mmer zum Erscheinen der aktuellen Printausgabe der PAGE: »Die Fundstücke« von Jürgen Siebert. Freuen Sie sich über kühne Kommentare zu Trends, Entwicklungen, Ereignissen und dem ganz normalen Alltagswahnsinn eines Kreativen … Heute: Die Zukunft des Publishings.
Was kommt nach Blogs, Facebook und Twitter? Wie publizieren wir morgen? Das fragen sich sowohl die Fans sozialer Netze, also die Amateurverleger, wie auch Zeitungen, Zeitschriften und elektronische Medien. Es sind bereits einige Nachfolgekandidaten auf dem Markt, die gerade mit Energie daran arbeiten, eine kritische Masse an Mitgliedern aufzubauen.
Allen voran Pinterest mit aktuell zwischen 10 und 20 Millionen Mitgliedern. Dabei handelt sich um eine Art kollektives Fotoalbum, in dem Nutzer Bildfundstücke mit eigenen Beschreibungen an virtuelle Pinnwände heften. Andere Nutzer können diese Bilder teilen (repinnen), ihren Gefallen daran ausdrücken oder kommentieren. Klingt eigentlich ganz vertraut … kann man das nicht in jedem x-beliebigen sozialen Netz machen? Ja, aber der Ton macht die Musik. Irgendwas ist anders bei Pinterest, leichter, eleganter, was vor allem Frauen zu gefallen scheint, denn sie bilden mit rund 80 Prozent die größte Nutzergruppe. Sie haben das neue Netz stark gemacht.
Ein zweiter Wettbewerber um die Gunst der Vernetzten ist Medium, gegründet von den beiden Twitter-Vätern Evan Williams und Biz Stone. Ihre neuste Idee ist eine Blogplattform, auf der Veröffentlichungen nach Themen oder Inhalten zu Kollektionen gebündelt werden. Diese können privat oder öffentlich sein. Noch weiß man nicht genau, wohin die Reise mit Medium gehen soll, mehr als ein kategorisiertes Tumblr ist aktuell nicht zu erkennen. Der Vollständigkeit halber seien weitere Kandidaten kurz aufgezählt:
• Branch, eine Schwester-Site von Medium für Diskussionen,
• App.net, ein Microbloggingdienst, kostenpflichtig, weil werbefrei,
• Svbtle, ein Elite-Netzwerk angesagter Blogger.
Wer von den genannten Plattformen das Rennen machen wird, steht in den Sternen. Ziemlich klar ist jedoch, wie sich das digitale Publizieren verändern wird. Meine fünf Thesen dazu:
These 1
Kuratieren ist das neue Publishing
Wer kein Autor ist oder keine Zeit fürs Schreiben hat, bedient sich der kürzesten Form des Veröffentlichens – er zitiert. Visuelle Empfehlungen sind das Erfolgsgeheimnis von Pinterest, aber auch der Fotocommunity Instagram. Ein Bild sagte mehr als 1.000 Worte. Auch viele Twitter- und Facebook-User tun nicht mehr als zitieren oder Sachverhalte, die ihnen gefallen oder die sie ärgern, weiterzutragen. Das Urheberrecht hinkt diesen Entwicklungen bisweilen hinterher. Hoffentlich wird es bald reformiert.
These 2
Publizieren wird noch einfacher
Mit den ersten Blogtools vor rund zehn Jahren hat sich das Publizieren demokratisiert. Heute kann jeder sein eigener Verleger sein und Millionen Leser erreichen, ohne Druckerpresse. Doch während man damals noch etwas HTML und Servertechnik verstehen musste, kann mit heutigen Tools jeder Schüler publizieren. Reduzierte User Interfaces betonen die simple Bedienung.
These 3
Die Seite ist tot, es lebe der Strom
Die Seite war einst die technisch vorgegebene Maßeinheit für die kleinste zu füllende Druckfläche: Weniger zu schreiben war Verschwendung, wer mehr zu sagen hatte, dem drohte die Zweierpotenz-Eskalation: 2, 4, 8, 16 Seiten … Alles ist möglich, aber verlangen sie von einer Druckerei mal einen 10-Seiter. Im Netz gibt es keine Beschränkung der Fläche, auch keine Mindestgröße für eine Nachricht. Die Leser haben sich an News-Ströme gewöhnt, manche komponieren sich maßgeschneiderte Feeds.
Auch »normale« Webseiten spielen heute gerne mit ihrer Unendlichkeit. Sie sind nach unten hin offen, will heißen: Wenn der Leser unten angekommen ist, laden sich neue Inhalte, die an den bestehenden Strom angeknüpft werden. Das nervt manchmal mehr als eine endlos lange Site mit Rollbalken, vor allem wenn es keine mitlaufende Maßeinheit gibt, zum Beispiel ein Veröffentlichungsdatum der Beiträge. Bei Nachrichtenwebsites wissen wir inzwischen, dass die aktuellsten Meldungen ganz oben stehen und der Neuigkeitswert mit längerem Scrollen nachlässt. Bis es wie damals heißt: Nichts ist älter als die Zeitung von gestern.
These 4
Qualität wird wichtiger
Gerade die traditionellen Medien fuhren mit der These vor die Wand, im Netz sei Qualität Nebensache. Hauptsache, die Texte seien suchmaschinenoptimiert, flössen üppig um Werbebanner und würden von vielen gefunden. Es war die falsche Denke aus der gedruckten Welt, wo Auflage die Währung Nummer 1 war, egal, ob konsumiert oder links liegen gelassen. Das Netz belügt sich nicht. Statistiken entlarven müden Content, Leser klicken auf »Gefällt mir«. Heute werden exklusive und gut bewertete Nachrichten besser gefunden und häufiger gelesen. Qualität zahlt sich aus.
These 5
Werbung wird weniger
App.net ist das erste Social-Media-Netz, das vom Tag seiner Gründung an kostenpflichtig ist (50 Dollar Jahresbeitrag für Leser). Dafür verspricht der Dienst werbefreie Kommunikation. Auch die Entwickler von Mobile Apps haben die Erfahrung gemacht, dass die Kunden gern etwas bezahlen, damit eine App nicht mit Anzeigen nervt. Und so wird die Werbung in kleinen Portionen mit kleinen Summen abgeschafft. Die Werbeindustrie wird daraus lernen: Sie muss sich als Partner des Verbrauchers anbieten, anstatt ihn zu verärgern.