Wie findet man den richtigen Karriereweg, der einen auch glücklich macht?
»Als Coaches erleben wir oft, wie unglücklich manche Kreative in Führungspositionen sind« – Julia Bäumler und Silke Vetter von Mind & Motion in Stuttgart geben Tipps für Kreative, wie man die richtige Karriere für sich findet und erklären, was Führung heute eigentlich bedeutet.
Silke Vetter: Die Agenturen sollten immer auch Fachkarrieren anbieten – die Wissensgebiete in der Kreativbranche sind so unglaublich vielfältig geworden, und für jedes braucht es Expert:innen. Sie sind für ein Unternehmen also sehr wertvoll. Was passiert mit diesem Spezialistentum – in einer Wissensgesellschaft mit hohem Innovationsdruck –, wenn alle versuchen, Manager:in zu werden?
Vor allem in größeren Werbeagenturen ist die Titelhierarchie oft sehr festgefahren.
Silke: Wir beobachten bei den Agenturen ab sechzig Mitarbeiter:innen zunehmend Versuche, beide Karrierewege anzubieten – und das auch in der gleichen Wertigkeit. Aber es ist schwer, das alte Denken aus den Köpfen zu kriegen. Auch aufseiten der Mitarbeiter:innen. Es hat immer noch viel mit Status zu tun, was auf der eigenen Visitenkarte steht. Zu oft werden Fachkarrieren auch als Abstellgleis verstanden.
Geld spielt dabei auch eine Rolle: Ein neuer Titel bedeutet meist mehr Gehalt.
Silke: Das stimmt. Fachkarrieren müssen unbedingt an die Managementlaufbahnen angeglichen werden, was Gehalt, Boni und Privilegien angeht. Nur auf diese Weise schafft man es, dass eine Fachkarriere nicht mehr als »weniger wert« erachtet wird. Als Coaches erleben wir oft, wie unglücklich manche Kreative in Führungspositionen sind. Sie haben diese als die einzige Aufstiegsmöglichkeit gesehen und können nun nicht mehr das tun, was ihnen eigentlich Spaß macht – die kreative Arbeit. Stattdessen rücken organisatorische Aufgaben, Unternehmensentwicklung sowie Teamführung in den Mittelpunkt. Das ist vielen Designer:innen vorher nicht klar.
Gibt es denn einen Weg zurück?
Silke: Das kommt darauf an, wie lange man in einer Führungsposition war. Irgendwann verliert man den Anschluss an sein Fach. Dann muss man viel Zeit und Energie investieren, um wieder als Spezialist:in arbeiten zu können. Andersherum ist es wesentlich leichter: Wer lange Expert:in war, kann relativ problemlos eine Führungsposition übernehmen.
Julia: Nicht selten machen sich Kreative dann in einem anderen Bereich selbstständig, beispielsweise als Berater:in – oder sie wechseln als Freelancer:in in die Selbstständigkeit.
Welche Fragen sollte man sich stellen, bevor man eine Führungsposition übernimmt?
Julia: Habe ich Lust, mit Menschen zu arbeiten? Möchte ich andere anleiten, entwickeln und fördern? Kann ich damit leben, wenn sie fachlich besser sind als ich? Wir fragen unsere Coachees auch: Wie stellst du dir deinen idealen Arbeitstag vor? Was tust du an einem solchen Tag konkret? Mit wem arbeitest du zusammen? Stell dir vor, du schlägst die Führungskarriere ein und schaust nach zehn Jahren zurück: Wie zufrieden macht dich das? Oder: Was stresst dich in deinem Arbeitsalltag? Wenn es dich anstrengt, in einem Projekt ins Detail zu gehen, aber du großen Spaß daran hast, dich mit deinem Team auszutauschen oder Auszubildende anzuleiten, kann dir das eine Richtung aufzeigen. Die eigene Karriere ist etwas sehr Individuelles und ganz Persönliches. Ohne Selbstreflexion wird es schwierig, den richtigen Weg zu finden.
Silke: Wir hinterfragen klassische Rollenbilder und was die Coachees über Status und Karriere denken. Dabei schauen wir uns auch die Erwartungen von außen an: Wie definiert mein Umfeld Karriere, und stimmt das mit meiner Vorstellung überein? Wenn bei der Überlegung, einen Job noch zehn weitere Jahre zu machen, die Atmung flach wird und die Hand instinktiv zum Hals geht – dann ist das ein deutliches nonverbales Zeichen, dass es an der Zeit ist, etwas zu ändern.
Was bedeutet Führung heute in der Kreativbranche?
Julia: Das Bild hat sich stark gewandelt. Es geht heute mehr darum, Möglichmacher zu sein, Menschen zu fördern und zu entwickeln – und viel und offen zu kommunizieren. Da hat ein Wertewandel stattgefunden, den die jüngere Generation eingeläutet hat. Selbstverwirklichung und Individualität sind heute wichtige Motivatoren, die regelrecht eingefordert werden. Gleichzeitig braucht es einen analytischen Blick auf die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Und man muss natürlich auch mal tough sein können und sich behaupten. Es geht immer um die richtige Balance. Das macht einen gesunden Führungsstil aus.
Silke: Aus diesem Grund ist es wichtig, dass nicht mehr einfach der oder die fachlich Beste in die Führungsposition aufsteigt, sondern jemand, der oder die wirklich Lust darauf hat, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen, sich mit interpersonellen Strukturen auseinanderzusetzen und die Organisation weiterzuentwickeln. Das bedeutet allerdings einen wesentlich höheren Zeitaufwand als bei der autoritären Führung von früher. Diese Zeit wird Mitarbeiter:innen oft nicht eingeräumt. Viele fungieren weiterhin als Expert:innen auf ihrem Gebiet und müssen zusätzlich noch führen. Das funktioniert auf Dauer nicht. Wer Führung übernimmt, muss von anderen Aufgaben entlastet werden.
Kann jeder Mensch Führung lernen?
Julia: Alle, die Lust darauf haben, können es lernen. In unseren Trainings vermitteln wir unter anderem, welche Führungsstile es gibt, wie man Mitarbeiter:innengespräche führt und wie man mit schwierigen Situationen umgeht. Dieses Handwerkszeug kann man lernen – doch man muss sich darauf einlassen.
Dieses Interview ist in PAGE 09.2021 erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie hier runterladen.