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Designkritik: »In Deutschland wird immer sehr vernünftig getan«

Ein Gespräch mit Professorin Birgit Bauer von der HTW Berlin über die Rolle von Designkritik im Gestalter:innenalltag und im Studium, über allgemeingültige Kriterien und kritisches Denken.

Birgit Bauer
Birgit Bauer ist Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin mit dem Fachgebiet Designkonzeption im Kommunikationsdesign

 Für Birgit Bauer, Professorin an der HTW Berlin, ist Designkritik vor allem eine Einladung zum Gespräch. Wir unterhielten uns mit ihr über kulturelle Unterschiede in der Bewertung von Design und darüber, wie man Studierenden Werkzeuge zum kritischen Denken an die Hand gibt.

Die Kritik an konkreten Designarbeiten artet im Netz oft in Bashing aus. Ist das ein deutsches oder eher ein Internet-Phänomen?
Birgit Bauer: An der deutschen Diskussion fällt mir auf, dass Design meist als rationale, klare, allgemeingültige Sache angesehen wird – was natürlich nicht stimmt. Letztlich fehlt mir der Vergleich, aber generell wird bei uns immer sehr vernünftig getan. In anderen Ländern wird schönes, etabliertes und erfolgreiches Design ganz anders beurteilt. Tatsächlich habe ich in Frankreich und Italien Debatten erlebt, in denen Gefühle eine viel größere Rolle gespielt haben. Daran sieht man, wie unterschiedlich die Bewertung von Design ist, und dass sie von vielen Faktoren abhängt, etwa Kontext, Zeitgeschehen und kulturellen Bezügen.

Kann es dann überhaupt allgemeingültige Kriterien geben?
Was wir lehren, ist Folgendes: Zum einen sollte gutes Design relevant für seinen Kontext sein und ein Problem lösen, das heißt, seine Nutzer zu etwas befähigen oder bestärken und natürlich funktionieren. Zum anderen sollte es sich von weiteren Lösungen unterscheiden. Das sind zwei allgemeine Aspekte.

Allerdings geht es im Design auch oft um flüchtige Kriterien, zum Beispiel wann etwas für wen nützlich ist, oder die Lesbarkeit von kulturellen Codes.

Diese Codierung wird je nach Zusammenhang, Land und Kultur sowie Zeitspanne unterschiedlich interpretiert. Das geht uns spätestens dann auf, wenn wir chinesische Websites anschauen: Was dort Kompetenz ausstrahlt, verunsichert uns, und wir finden es unübersichtlich.

Gelten also für jedes Projekt andere Kriterien?
Ja, denn so funktioniert Design: Man schaut zuerst, welche Probleme und Bedürfnisse im konkreten Fall bestehen. Wenn ich Designkritik übe, muss ich diese Rahmenbedingungen kennen, da ich sonst nicht beurteilen kann, ob das Design sie erfüllt oder nicht.

Man braucht also Hintergrundwissen?
Allgemeinbildung und Erfahrung helfen auch – vor allem aber muss man sich dessen bewusst sein, dass das eigene Urteil immer durch die eigene Kultur geprägt ist. Und man muss wissen, zu wem man eigentlich spricht, wenn man Designkritik übt.

Man sollte Kritik immer auch als Kommunikationsangebot sehen und nicht als bloße Meinungsäußerung.

Dann kann man Spaß haben und viel lernen, denn man muss ja nicht auf seiner Meinung beharren, sondern kann dem anderen näherkommen.

Wo sollte Designkritik Ihrer Meinung nach in Medien und Gesellschaft stattfinden?
Es wird schon seit Jahren bemängelt, dass Design einen größeren Stellenwert in der Tages- und Wochenpresse haben sollte. Verändert hat sich bisher nichts. Dafür gehört das Bewerten von Design heute für die breite Masse zum Alltag, zum Beispiel wenn wir Likes verteilen oder beim Online-Shopping Produkte bewerten. Tradition haben auch Institu­tionen wie die Stiftung Warentest, die die Funktionalität ebenso wie das Design von Produkten überprüfen. Das Fachgespräch über Design hingegen findet heute eher in der Designforschung als in den Publikumsmedien statt. Das ist nicht nur negativ: Man muss die Leute heute ja nicht zu Geschmacksurteilen erziehen, wie einst der Werkbund. Designkritik findet also überall und ständig statt, ein ständiger Dialog der kulturellen Posen und Urteile.

Welche Rolle spielt Designkritik im Gestalter­alltag?
Wir üben jeden Tag Designkritik bei der Arbeit, indem wir manche Dinge verwerfen und dafür andere tun, für unsere Entwürfe argumentieren und gemeinsam mit Nutzern Kriterien für ein gelungenes Design ermitteln. Was man üben kann, ist eine möglichst genaue Beobachtung und entsprechende sprachliche Mittel.

Oft fehlen den Menschen die Worte, um ihren Eindruck zu beschreiben.

Viele Gespräche über Design scheitern an Missverständnissen. Deshalb beklagen so viele Designer sich über Kunden, die wenig über Typografie wissen und alles immer groß und fett haben wollen. Aber Laien die Fachsprache aufzuzwingen ist meiner Meinung nach der falsche – und sehr mühsame – Weg. Erfolgversprechender ist es, mit Feingefühl zu interpretieren, was das Gegenüber uns sagen will und welche Empfindungen zu einer Aussage führen. Das gehört zum Beruf eines Designers dazu. Das übe ich auch mit meinen Studierenden.

Wie genau?
Viele Studierende finden es schwierig, über die Entwürfe ihrer Peers zu sprechen. Das ist eher ein soziales Problem. Das Ziel des Projektstudiums an der HTW ist, dass man sich über Design austauscht und nicht ein Professor »hop oder top« sagt. Der erste Schritt ist, eine Arbeit in eigenen Worten zu beschreiben. Das fällt vielen Studierenden bereits schwer, weil ihnen das Vokabular dazu noch fehlt, oder sie versuchen ganz genau zu sein, beschreiben jede Ecke und vergessen dabei den Gesamteindruck. Aber genau diese Praxis hilft uns dabei, uns überhaupt erst ein Urteil zu bilden. Wir üben zum Beispiel mit Leitfragen, unter denen wir uns unsere Arbeiten anschauen. Viele haben unter Designkritik abgespeichert, dass man sich gegenseitig die Meinungen um die Ohren haut. Aber eigentlich ist es eine Einladung zum Gespräch – ich möchte mich mit anderen verständigen und die Differenzen behandeln. Das ist das Spannende daran. 

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Dieses Interview ist in PAGE 7.2018 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.

PDF-Download: PAGE 7.2018

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