Ein Redesign für einen Auftraggeber, den man nie real kennengelernt hat? Geht! Fuenfwerken gestaltete das neue Corporate Design für Solarwatt komplett remote – bis auf eine kleine Ausnahme …
PROJEKT Corporate Design für einen Photovoltaikanlagen-Hersteller AGENTURFuenfwerken, Berlin, München, Wiesbaden, www.fuenfwerken.com KUNDE Solarwatt, Dresden, https://solarwatt.de TOOLS unter anderem Miro, Slack, Trello, Adobe Creative Cloud, Sketch, InVision, Anima, Canto, Zoom ZEITRAUM März 2020 bis Juni 2021
Der Auftrag für das Rebranding des Photovoltaikanlagen-Herstellers Solarwatt fiel genau in die Hochphase der Corona-Pandemie. Schon beim Pitch Anfang 2020 musste die Designagentur Fuenfwerken im Video-Call überzeugen. Was ihr gelang: Auf der Basis einer Markenpositionierung, die vorab von der Strategieagentur diffferent formuliert worden war, sollte sie in den kommenden Monaten das neue Corporate Design des Unternehmens gestalten – und das komplett remote. »Es war eine ganz neue Herausforderung, mit einem Kunden zu arbeiten, den man nie persönlich kennengelernt hat. Noch dazu mit einem Team, das überall verstreut einzeln im Homeoffice sitzt«, sagt Helmut Ness, Managing Partner bei Fuenfwerken.
Entsprechend mussten sich erst mal alle eingrooven. »In den ersten Wochen saßen wir fast zwölf Stunden pro Tag in Video-Calls«, erinnert sich Projektmanagerin Judith Roth. »Wir mussten als digitales Team zusammenfinden, Prozesse und Tools aufsetzen und Ziele festklopfen.« Während es im Pitchbriefing noch geheißen hatte, die Agentur solle alle zwei Wochen bei Solarwatt in Dresden Zwischenstände präsentieren, wurde die digitale Zusammenarbeit letztlich noch viel enger.
Der Prozess: agil und intensiv
Während Corporate-Design-Entwicklungen meist nach dem klassischen Wasserfallmodell ablaufen, stellte sich bei diesem Projekt eine sehr agile Arbeitsweise ein. Jeden zweiten bis dritten Tag gab es Stand-ups oder kurze Besprechungstermine. Im Laufe des Prozesses baute Solarwatt-Marketingleiter Lars Schmiedgen ein eigenes Designteam auf, das mit den Gestaltern auf Agenturseite Hand in Hand arbeitete.
Die Projektpartner einigten sich schnell auf die Online-Kollaborations-Plattform Miro. Sie hat den Vorteil, dass man ein komplettes Projekt auf einem einzigen riesigen digitalen Whiteboard darstellen kann, mit verschiedenen Themenbereichen und einer Übersichtskarte mit Inhaltsverzeichnis. »Es sah aus wie die virtuelle Version eines Projektraums, wie wir ihn früher in der Agentur gehabt hätten. Mit dem Vorteil, dass alle Beteiligten konstant Zugriff auf das Board hatten – und wir die Whiteboards nie aus Platzgründen abbauen mussten«, erklärt Helmut Ness.
Umso intensiver war denn auch der Austausch. Die verschiedenen Designrouten, die Fuenfwerken erarbeitete, konnten quasi in Echtzeit vom Auftraggeber kommentiert werden. In Jour-fixe-Terminen gingen die Teams die Anmerkungen dann im Gespräch durch. »Die kurzen Feedback-Loops halfen uns, in schnellen Iterationen zu arbeiten. Wir konnten kurzfristig auf Kundenwünsche eingehen, Aspekte der Designrouten kombinieren und so relativ zügig eine finale Richtung festlegen«, sagt Simone Heißel, Creative Lead bei Fuenfwerken.
»Klar war es anfänglich gewöhnungsbedürftig, alles rein digital zu besprechen, zu debriefen, Abnahmen zu geben und auch Design-Feedbacks zu kommunizieren«, sagt Lars Schmiedgen. »Das bedarf auch von Auftraggeberseite einiges an Vorbereitung und Mitwirken. Beide Teams hatten vor den Terminen schon einen gewissen Aufwand, um die Zusammenarbeit an den Miro-Boards effektiv zu gestalten.« Bei Solarwatt gab es zusätzlich einen regelmäßigen internen Jour fixe, bei dem alle Designprozesse – intern wie extern – besprochen, korrigiert, kommuniziert und orchestriert wurden. Dafür waren denn auch einige Marathon-Meetings notwendig, so Schmiedgen. »Das war die größte Challenge: viel Zeit in Videomeetings versus Produktivität der internen Designteams. Das zu balancieren, war nicht immer einfach, aber wir haben es mit der Zeit immer besser hingekriegt.« Parallel zu Miro tauschten sich die Teams via Slack aus – jeweils intern sowie miteinander. »E-Mail haben wir eigentlich nur für Verträge genutzt«, so Projektmanagerin Judith Roth.
Der Workshop vor Ort: analog und emotional
Als die Designroute immer klarer wurde und die Neukonzeption der Website anstand, wuchs der Wunsch nach einem persönlichen Treffen. So trafen sich beide Teams im Juni 2020 für einen Zweitagesworkshop bei Fuenfwerken in Berlin. »Das war eine Herausforderung – sowohl organisatorisch als auch persönlich. Man hatte die anderen ja vorher noch nie getroffen!«, erinnert sich Ness. Auch Lars Schmiedgen hat das Treffen als emotional in Erinnerung.
Im Sommer war die Lage zwar entspannter, dennoch fand der Workshop unter strengen Hygieneauflagen statt. Alle Teilnehmenden bekamen ein eigenes Utensilienpaket, jeder Stift wurde mit Namen gekennzeichnet. Außerdem klebte die Agentur die Böden mit einem 1,5-Meter-Raster ab, damit man Entfernungen besser einschätzen konnte. An die analogen Whiteboards mussten sich alle erst einmal wieder gewöhnen. Moodbilder mussten ausgedruckt und angepinnt, Post-its von Hand beschriftet werden. Neben den vor Ort erstellten digitalen Prototypen wurden im Nachgang die Whiteboards wieder digitalisiert, um sie im Miro-Board festzuhalten. Das war zwar doppelt so viel Arbeit, aber bereut hat den Workshop niemand. »Alle waren happy, sich nun auch persönlich kennenlernen zu können. Das ist eben durch nichts zu ersetzen«, so Lars Schmiedgen. »Endlich wieder Ideenfindung am Board, echte Menschen, gemeinsam lachen, Mate trinken und Pizza essen!«
Danach ging die Zusammenarbeit wieder rein digital weiter, wobei parallel an Corporate Design und Website gearbeitet wurde. Auf der Basis der so entstandenen Styleguides und Templates konnte das Solarwatt-Team den Roll-out in allen Märkten und Regionen durchführen. Der offizielle Brand-Relaunch fand im Juni 2021 statt – auch mit einer rein digitalen Veranstaltung.
Die Remote-Kommunikation: klar und respektvoll
Wenn ein Team komplett remote miteinander arbeitet, hat das Auswirkungen auf die Kommunikation und Arbeitsweise. Fuenfwerken machte die Erfahrung, dass durch die virtuelle Zusammenarbeit das Teamgefühl sogar gestärkt wurde: »Wir saßen alle im selben Boot – im jeweiligen Homeoffice. Dadurch, dass man alle Beteiligten nur auf Kacheln gesehen hat, waren die Unterschiede zwischen Auftraggeber, Agentur und externen Dienstleistern nicht so präsent wie bei persönlichen Treffen. Das hat das Team noch mehr zusammengeschweißt«, erinnert sich Helmut Ness.
Natürlich verlief nicht immer alles reibungslos. Auf einem digitalen Post-it kann Kritik schon mal etwas harscher ausfallen als in einem Zweiergespräch. »Digitaler Austausch erfordert generell eine andere Art der Kommunikation«, sagt Judith Roth. »Feedback ist oft direkter, was den Prozess beschleunigt. Aber man muss mehr darauf achten, wie man sich ausdrückt und ob das beim Gegenüber auch so ankommt, wie man es meint. Oft hilft eine weitere Besprechungsschleife, in der man direkt nachfragen und konkretisieren kann.« Wichtig ist in einem solchen Prozess zudem, dass Gestalter:innen Freiräume haben, um auch mal in Ruhe etwas auszuprobieren. »Solche Momente der Stillarbeit und des internen Austauschs mussten wir richtig einplanen«, so Design Director Simone Heißel.
Auch Lars Schmiedgen verweist auf die »digitale Kommunikationshygiene«: »Mein Tipp: Routinen entwickeln wie regelmäßige Design-Jour-fixes nach Sprints, Slack-Channel proaktiv kultivieren und private Chats vermeiden, offen in Channels kritisieren, Threads nutzen et cetera. Und wenn es wichtig ist: besser telefonieren.«
»Als Kunde wünsche ich mir gut vorbereitete Workshops und Sprints mit Teampräsenz, die als Startpunkt oder Meilensteine gesetzt sind. Der Rest wird bei Remote-Sessions via Miro und Co erledigt«
Lars Schmiedgen, Director of Communicatons & Media bei Solarwatt, Dresden
Das Fazit: Remote-Design effizient und zukunftsfähig
Das Resümee von Fuenfwerken und Solarwatt ist positiv. »Remote über Miro kann man schnell und konzentriert zusammenarbeiten. Ich denke, dass sich diese Art des Arbeitens bei uns in Teilen auch längerfristig durchsetzen wird«, sagt Judith Roth. Ein großer Vorteil sei die Flexibilität, so Helmut Ness: »Bei virtuellen Treffen kann man viel schneller mal einen Experten dazuholen, der für einen Vor-Ort-Termin keine Zeit gehabt hätte.« Die Zusammenarbeit werde dadurch sehr fokussiert und effizient – mit dem Nachteil, dass das menschliche Drumherum wegfällt. Auch die Taktung erhöhe sich merklich – an manchen Tagen springe er von einem Video-Call zum nächsten, sagt Ness.
»Bei diesem Projekt konnten wir Remote Work einmal komplett durchexerzieren. Darauf können wir jetzt aufbauen und den Prozess weiter optimieren. Einer der größten Vorteile war, von Anfang an digital zu arbeiten, damit man alles teilen und gemeinsam beurteilen kann«, so Roth. In Zukunft kann sich Ness auch hybride Workshops vorstellen, bei denen das Team teils vor Ort und teils digital zugeschaltet ist. Hier müsse man aber noch viel ausprobieren, was die Dynamik und die Tools angeht.
Lars Schmiedgen ist überzeugt, dass Agenturen beide Ansätze – analog und digital – künftig effektiv sowie projektspezifisch miteinander verzahnen müssen, um effizient und wettbewerbsfähig zu sein. »Als Kunde wünsche ich mir gut vorbereitete Workshops und Sprints mit Teampräsenz, die als Startpunkt oder Meilensteine gesetzt sind. Der Rest wird dann bei Remote-Sessions via Miro und Co erledigt. Auch und besonders die Synthese von Workshops und Ideenfindung wird in Zukunft immer mehr in digitaler Form stattfinden.«
Nicht zu vergessen ist auch das gegenseitige Schulterklopfen am Projektende. Hier fehlte Helmut Ness der persönliche Kontakt besonders: »Es wäre schon toll gewesen, wenn wir alle beim Launch-Event miteinander hätten anstoßen können. Allein vor dem Rechner mit einem Glas Wein ist einfach nicht dasselbe.«