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So geht Designkritik richtig!

Von konstruktiver Designkritik profitiert nicht nur der einzelne Gestalter, sondern der ganze Berufsstand – und die Gesellschaft insgesamt. Warum aber ist Designkritik so schwer und was können die Akteure besser machen?

Designkritik Rimowa Redesign
Abbildungen: Sämtliche Screenshots, sofern nicht anders vermerkt, stammen von der Facebook-Seite des Branchendiensts Horizont.net und wurden in der fünften Kalenderwoche 2018 gepostet (Screenshots vom 14. März 2018)

Das Wort »Kritik« ist in unserem Sprachgebrauch überwiegend negativ besetzt. Dabei kann sie genauso neu­trale oder positive Urteile enthalten. Diese Bedeutungsebene kommt allerdings häufig zu kurz.

»Viele haben unter ›Designkritik‹ abgespeichert, dass man sich gegenseitig Meinungen um die Ohren haut. Aber eigentlich ist es eine Einladung zum Gespräch – ich möchte mich mit anderen verständigen und die Differenzen behandeln«

erläutert Birgit Bauer, Professorin im Fach­bereich Gestaltung und Kultur an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Professionelle Designkritik, die auf der Grundlage von Fachwissen in die Tiefe geht und über einzelne Projekte hinausweist, findet vornehmlich auf theoretischer Ebene in der Designforschung statt. Auch in den Jurys von De­sign­wettbewerben wird – abhängig von der Zusammensetzung der Juroren und dem Zeitdruck, unter dem sie stehen – relativ fundiert über Design gesprochen und diskutiert, ebenso wie in Fachmedien und -blogs. Eine andere Form findet im Alltag eines jeden Gestalters statt: Immer dann, wenn man sich – allein oder im Team – für einen Entwurf und gegen einen anderen ent­schei­det. Daneben ist die unre­flektierte »Kritik« in Form von Stern­chen oder Likes in Social Media vorherrschend – und die Kommentare im Netz, die oft wenig durchdacht, dafür umso provokanter formuliert sind. Vor allem sie sind schuld am schlechten Ruf der Designkritik.

Kritik – differenzierte Betrachtung statt Verriss. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist »Kritik« meist negativ besetzt – man verbindet damit ein (ab)wertendes Urteil, das eher auf Fehler abhebt. Dabei ist der Begriff von seinem Ursprung her neutral, denn das Wort geht auf das griechische Verb krínein zurück, das »(unter)scheiden, trennen« bedeutet. Daraus hat sich die Kritik als »Kunst der Beurteilung« entwickelt, als beschreibende Analyse und Beurteilung künstleri­scher Leistungen. Somit kann Kritik sowohl positiv würdigende als auch negativ wertende, kritische Komponenten enthalten. Die Fähigkeit, Kritik so zu üben, dass sie motiviert, statt zu kränken, sowie Kritik als nützlichen Handlungshinweis zu verstehen statt als Angriff auf die eigene Person ist als Kritikkompetenz wichtiger Bestandteil der allgemeinen sozialen Kompetenz.

Wieso geht Designkritik oft so schief?

In den meisten Designprojekten steckt viel Herzblut. Die Macher sind verletz­bar und reagieren bei negativer Kritik oft emotional. Gleichzeitig neigen vie­le Betrachter dazu, Design zu schnell (ab-)zuwerten. Das führt dazu, dass wir Gespräche über Design oft viel zu vehement führen. Dieses Phänomen lässt sich besonders im Internet be­obachten, beispielsweise in den Kommentarspalten von Onlinemedien (ja, auch auf PAGE Online) und in sozia­len Netzwerken.

Hier kochen die Emotionen schnell hoch – 2018 etwa beim Redesign der Identity von Kofferhersteller Rimowa, das Bureau Borsche aus München und Commission Studio aus London zusammen entwickelt haben. In diesem Fall erregte nicht nur die Gestaltung selbst die Gemüter der Kritiker, sondern auch ein Gastkommentar von Chris­tine Lischka, Geschäftsführerin von Serviceplan Design, die viele als unnötig scharfe Kollegenschelte emp­fanden. Dass die Kritik auf den so angesehe­nen wie beliebten Mirko Borsche abzielte, sorgte zusätzlich für Aufmerksamkeit und Protest. Im Netz melde­ten sich schnell bekannte Designer wie Heinrich Paravicini und Johannes Erler zu Wort, und auch Mirko Borsche selbst schaltete sich ein. Die Formulierungen waren auf beiden »Seiten« mal mehr, mal weniger glücklich (siehe Ausschnitte in diesem Artikel, alle Screenshots stammen aus März 2018).

Die Diskussion weist über das konkrete Projekt hinaus und wirft die Frage nach Fairness und Angemessenheit von öffentlicher Designkritik auf. »An solch exponierter Stelle Kollegen und ihre Arbeit herunterzuputzen leuchtet mir einfach nicht ein«, sagt Johannes Erler, Betreiber des Hamburger Designbüros Bureau Johannes Erler. Schließ­lich dienten Fachmedien als Schnittstelle zu potenziellen Auftraggebern. »Als Gestalter müssen wir ständig dafür kämpfen, dass die Relevanz unse­rer Arbeit anerkannt wird. Mit undifferenzierten Kommentaren schneiden sich Designer ins eigene Fleisch, weil sie den ganzen Berufsstand in Mitleidenschaft ziehen.«

 

Tatsächlich krankt Designkritik im Internet in vielen Fällen daran, dass sie sehr schnell gehen muss. Aus Grün­den der Aktua­li­tät sollen die ersten Ein­­schät­­­zun­gen am besten am selben Tag wie die Vorstellung online gehen. Da bleibt kaum Zeit, um eine fundierte Meinung zu entwickeln. Bei solchen Schnell­schüs­sen wird dann leicht vergessen, dass hinter jedem Design ein Prozess steckt. »Jeder Designer weiß doch, dass Konzepte von Kunden teilweise verwässert werden. Kaum ein Pro­jekt kommt ohne Kompromisse aus«, meint Stefan Bräutigam, Gründer des Designstudios Bräutigam und Rotermund in Hamburg. »Zudem wer­den die we­nigs­ten Designentscheidungen will­­kür­lich gefällt. Das Verständnis dafür hört man aus den Kritiken im Internet aber sehr selten her­aus.« Mehr Abstand und Zeit zur eingehenden Betrachtung könnten also ein Weg sein, die Kritik an Kollegen fairer zu gestalten.

Welche Kriterien für faire Designkritik gibt es?

Designkritik ist zu einem gewissen Grad immer sub­jektiv, da sich der persönliche Hintergrund und der individuelle Geschmack nie komplett ausblenden lassen. Hinzu kommt, dass es im Grunde keinen fes­ten Kriterienkatalog für die Bewertung von Gestaltung gibt – und auch gar nicht geben kann. Als allgemeingültige Gesichtspunkte gelten bei­spielsweise die Relevanz ei­nes Designs für seinen Nutzungskontext, sei­ne Fähigkeit, ein Pro­blem zu lösen, und die Originalität der Lösung. Da hört es dann aber mit der Allgemeingül­tig­keit der Kriterien auch schon auf – und es kommen zeitlich, gesellschaftlich, kulturell und individuell geprägte Fak­toren ins Spiel. Birgit Bauer spricht in diesem Zusammenhang von kulturellen Codes, die unsere Bewertung von De­sign beeinflussen: »Das eigene Urteil ist immer durch die eigene Kultur geprägt. Das geht ei­nem spä­tes­tens dann auf, wenn man sich chi­nesi­sche Web­sites anschaut: Was dort Kompetenz ausstrahlt, verunsichert uns und wir finden es unübersichtlich.«

Für den Beweis, wie sehr Kritik zeit­lichen Veränderungen unterworfen ist, genügt ein Blick in die Designgeschich­te: Während zum Beispiel die Hochschule für Gestaltung Ulm eher pragmatisch die Nutzbarkeit von Designprodukten in den Mittelpunkt stellte, gewann im Memphis Design die emotionale und ästhe­ti­sche Wirkung an Bedeutung. Aktuell spielen bei der Beurteilung von De­sign – im Produkt- noch mehr als im Kommunikationsdesign – Aspekte der Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle.

Es lassen sich zwar durchaus Qualitäten ausmachen, die man betrachten kann (und muss), aber wie man die jeweilige Umsetzung bewertet, hängt vom Kontext und vom Kri­tiker ab. »Meinungen sagen oft mehr über den Sprecher aus als über das Ob­jekt«, sagt Heribert Birnbach, Professor für Grafikdesign an der Folkwang Universität der Künste in Essen. »Wer einen Entwurf altmodisch, kitschig, langweilig, modern, naiv et cetera findet, verrät dadurch mehr über sein eigenes Werte­sys­tem, als dass er den Entwurf damit charakterisiert«. Aussagekräftiger wäre es, wenn der Kritiker erklären würde, welche Bestandteile des Designs die­se Assoziationen bei ihm hervorrufen.

Der Gestalter Armin Vit, Gründer des Designstudios UnderConsideration in Bloomington und Be­treiber des Fachblogs Brand New, orientiert sich bei seinen Kritiken an universellen Designelementen: »Grafisch: Balance, Farbe, Kontrast. Nicht grafisch: Kontext, Markt, Wettbewerb. Letztlich muss jedes Projekt individuell beurteilt werden, weil jeder Kunde anders ist und andere Ziele hat.« So sieht es auch Birgit Bauer: »Wenn ich Design kritisiere, muss ich seinen Kontext kennen, da ich sonst nicht beurteilen kann, ob es die Anforderungen erfüllt oder nicht.« Die Ziele des Auftraggebers sowie die Bedingungen rund um den Designprozess sollte man also kennen oder zumindest im Hinterkopf behalten. (Hier geht’s zu einem ausführlichen Interview mit Armin Vit.)

Wie formuliere ich Designkritik richtig?

Neben formalen und projektbezogenen Kriterien ­zählt die Art und Weise, wie man Kritik vermittelt. Der Ton macht die Musik – das gilt nicht nur für Social Media, sondern auch im alltäglichen Umgang mit Kol­legen und Kunden. Peter Zizka, Gründer der Kommunikationsagentur Heine/Lenz/Zizka in Berlin und Frank­furt, unterscheidet zwei Formen von Kri­tik innerhalb von Teams: zum einen die gemeinsame Arbeit an einem Projekt, bei der man diskutiert und sich abgleicht, zum anderen die Übermittlung von Kundenfeedback. Besonders bei Letzterem kommt es auf das Feingefühl des Teamleiters oder Projektma­nagers an. »In Agenturen arbeiten sehr unter­schied­liche Charaktere. Bei einem kann man salopp sein, beim anderen muss man subtiler vorgehen«, sagt Zizka. Problematisch wird es, wenn Designer sich stark über die eigene Arbeit definieren und Kritik an dieser als Kritik an der eigenen Person missverstehen.

Eine sachliche Diskurs­kultur in­ner­halb der Agentur ein abso­lutes Muss für Peter Zizka: »Eine Per­son, die nicht kritikfähig – und kompromissbereit – ist, stellt immer ein Problem für das ge­­samte Soziotop ei­nes Unternehmens dar.« Geschmacksurteile haben hier generell nichts zu suchen: »Im Diskurs über eine Designlösung soll­te man sich nicht auf Formalien fokussieren – auch wenn sie positiv sind«, warnt Zizka. »Genau so fehl am Platz sind Rechtfertigungen der eigenen Arbeit, wie: ›Ich habe wahnsinnig gut recherchiert‹.« Alle Einwände sollten stets sachlich und lösungsorientiert formuliert sein.

Wichtig ist zudem, dass sich sämtliche Mitarbeiter unabhängig von ihrer Position an der Diskus­sion betei­ligen (können). »In vielen Agenturen verhindern Hie­rarchien den offenen Austausch«, meint Johan­nes Erler. »Es ist aber immer schlecht, wenn die Arbeit vom Chef aus Respekt – oder Angst – we­ni­ger kritisiert wird als die von anderen. Büros soll­ten ge­schütz­te Räume sein, in denen je­de Mei­nung gleich zählt.« Manche Studios setzen daher auf strukturier­te Feedbackprozesse. Sie stecken vorab Vorgaben und Ziele für ein Projekt ab, an denen jeder Entwurf gemessen wird. Vielen fällt es dann leichter, Kritik sachlich zu formulieren – oder über­haupt Bedenken anzumelden.

Ein weiterer Vorteil von konstrukti­ver Kritik im Team: Auch vor dem Kunden lässt sich die eigene Arbeit besser darstellen. Hat man die Strategie und Herangehensweise intern beschlos­sen und konsequent umgesetzt, kann man auf geschmackliche Einwände des Auf­trag­gebers leichter argumentativ reagieren. Dabei sollte man nicht gleich in Abwehrhaltung gehen: Insbesondere auf Kunden mit wenig Designerfahrung muss man eingehen. »Oft fehlen den Menschen die Worte, um ihren Eindruck zu beschreiben«, sagt Birgit Bauer. Sie rät dazu, mit Feingefühl zu interpretieren, was uns das Gegenüber sagen will und welche Empfindun­gen zu einer Aussage führen. »Das gehört zum Beruf eines Designers dazu.«

Kritisieren lernen

Wie man über Design spricht und die ei­ge­ne Arbeit und die anderer be­wer­tet, lernen Gestalter idealerweise im Studium. Heribert Birnbach be­schäf­­tigte sich im Sommersemes­ter 2017 in seinem Kurs »The Good, the Bad and the Ugly« eingehend mit Kriterien zur Designbewertung und brachte gemeinsam mit den Studen­ten ein Kom­pendium heraus. Dieses beleuch­tet Designkritik aus unterschiedli­chen Blick­winkeln, beispielsweise design­theo­­retisch und -historisch, aus Sicht von Wett­bewerbsjurys und von Auf­tragge­bern. Die Studentin Ann-Cath­rin Sieren kam dabei zu dem Fazit, dass »Design­kritik immer, überall und – am wichtigsten – von ­jedem statt­findet. Solange ein Design kritisiert wird, erfüllt es bereits ein sehr wichtiges Kriterium – näm­lich über­haupt diskutiert zu werden.«

Praxisorientiert geht es beim Projektstudium an der HTW Berlin zu. Hier übt Birgit Bauer mit ihren Studenten regelmäßig, sich über Design auszutauschen. »Der erste Schritt ist, eine Arbeit in eigenen Worten zu beschreiben. Das fällt vielen Studierenden schwer, weil ihnen das Vokabular dafür noch fehlt – oder sie versuchen ganz genau zu sein, beschrei­ben jede Ecke und vergessen dabei den Gesamteindruck. Aber genau diese Praxis hilft, um sich überhaupt erst ein Urteil zu bilden.« Ähnlich geht Design-Tagebuch-Blogger Achim Schaffrinna vor: Er beschreibt ein Design zunächst detailliert, nimmt sich als Person zurück und kommt erst am Ende zu einer Bewertung (siehe Interview).

Beitrag auf der Facebook-Seite des Designstudios Karl Anders (Screenshot vom 14. März 2018)

Warum ist Designkritik so wichtig?

Ohne Designkritik im Gestalteralltag entstünden wesentlich weniger relevante Arbeiten, und ohne den Abgleich mit Kunden und späteren Nutzern erfüllten viele Kommunikationsange­bo­te nicht ihren Zweck. Doch der Wert von Designkritik reicht noch weiter. Ge­rade Laien – also den Adressaten und Anwendern – kann sie dabei helfen, die Hintergründe von Design bes­ser zu verstehen. Im Umkehrschluss bedeutet das eine höhere Wertschätzung und mehr Respekt gegenüber Kom­muni­ka­tionsdesign(ern).

»Durch den inflationären Gebrauch ist der Designbegriff unscharf geworden und wird in breiten Teilen der Bevölkerung völlig falsch – nämlich im Sin­ne einer oberflächlichen Verschönerung – verwendet«, so Heribert Birn­bach. Ein öffentlicherer Diskurs über Sinn und Unsinn konkreter Designlösungen könnte helfen, mehr Ver­ständ­nis für das Tätigkeitsfeld zu schaffen. Einen Schritt in diese Richtung gehen – wenn auch nicht unbedingt vor fachfrem­dem Publikum – Veranstaltungsformate, bei denen Designer gemeinsam mit ihren Kunden über ihre Projekte berichten, wie etwa bei den Brand Talks von Monotype. Hier sieht man mitunter auch ausgesiebte Ideen und bekommt Erklärungen dafür, warum ein Ergebnis am Ende so und nicht anders aussieht. Das macht die Arbeit von Designern nicht nur für ihre Kollegen besser verständlich, sondern auch für ihre Auftraggeber.

Von fairem und offenem Austausch samt Be­reit­schaft zur Debatte profitieren letztlich alle. Verstehen Sie diesen Artikel also gern als Aufruf für eine leben­dige und respektvolle Diskussion über Ihre und unse­re Arbeit. Denn wie Heribert Birnbach sagt: »Ein biss­chen mehr Meinung täte uns allen gut.« Wir freuen uns auf Ihr Feedback! 

Mehr zum Thema: Designkritik-Kolume von Johannes Erler

Designkritik im Team

Tipps für faire, konstruktive Diskussionen

  • Erst mal durchatmen
  • Beschreiben, was man sieht
  • Entwürfe an den jeweiligen Vorgaben und Zielen des Projekts messen
  • Gerne mit positivem Feedback beginnen
  • Auf der Sachebene argumentieren, nicht persönlich werden
  • Zuhören und offen sein für die Meinung anderer
  • Jedem eine Stimme geben und respektvoll reagieren

»Als Gestalter will man die Dinge verbes­sern – deshalb zielt die meiste Kritik auf Aspekte ab, die sich optimieren lassen«

Achim Schaffrinna

Seit 2006 schreibt Achim Schaffrin­na  auf  www.designtagebuch.de  über Kommunika­tionsdesign. Sein Blog hat sich als Instanz und als Forum für fun­dier­­te und fai­re Designkritik etabliert, auch über die Kreativbranche hinaus. Wir fragten ihn, was gute Designkritik aus­­macht und warum sie so wichtig ist.

Was ist Ihre Motivation hinter Design Tagebuch?
Achim Schaffrinna: Es geht mir nicht darum, nur Designs vorzustellen und meine Meinung kundzutun, sondern mich interessiert die Meinung anderer, sowohl die der Kollegen als auch und besonders die von Laien. Ich sehe den Blog als Forum, in dem beide Seiten zusammenkommen, um sich über Designthemen aus­zutauschen.

Wieso braucht es dieses Forum dafür?
Es freut mich immer, wenn Design­­the­men auch außerhalb der Kreativbranche vor­­gestellt und diskutiert werden. Doch geschieht dies leider ­meist über skan­dalisie­ren­de Schlagzei­len wie »Das neue Stadt­logo hat 50 000 Euro gekostet«. (Lokal-)Re­dakteure haben sel­ten die Lust und die Zeit, sich mit Fachthemen wie Kommuni­ka­­tions­de­sign und Typografie zu beschäftigen, und suchen eher nach Wegen, zu po­larisie­ren. Also stellen sie das Geld in den Vordergrund und blenden die Hin­tergründe aus. Das ist schade, denn Kom­munikationsdesign betrifft uns alle – in Form von Busfahrplänen, Wer­bepla­katen, Leitsystemen und Infor­mations­tafeln sind wir täglich damit konfrontiert. Die Sinnhaftigkeit von Gestaltung zu hinterfragen sowie die Absichten dahinter offenzulegen finde ich spannend und wichtig.

Das fördert zudem den Respekt gegenüber Kommu­nikationsdesign.
Ja, denn es geht darum aufzuzeigen, dass nicht allein ein Logo 50 000 Euro kostet, sondern dass es eingebunden ist in ein ganzes Paket von Maßnahmen. Ein Logo ist ja letztlich nur ein klei­nes Puzzle­teil in einem Gesamtkonzept, das im Zusammenspiel von Schrift­­ge­stal­­tern, Textern, Farbexper­ten, Markenstrategen und Designern im Dialog mit dem Kunden entwickelt wird. Gemein­hin werden Designer als diejenigen be­trachtet, die die Dinge le­diglich auf­hübschen. Tatsächlich sind sie in ers­ter Linie Berater, die in der La­ge sind, ganzheitlich zu denken.

Was macht gute Designkritik Ihrer Ansicht nach aus?
Für gute Designkritik braucht es mehr als blo­ße Mei­nungsäußerung. Sie soll­­te sachbe­zogen und objektiv sein – zudem sollte beim Kritiker die Absicht zu erkennen sein, einen kon­s­truk­­ti­ven Kommentar abgeben zu wol­len. Das ist in der Realität leider nicht immer gegeben. In vielen Fäl­len steht dabei eher das eigene Empfinden des Kritikers im Mittelpunkt. Ei­ne gute Kritik zeich­­net sich aber dadurch aus, dass man sich als Person erst einmal zu­rück­nimmt. Das ist vielleicht die größ­te He­rausforderung.

Wie wichtig ist Fach- und Hintergrundwissen dafür?
Je umfangreicher das Fachwissen ist, über das ein Kritiker verfügt, des­to besser kann er Gestaltung einordnen. Um beurteilen zu können, ob ein Design unkonventionell ist, muss ich wissen, welche Konventionen es gibt. Man be­nötigt einen Fundus, auf den man zugreifen kann, um sagen zu können, ob eine Arbeit andersartig ist und aus der Masse heraussticht.

Heißt das, dass man Designer sein muss, um Design angemessen beurteilen zu können?
Auf keinen Fall – auch wenn das eine in der Kreativbranche weitverbreitete Annahme ist. Um den Geschmack ei­nes Kuchens zu beurteilen, muss ich kein Konditor sein. Grundsätzlich hat jeder das Recht, Kritik zu üben – das gilt auch für Design. Dafür braucht es keine Profession – es sei denn, es soll eine professionelle Kritik sein. Bei­des hat seine Be­rechtigung. Design ist ja kein Selbst­zweck, sondern es hat eine Funktion und eine Auf­gabe. Ob es die­se erfüllt, kann der Adressat letztlich sogar besser beurteilen.

Wie gehen Sie an eine Kritik heran?
Mein »Fundus« ist, denke ich, schon ganz gut gefüllt. Wenn ich beispielsweise sage, dass ein Farbkonzept unausgewogen ist, be­ruht diese Aussage auch auf farb­psy­chologi­schen Kriterien und ist nicht nur dem persönli­chen Empfinden geschuldet. Für mich ist es ein großes Geschenk, fortwährend Neues dazulernen zu dürfen. Bevor ich zu ei­nem Thema Stellung be­zie­he, beschäf­tige ich mich eingehend mit den Hintergründen.

In meinen Kritiken beschreibe ich zunächst objektiv, was das (neue) Design aus­macht – der eigentliche Kommentar folgt später. Sie sind also sys­tematisch aufgebaut – im Gegensatz zu Kritik im Netz, die meist wild, durcheinander und sehr emotional ist. Emo­tionalität dient der Sache meist nicht. Nach meiner Erfahrung ist es besser, sich als Person zurückzunehmen und zu versuchen, sich dem Thema sachlich zu nähern. Gerade für Designer, die zum Teil sehr viel Herzblut in ihre Arbeit einbringen, ist dies nicht immer einfach. Wer jedoch in der Lage ist, ein wenig Abstand zwischen sich und der eigenen Arbeit herzustellen, dem wird der damit verbundene Perspektiv­wechsel wertvolle Erkenntnisse liefern.

Sind Sie manchmal gehemmt, wenn Sie einen Designer, den Sie kritisieren, persönlich kennen?
Gute Kritik hat Kollegen­schel­te nicht nötig. Das steht auch in der Netiquette meines Blogs: nicht die Person kritisieren, sondern die Sache. Es ist etwas anderes, wenn man sagt: »Die Far­ben, die du da zusammengestellt hast, passen nicht zusammen« als »Ich emp­finde das Farbkonzept als unharmonisch«. Mit der zweiten Aussage bleibt man bei sich, bewertet die Sache und greift den anderen nicht an. Das ist sehr wichtig, denn Angriffe werden in der Regel mit Gegenangriffen beant­wor­tet oder erzeugen Rechtferti­gungs­­druck. Keiner hat es gern, wenn er per­sönlich kritisiert wird. Ist die Kritik da­gegen sachbezogen, kann man auf ihr aufbauen und gemeinsam ein Konzept weiterentwickeln.

Was tun Sie dafür, dass die Diskussion auf Design Tagebuch fair bleibt?
Wie gesagt lege ich großen Wert da­rauf, dass beim Kritisieren eines De­signs die Arbeit im Vordergrund steht. Es darf nicht da­rum gehen, Agentur-Bashing zu betreiben. Außerdem habe ich das Format »Ausgezeichnet kommentiert!« ins Leben gerufen, in dem ich besonders konstruktive Kommen­tare prämiere. Es hat sich über die Jahre bei der Stammleserschaft gut eta­­b­liert, und manchmal greifen Leser auch selbst moderierend ein, wenn sich jemand im Ton vergreift.

Was ist eigentlich der Grund dafür, dass Designkritik oft so negativ ausfällt?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und lehnt Neues tendenziell erst mal ab. Denn es bedeutet, dass er sich anpassen muss – an eine geänderte Optik, Haptik oder Funktion. Irgendwann setzt sich dann durch, dass das Neue auch Vorteile bringt. Branchenspezifisch verhält es sich so, dass Designer oft denken: »Das hätte ich anders/bes­­ser gemacht.« Da spielt natürlich das eigene Ego rein. Als Gestalter will man die Dinge verbessern – deshalb zielt die meiste Kritik auf As­pekte ab, die sich optimieren lassen. So schreiben viele eher: Dies und das hätte ich anders gemacht, anstatt dieses und jenes gefällt mir gut. Wenn man dies weiß, kann man mit negativen Kommenta­ren besser umgehen.

Dieser Artikel ist in PAGE 05.2018 erschienen, die Sie hier komplett runterladen können.

PDF-Download: PAGE Digital 5.2018

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