In seiner neuen Kolumne verrät Jürgen Siebert u.a., was er über die Aussage von Tesla-Chef Elon Musk hält, der verkündete, mobiles Arbeiten sei nicht länger akzeptabel.
Anfang Juni kursierte der Aufschrei eines verzweifelten Kapitalisten in den Medien. Anstatt offen zu sagen, dass sich Tesla von rund 10 Prozent der Beschäftigten trennen muss, verkündete Firmenchef Elon Musk unter dem Betreff »Mobiles Arbeiten nicht länger akzeptabel« seiner Belegschaft: »Alle, die lieber im Homeoffice arbeiten möchten, müssen mindestens (und ich meine *mindestens*) 40 Stunden pro Woche ins Büro kommen – oder Tesla verlassen.«
Zwei Wochen zuvor hatte Apple angesichts steigender Corona-Fallzahlen die Rückkehr ins Büro verschoben. Twitter-Chef Parag Agrawal schrieb im März, dass das Office zwar wieder zugänglich sei, aber die Mitarbeitenden Wahlfreiheit hätten: »Wo auch immer du dich am produktivsten und kreativsten fühlst, das ist der Ort, an dem du arbeiten solltest, und das schließt dauerhaftes Homeoffice ein.«
Mein beruflicher Glücksfall war, dass ich ab dem ersten Tag meiner Karriere in einem Büro arbeitete, das komplett digital dachte und handelte . . . 1986, in der PAGE-Redaktion. PAGE war das erste Magazin, das seinen Textsatz digital auf Offsetfilm belichtete. Viele unserer Autoren und Autorinnen schrieben ihre Beiträge im heimischen Büro und schickten den Text dann auf 3,5-Zoll-Diskette mit der Post nach Hamburg, weil E-Mail und das Senden von Daten noch in der Entwicklung waren. Für die jüngeren Leser:innen: Der Standard für Fachzeitschriften war damals das sogenannte Klebelayout, ein Prozess mit einem halben Dutzend Arbeitsschritten und Beteiligten . . . Müsst ihr mal im Internet suchen.
Elon Musk vertritt eine Arbeitswelt, in der Menschen noch als Organisationsbestandteile behandelt werden. Unternehmensberater:innen sprechen von »Assets«, ein vernebelter Ausdruck für die Mechanik eines Wirtschaftsgetriebes. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Mensch und Zahnrad Sachwerte, was Charlie Chaplin in seinem Film als »Moderne Zeiten« beschrieb. Auf die Fabriken folgten die Büros, in denen die menschlichen Zahnräder an Schreibtischen werkeln. Seit zwei Jahren tun wir das auch zu Hause – was sich immer noch nicht gut anfühlt, weil die überholten Wertmesser von Produktivität und Arbeitszeit nicht dazu passen.
Die wahre Transformation, in der wir uns längst befinden, spielt sich unabhängig von Industrien, Organisationen oder Techniken ab. Sie findet in uns, mit uns und mit unserer Umgebung statt. Sie wird vorangetrieben von Unternehmen, die so denken wie Twitter-Chef Parag Agrawal. Von Manager:innen, die ernsthaft daran interessiert sind, das Alte zu beenden, um etwas Neues zu beginnen. Vieles wird anders, aber was genau kommt, entwickelt sich gerade erst.
Der Umbruch äußerte sich manchmal in kuriosen Zwischenzuständen. Mein ehemaliger Kollege Jochen arbeitet seit einem Jahr bei einer Verwertungsgesellschaft, die wunderbare Büroräume in einer Villa zu bieten hat. »Ich war erst fünfmal dort: zum Vorstellungsgespräch, um den Schlüssel abzuholen und dreimal zum Feiern«, erzählte er mir jüngst bei einem Treffen.
Im Büro der Zukunft wird gebrainstormt, gemanagt und gefeiert: mehrere Huddle Rooms statt zentralem, großem Konferenzraum, Silent Rooms statt Einzelbüros, schallisolierter Arbeitssessel statt Schreibtisch und Drehstuhl.
Die Umsetzungsarbeit sowie alles Organisatorische lässt sich fokussierter und schneller zu Hause erledigen. Hier besteht die Herausforderung darin, private und berufliche Stunden klar zu trennen. Verschwimmt die Unterscheidung, droht Selbstausbeutung, weil einen die Arbeit dauerhaft verfolgt. Bitte keine Excel-Tabellen in der Badewanne, gerne aber Urlaub buchen, Serien schauen oder private Fotos mit Freundinnen und Freunden teilen.