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Streaming-Tipp: New York Times Kolumne »Modern Love« auf Amazon Prime

Wer zwischen den Jahren endlich mal wieder Zeit zum Fernsehen hat, dem sei noch einmal »Modern Love« ans Herz gelegt. Die Erfolgskolumne ist ein Herzstück der New York Times und wurde inzwischen für Amazon Prime verfilmt. Wir besuchten Brian Rea, der die Geschichten seit neun Jahren illustriert, in LA und sprachen mit ihm über die

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Seit 15 Jahren erzählen Leser, Schriftsteller und Redakteure jeden Sonntag in der New York Times Kolumne »Modern Love« von der Liebe, von Herzschmerz und Schmetterlingen im Bauch, von Dates und Abschieden und auch schon mal von dem Kater, der mit im Bett schläft. Mit Hollywoodstars wie Anne Hathaway, Tina Fey und Dev Patel verfilmt, sorgt sie jetzt auf Amazon Prime für schönsten Herzschmerz.

»Modern Love« ist eine Erfolgsgeschichte – und Herzschmerz

Seit acht Jahren illustriert Brian Rea die Liebe in modernen Zeiten. Ein Rekord – und eine Erfolgsgeschichte, begleitet von zahlreichen Leserbriefen, die zeigen, wie berührend nicht nur die Geschichten, sondern auch die Zeichnungen sind. Wir besuchten ihn in seinem Studio in Chinatown, Los Angeles, wo es mitten auf der Mandarin Plaza liegt. Morgens praktizieren hier alte chinesische Ladies Tai-Chi. Ein großes weißes Herz klebt an Brian Reas Studiotür. Gemalt hat es sein kleiner Sohn – und es ist das einzige hier.

Interview mit Brian Rea, Illustrator von »Modern Love«

Wie wird man zum Illustrator der emotionalsten Kolumne der »New York Times«?
Brian Rea: (lacht) Ich war zuvor Artdirektor der Meinungsseite und zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Erst bin ich nur eingesprungen und plötzlich war ich verantwortlich dafür. Das lag wohl auch an meinem Konzept, die Illustrationen als gezeichnete Liebesbriefe zu verstehen – und als eigenständige visuelle Geschichten, die nicht den Text an sich, sondern dessen emotionalen Ton widerspiegeln. Und der kann sehr unterschiedlich sein. Liebe ist so viele Dinge, so anders für jeden Einzelnen, und das zeigen auch die Geschichten. In den ganzen Jahren, in denen ich dabei bin, hat nicht eine der anderen geglichen.

Was ist das Besondere?
Dass sie voller Gefühle stecken. Genauso wie meine Arbeiten auch, deshalb fühle ich mich so wohl, ihrer Emotionalität zu entsprechen. Manchmal sind die Geschichten lustig, manchmal sehr ernst, und manchmal traurig. Aber immer geht es um das, was zwischen zwei Lebewesen stattfindet. Wie man sich anschaut, sich beobachtet, wie man sich annähert und Grenzen überwindet. Für meine Zeichnungen versuche ich den richtigen Moment zu finden, der ausdrückt, was der Autor sagen möchte, und diesen dann zu visualisieren.

Und wie findet man diesen Moment?
Gute Frage. Wenn ich den Text bekomme, bin ich jedes Mal so gespannt, dass ich ihn sofort lese. Einmal, zweimal oder auch dreimal und dann trage ich ihn einen Tag lang im Kopf herum. Ich denke über die Personen nach, versetze mich in ihre Konflikte, falls es welche gibt, in ihre Verliebtheit oder Fernbeziehung. Stelle mir dann vor, wie jemand mitten in der Nacht am Telefon sitzt, weil sein Liebster in einer anderen Zeitzone lebt, wie er nach dem Abschied am Flughafen allein nach Hause fährt, wie er in die Ferne schaut, wenn er an ihn denkt. Irgendwo dazwischen finde ich dann den Moment, den ich zeichnen kann. Und wenn die Zeichnung dann noch den Ton der Geschichte trifft, traurig, heiter, ernst oder leidenschaftlich ist, dann ist sie gelungen. Manchmal klappt das, aber nicht immer.

Gibt es Geschichten, die ganz besonders für dich sind?
Zumindest bleiben mir einige ganz besonders im Gedächtnis. Vor einigen Wochen schrieb ein Mann über seine Freundin und ihr Kaninchen, das sie viel leidenschaftlicher liebt als er und wie das zwischen ihnen steht. In einer anderen Geschichte erzählte eine Frau von der abgöttischen Liebe zu ihrer Schildkröte. Ich weiß auch nicht, warum mir ausgerechnet Geschichten mit Tieren einfallen. (lacht) Denn wie die Liebe selbst ist jede Geschichte anders. Es gibt kein wiederkehrendes Muster, außer dass es immer um große Gefühle geht.

Die Illustration spiegeln auch Brian Reas Lieben

Ist es wichtig, dass du dich in den Geschichten auch mal selbst wiederfindest?
Es hilft, aber ist nicht entscheidend. Das ist wie beim Schauspielern. Man muss es nicht erlebt haben, um es darzustellen. Aber natürlich gibt es bei »Modern Love« immer wieder Situationen, in denen ich mich wiedererkenne, im Guten und im Schlechten. Wenn ich dann Dinge aus meinem eigenen Leben in die Zeichnungen einbringe, werden sie manchmal intensiver. Ich zeichne auch mal Freunde hinein oder ihre Haustiere. Einige unserer Möbel und Kleidungsstücke finden sich in den Illustrationen, und meine Frau war auch schon darin. Das war zu einer Zeit, als sie noch weit weg wohnte. Und es gibt tatsächlich Leser, die diesen persönlichen Touch spüren.

Es ist wirklich beeindruckend, wie nah die Leser der Kolumne stehen und wie erfolgreich sie ist.
Allerdings. Mittlerweile existiert auch ein »Modern Love«-Podcast, es werden »Modern Love«-Nächte veranstaltet, in denen bekannte Schauspieler ausgewählte Geschichten vorlesen, und es gibt sogar Leute, die Unterricht anbieten, wie man am besten über die Liebe schreibt, sodass die eigenen Erlebnisse der Teilnehmer in der Kolumne publiziert werden. Und darüber hinaus für Amazon Prime verfilmt.

Wie erklärst du dir, dass die Liebe so ein großes Thema geworden ist?
Die Liebe geht jeden an, deshalb ist sie ein so universelles Thema. Gleichzeitig aber glaube ich, dass ihre Beliebtheit auch mit der aktuellen Stimmung zu tun hat. Egal, wohin man derzeit in der Welt schaut, sind die Nachrichten deprimierend. Da wird die Kolumne zum Anker, denn die Geschichten, die erzählt werden, sind zutiefst menschlich. Sie rühren an, sie bringen einen zum Lachen, machen traurig oder lassen einen träumen. Man fühlt etwas anderes als die Angst, die gerade weltweit geschürt wird. Vielleicht projiziere ich da auch etwas hinein, aber ich glaube schon, dass der aktuelle Erfolg der Kolumne auch damit zu tun hat, was gerade in der Welt passiert.

Gender-Debatten beeinflussen Illustrationen

Beeinflussen die Debatten über Diversity deine Arbeit?
Auf jeden Fall. Mails, in denen Leser fragen, warum ich Menschen auf eine ganz bestimmte Art und Weise zeichne, häufen sich. Deshalb denke ich auch viel mehr darüber nach, wie ich Diversity in der Liebe darstelle. Und das ist gut so. Denn Liebe ist universell, und daher sollte ich mich nicht zu sehr auf meine Perspektive als weißer Mann beschränken. Einmal handelte eine der Geschichten von einer Inderin und ich habe vergessen, einen dunkleren Hautton auf die Figur zu legen. Zum Glück war die Zeichnung erst online zu sehen, denn sofort schrieb mir jemand, dass Geschichte und Illustration nicht zusammenpassen würden. Und die Leserin hatte recht. Ich konnte das noch ändern, bevor die Zeitung in Druck ging und war sehr froh darüber. Seitdem achte ich viel mehr darauf, aus welcher Kultur die Menschen kommen, deren Geschichte ich vermitteln will.

Wie wirken sich die Gender-Debatten auf deine Arbeit aus?
»Love is love«, wie wir hier sagen, eine Liebesbeziehung ist für mich eine Liebesbeziehung, egal, ob zwischen zwei Männern, zwischen Mann und Frau oder zwei Frauen. Das beeinflusst meine Zeichnungen in keiner Weise, denn sie handeln schließlich von denselben Gefühlen.

Wie Gefühl im Weißraum entsteht

Und bestehen dabei gleichzeitig nur aus wenigen Linien . . .
Außerdem sind sie von Hand gezeichnet. Das muss ich stets wieder betonen, denn das finde ich einen sehr wichtigen Aspekt, wenn man Emotionen darstellen will. Genauso entscheidend ist für mich, dass sie nicht überladen sind, sondern dass es immer viel Raum zum Atmen, Denken und Fühlen gibt.

Ist dieser Leerraum ein entscheidender Aspekt der Zeichnungen?
Ich werde oft gefragt, warum die Männer in meinen Illustrationen Kleider tragen und die Frauen keine Brüste haben. Und ich habe keine Antwort darauf, warum sie etwas androgyn wirken. Aber ich glaube, es liegt daran, dass der wichtigste Teil meiner Zeichnungen tatsächlich derjenige ist, der zwischen den Figuren liegt. Es geht um den Zwischenraum, in dem der Dialog stattfindet und das Gefühl entsteht. Es ist, wie zur Rushhour in der U-Bahn zu sitzen, jeder starrt auf sein Smartphone, jeder ist genervt, und dann schaut man hoch, und der Blick trifft plötzlich den eines anderen. In diesem Moment liegt ein ganzes Universum an Geschichten und an Möglichkeiten und gleichzeitig hat er etwas Flüchtiges, ist wie ein Ton, den man am Klavier anschlägt. Einzufangen, was in genau diesem Augenblick passiert und für das es nicht wirklich Worte gibt, ist das größte Ziel meiner Arbeit für die »Modern Love«-Kolumne.

Gibt es No-Gos in den Zeichnungen?
Hass und Gewaltdarstellungen gehören unbedingt dazu. Ich möchte diesen aggressiven Ton, der gerade in der Welt herrscht, nicht schüren. Ich bin vielmehr an einem Feuer interessiert, das wärmt. Aber darüber hinaus haben wir tatsächlich ein paar ungeschriebene Regeln. Herzen und Einhörner sind eigentlich tabu, denn sie sind viel zu offensichtlich und viel zu abgenutzt. Auch wenn ich sie mir ein-, zweimal nicht verkneifen konnte. Aber auf all die Jahre hochgerechnet ist das eigentlich ein guter Schnitt.

Von der Liebe zum Sensenmann

Neben deiner Arbeit für »Modern Love« hast du auch das Postkarten-Set »Thinking of You« herausgebracht. Hast du nicht Angst, auf den »Kerl mit der Liebe« festgelegt zu sein?
Genau, dieser gefühlsduselige Typ, der den ganzen Tag mit Tränen in den Augen in seinem Studio sitzt und zeichnet. Dabei heule ich an manchen Tagen gar nicht. (lacht) Aber ja, darüber denke ich schon nach. Auch weil die Arbeit mich tatsächlich emotionaler gemacht hat. Doch eigentlich ist das gut, denn ich verstehe das Menschliche nun besser.

Dabei handelt dein erstes Buch »Death Wins
 a Goldfish« von einem Sensenmann mit Burn-out . . .
(lacht) Vielleicht ist das eine gesunde Gegenreaktion. Aber tatsächlich ist das Buch auch sehr emotional, denn der Sensenmann – völlig überarbeitet vom ganzen Sterben – wird zu einem Zwangs-Sabbatical auf die Erde geschickt und muss dort lernen zu leben – und zu lieben.

Modern Love, Amazon Prime, ab 18. Oktober

Das vollständige Interview lesen Sie in PAGE 2.2019 .

Dieser Beitrag ist erstmals am 21. Oktober 2019 erschienen.

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