – statt in einem Kochbuch ein Rezept rauszusuchen und dafür extra einzukaufen.

Was sollte außerdem jeder in der Kreativbranche über geistiges Eigentum wissen?
Jeder Kreative sollte wissen, dass er riesige Mengen an wertvollem geistigen Eigentum produziert – und sich dies zunutze machen kann. Hat man das einmal verstanden, kann das ein echter Game Changer für die Karriere oder für eine Firma sein, auch in Bezug auf Einnahmequellen und die Wahrnehmung von außen.

»Es ist wichtig, dass man versteht, wie eine Firma funktioniert, bevor man eine gründet.«

Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass viele Kreative das Potenzial ihres geistigen Eigentums nicht voll ausschöpfen?
Ich habe so viele talentierte Menschen und Firmen gesehen – Designer, App-Entwickler, Software-Firmen, Drehbuchautoren, Dichter, Werbeagenturen, Studios, Musiker, Event-Organisatoren, Filmemacher – die einfach nicht genug mit ihrer Arbeit verdienen. Das hat mich verwundert, geschockt, wütend gemacht. Es könnte daran liegen, dass es zwei hartnäckige Mythen gibt, die wir unbedingt widerlegen sollten:

  • Kreative haben nichts mit Geld am Hut. 
    Das ist wirklich Quatsch. Viele Kreative kümmern sich selbst um ihre Finanzen – sie sind damit absolut in der Lage, eine eigene Firma zu führen. Finanzen können Spaß machen, man kann einfallsreich mit ihnen umgehen. Man muss sie nur als zusätzliche Fähigkeit betrachten, die man trainiert. Ich habe mir auch selbst beigebracht, Finanzdirektorin zu sein, ohne in diesem Bereich besonders geschickt zu sein. Es ist wichtig, dass man versteht, wie eine Firma funktioniert, bevor man eine gründet. Das ist allerdings nicht immer der Fall.
  • Kreative arbeiten, weil sie ihre Arbeit »lieben«
    Natürlich lieben wir, was wir tun – und was für ein Glück haben wir damit? Doch wir sollten uns vor Augen führen: Kreativität ist ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Kreative werden aber oft nur für ihre Arbeitszeit bezahlt, als Dienstleister. Und nicht für die entstandenen Werte. Das fühlt sich so falsch an! Es liegt zum Teil daran, dass diese wunderbare Branche nicht weiß, wie sie sich für bessere Wirtschaftsmodelle einsetzen soll.

Was muss passieren, damit sich daran etwas ändert?
Es gibt drei Punkte, die wir zusammen aus der Branche heraus anpacken sollten. Das Wichtigste schon mal vorab: Kreative dürfen sich nicht mehr in Eltern-Kind-Beziehungen mit ihren Auftraggebern begeben, sondern müssen diesen auf Augenhöhe als kreative Partner begegnen. Das sorgt für Wertschätzung. Es geht dabei gar nicht um die Größe eines Unternehmens. Auch kleine Studios können eine große wirtschaftliche Rolle spielen. Ich habe ein Designstudio mit sechs Mitarbeitern beraten, das eine Zukunftsstrategie für internationale Lufttransportunternehmen für einen Hersteller erarbeitet hat. Sowas lässt sich nicht mit Tagessätzen entlohnen. Die weiteren Punkte sind:

  • Kreative sollten die Bandbreite an Geschäftsmodellen verstehen: Was besitzen sie schon, was entwickeln sie – und was können sie damit anfangen, um zu wachsen? Um auf Ideen zu kommen, sollten sie Einfallsreichstum, Elan und Begeisterung einsetzen.
  • Sie sollten zudem verstehen, welche Erlösquellen es gibt – all die unterschiedlichen Möglichkeiten, Geld zu verdienen und Leistungen abzurechnen. Meistens verwendet man nur eine oder zwei Möglichkeiten, oft ist es ein klassisches Dienstleistermodell, laut dem man für seine Arbeitszeit bezahlt wird. Zeit kann man aber nur einmal verkaufen – das minimiert Wachstum und Profit. Wie wäre es stattdessen also damit, eine Erfolgsbeteiligung auszuhandeln, für eine Marke, die man mit aufgebaut hat? Man wird für das Designen bezahlt, ja. Aber nicht drei, fünf oder zehn Jahre lang für die Auswirkung des Designs.
  • Kreativunternehmen sollten dafür all ihre Kommunikationsmittel überarbeiten – von Website über Referenzen bis zu Verträgen. Auf der Website muss ersichtlich sein, dass man am Erfolg seiner Auftraggeber teilhaben möchte, dass man selbst interessante Geschäftsmodelle kennt. Bisherige Projekte sollten das ebenfalls widerspiegeln. Und die Verträge müssen es untermauern. Diese sollte man als Chance sehen, nicht als Verteidigungsmöglichkeit.

Wie sollten Kreative diese Punkte gegenüber ihren Auftraggebern am besten vermitteln?
So, so viele kreative Unternehmen haben Angst, sich mit ihren Auftraggebern zu überwerfen. Und wegen ihrer heiklen Finanzmodelle kann ich das verstehen. Das muss sich unbedingt ändern! Wir als Kreativbranche müssen uns ein für alle Mal eingestehen, wie viel unsere Arbeit wert ist. Das muss sich in allem widerspiegeln, was wir tun. Wir sollten stark, selbstbewusst und kreativ auftreten. Die Kreativbranche trägt so viel zur Wirtschaft bei – wenn wir das verstehen, kann uns keiner mehr aufhalten!

Lese-Empfehlung: Interessant sind zu diesem Thema auch die Ergebnisse des Adobe Digital Report 2018, der unter anderem herausfand, dass designorientierte Unternehmen doppelt so erfolgreich sind wie die Konkurrenz. Mehr dazu hier.

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Nette Wunschvorstellung. Keine Antwort darauf weshalb sich Unternehmen auf Kreative mit so einem Abrechnungsansatz einlassen sollten. Wo ist der Vorteil für die Kunden? Wo für den Kreativen? Beteiligung? x Unternehmen gehen pleite und dann vorher für einen geringen Satz und die Hoffnung arbeiten? Das ist wie mit Kunden mit der Haltung ‘Sie haben dann MICH als tolle Referenz’.
    Lässt sich hier mit der Beratung mal wieder mehr verdienen als mit der Umsetzung so eines Konzeptes? eBook geschrieben? Typisches Beraterding.
    Bitte nicht falsch verstehen aber das klingt alles in diesem Artikel nicht praxistauglich.

  2. Hallo Herr Werkmann,
    danke für den Kommentar! Schön, dass Ihnen das Interview gefällt. Erica Wolfe-Murray hat einen interessanten Vortrag zu ihrer Arbeit auf der TYPO Berlin 2018 gehalten – vielleicht möchten Sie sich ja die Aufzeichnung davon ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=aBVOPqISDPE

    Liebe Grüße aus der Redaktion

  3. Toller Artikel, Gerne würde ich mehr zur Autorin und ihrer neuen Methode der Vermarktung in diesem Bereich kennenlernen.

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