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AR und VR: Die ADC-Gewinner von heute und Standards von morgen

Marc Wirbeleit ist Creative Strategist bei Facebook und leitet im ADC-Präsidium den Fachbereich Digital. Hier verrät er, welche Trends er beim diesjährigen ADC-Wettbewerb in Sachen AR und VR beobachtet hat.

In der vergangenen Woche wurden die ADC-Nägel verliehen – natürlich digital via Facebook-Live. Unter den Grand-Prix-Gewinnern war mit Holoride auch ein VR-Projekt. Welche Rolle VR und AR mittlerweile beim ADC-Wettbewerb spielen, berichtet Marc Wirbeleit, Creative Strategist bei Facebook und Leiter des Fachbereichs Digital.

Letztes Jahr war noch alles viel realer, in jeder Beziehung. Augmented Reality fristete beim ADC noch ein echtes Nischendasein. Es waren zwar ein paar Effekte im Wettbewerb, aber so richtig toll war keiner davon. Im VR-Bereich konnte das Totale Tanz Theater einen verdienten Grand Prix einfahren. Aber im ewigen Kampf der Kreativdisziplinen lief diese Art Kunstprojekt, das keinen echten Leistungsnachweis auf Marken- oder Absatzwerten bringen musste, doch irgendwie außer Konkurrenz.

Draußen, vor den streng bewachten Jurytüren, tat sich das ganze Jahr über umso mehr. Facebook hatte gerade die ersten Designer eingeladen, AR-Effekte für Instagram zu entwickeln und ein paar Wochen später wurden Johanna Jaskowska, eben noch Grafikerin in einer Berliner Werbeagentur, oder die Französin Ines Alpha zu den ersten erste AR-Creator Celebrities der Welt. Ihre Effekte verbreiten sich viral, und das nicht nur auf Instagram – Lewis’ »Genetics Scanner«, eine Parodie auf Gentests, die die eigene Herkunft ermitteln sollen, schaffte es sogar in die Trending Charts auf TikTok, weil Nutzer ihre Instagram Stories auf anderen Plattformen weiter teilten.

Cross Reality hält Einzug in die Werbebranche

Aber zurück zum ADC: Rookie-Agentur des Jahres wurde 2019 keine klassische Werbeagentur wie in allen Jahren zuvor, sondern Headraft aus Hamburg, ein kleines Team von Entwicklern und VFX-Spezialisten mit Schwerpunkt auf Augmented Reality, immersiven Installationen und VR. Mit Arbeiten für Lufthansa, BVG und die Fantastischen Vier sind sie seit kurzem Dauergast auf den Awardbühnen. Auch diese Wahl ist ein Zeichen dafür, dass das R in AR/VR inzwischen mehr und mehr auch für Relevanz steht.

Und Relevanz schlägt Penetranz, das erklärte Klaus-Dieter Koch von BrandTrust den Marken erst im Dezember 2019: »Beteiligung, Beziehung, Bedeutung: 3 B’s schlagen Klicks«. Und die B’s sind der magische Dreiklang, der die Generation Werbeblocker dazu bringen soll, Markenkommunikation nochmal eine Chance zu geben. Nicht mehr nur Reichweite ist entscheidend, man will auch die Herzen und Köpfe der Menschen erreichen. Und die gibt es in AR zu Millionen. Wie viele genau? Die Gesamtzahlen sind unklar. Aber allein auf Facebook-eigenen Apps werden AR-Effekte bereits von Hunderten Millionen Menschen genutzt.

Auch Facebook arbeitet an einer Lösung, die die Frage beantworten soll: Was kommt eigentlich nach dem Smartphone?

Und Facebook ist nicht allein auf dem Markt. Snapchat und TikTok sind ebenfalls dick im AR-Geschäft. Und das ist nur die Software, auf der Hardwareseite kommen in den nächsten Jahren die richtig großen Knaller. Tim Cook von Apple hat schon 2017 betont, wie wichtig die Technologie für die Zukunft ist. Spätestens übernächstes Jahr rechnen Experten mit einer AR-Brille von Apple, und auch Facebook arbeitet an einer Lösung, die die Frage beantworten soll: Was kommt eigentlich nach dem Smartphone?

AR- und VR-Einreichungen beim ADC Festival setzen neue Maßstäbe

Bis dahin sind es noch ein paar Tage, aber in der ADC-Jury zeigte sich eindrucksvoll, dass AR und VR aus der Spielphase heraus sind und nun ernsthaft helfen wollen, reale Kundenprobleme zu lösen – und von den Preisträgern kann man einiges lernen:

  • Vom »AR/tenschutz«-Effekt des Kölner Zoos, wie das einfache Sichtbarmachen des Unsichtbaren (hier: aussterbende Tierarten) nicht nur Herzen, sondern auch Geldbeutel berührt.
  • Von der AR-Experience zum 30. Jahrestag des Mauerfalls zum Beispiel, wie AR helfen kann, Storytelling, Journalismus und Technologie zu einem ungewöhnlich reichen und vielfältigen Erlebnis zu verknüpfen.
  • Vom Visual Staging bei BMW und der virtuellen Installation »Secret Sculpture«, dass es von Automessen bis Kinderrechten nichts gibt, wo AR nicht eine signifikante Rolle spielen kann.

Es gibt nichts, das man nicht augmentieren oder virtualisieren und dadurch spannender, menschlicher, informativer oder einfach toller machen könnte

Am spannendsten jedoch waren die VR-Gewinner. Sie zeigten von der psychedelischen Messe-Produktdemonstration für Dornbracht über das 6DoF-Musikvideo von den Fantastischen Vier und die Air Swing VR-Experience für Lufthansa bis zum In-Store-Dschungelabenteuer für Globetrotter und der beeindruckenden Integration von Technologie und Schreinerhandwerk im Discovery Dock eindrucksvoll, dass es in all den vertrackten Achsen des Sales Funnel nichts gibt, das man nicht augmentieren oder virtualisieren und dadurch spannender, menschlicher, informativer oder einfach toller machen könnte. Beteiligung, Beziehung, Bedeutung zeichnen jede der prämierten Arbeiten aus.

Grand Prix für holoride

Der Grand Prix holoride überzeugt aber noch auf einer Ebene mehr. Ja, er ist eine große visionäre Produktidee, die eine völlig neue Unterhaltungssparte erschaffen hat, wie die Jury bemerkte. Aber er fügte den drei B’s gleich noch zwei B’s mehr hinzu: Die Einreichung war streng genommen eine B2B-Promotion. Gründer Nils J. Wollny schreibt auf LinkedIn, die ADC-Einreichung sollte nur dazu dienen, in der Werbecommunity Awareness für das Produkt zu schaffen und zu zeigen, dass holoride „die perfekte Leinwand für Markenerlebnisse in Fahrzeugen“ sein kann. So bodenständig kann virtuell sein.

Ich sehe keinen Grund, warum ich nicht jünger, lustiger, meerjungfrauiger oder auch nur verreister aussehen sollte, als ich es tatsächlich bin

Andererseits: Realität, heißt es, ist nur was für Leute mit zu wenig Fantasie. Ich jedenfalls bin gespannt, was uns auf der Reise durch AR, VR, MR und all die anderen Rs noch erwartet. In meinen Zoom-Meetings sehe ich kaum jemanden in seinen eigenen langweiligen vier Wänden sitzen und in meinen Videochats sehe ich keinen Grund, warum ich nicht jünger, lustiger, meerjungfrauiger oder auch nur verreister aussehen sollte, als ich es tatsächlich bin.

Bei AR fällt mir immer Arthur C. Clarkes drittes Gesetz von 1962 ein: »Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.« Fast 60 Jahre später muss man hinzufügen, Magie ist auch nur ein anderes Wort für Eskapismus.

Dieser Beitrag wurde erstmals am 21. Mai 2020 veröffentlicht.

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