In der Krise ist es wichtiger denn je, dass Marken empathisch auf die Menschen eingehen. Wie das gelingt, besprachen wir mit der Design- und Brandingagentur Peter Schmidt Group.
Um eine Marke gut führen zu können, braucht es ein so klares wie flexibles Branding, das empathisch auf Kunden eingeht, sich ihren individuellen Bedürfnissen in den verschiedensten Situationen anpasst und die Marke gleichzeitig wiedererkennbar und konsistent hält. Das gilt umso mehr in Krisenzeiten. Die Design- und Brandingagentur Peter Schmidt Group hat sich eben dieses Empathic Branding auf die Fahnen geschrieben. Für Kunden wie die Deutsche Bahn entwickelt und gestaltet sie strategische Erscheinungsbilder, die ebenso beständig wie anpassungsfähig sind.
Wir sprachen mit dem Managing Partner Lukas Cottrell sowie mit Creative Director Felix Damerius und Strategy Director Sebastian Krowarz darüber, warum empathische Markenführung besonders in der heutigen Zeit eine so wichtige Rolle spielt, wie die Agentur es für ihre Kunden umsetzt und was das für das Rollenbild des Designers bedeutet.
Was versteht ihr genau unter Empathic Branding?
Lukas Cottrell: Bei empathischer Markenführung geht es darum, eine emotionale Bindung zu den Menschen herzustellen, die man als Marke erreichen will. Im Vordergrund steht für uns also die Frage, wie sich diese Nähe durch Design herstellen und fördern lässt. Das kann nur gelingen, wenn man weiß, was Menschen wichtig ist – und das nicht nur auf der rationalen, sondern auch auf emotionaler Ebene. Darauf gilt es einzugehen, Menschen wirklich zu helfen und nicht nur eine Botschaft zu senden. Nur Marken, die sich wirklich engagieren, machen einen Unterschied.
Das erleben wir derzeit in der Corona-Krise sehr deutlich.
Cottrell: Genau. Auf der einen Seite gab es Marken, die auf bloße Effekte setzten und Kampagnen veröffentlichten, die nur wenig mit den Menschen und ihren Bedürfnissen zu tun hatten – wie das Auseinanderziehen von Logos, um Social Distancing zu promoten. Sie verstehen Markenarbeit als reines Senden von Botschaften. Auf der anderen Seite standen jene, die verstanden haben, wie wichtig es ist, Menschen gerade in Krisen emotional abzuholen und konkrete Hilfestellungen zu geben. Die Deutsche Bahn hat sich etwa als eines der ersten Unternehmen bei ihren Mitarbeitern für ihren Einsatz während der Corona-Pandemie bedankt – und in einem nächsten Schritt Mietern in den Bahnhöfen die Miete erlassen. Empathische Marken kennen und teilen die moralischen Werte ihrer Kunden und handeln danach. Sie interessieren sich für ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft – und nicht nur für ihre Rolle im Supermarktregal.
»Empathische Marken kennen und teilen die moralischen Werte ihrer Kunden« Lukas Cottrell
Was genau bedeutet das für eure Arbeit? Wie geht ihr bei der Markenentwicklung vor?
Felix Damerius: Wir beginnen immer damit, die Persönlichkeit einer Marke zu definieren. Dabei stellen wir sie uns als eine tatsächliche Person vor. So ist es wesentlich leichter zu bestimmen, wie sie sich in verschiedenen Situationen verhält beziehungsweise wie sie sich verhalten sollte. Diese menschliche Perspektive führt zu wesentlich besseren und empathischeren Ergebnissen als ein rein produktgetriebener Blickwinkel. Das visuelle Erscheinungsbild entwickeln wir dann entsprechend dieser Persönlichkeit, stimmen also Farben, Formen, Animation et cetera darauf ab.
Cottrell: Design ist vor allem am Anfang immer ein Dialog – mit dem Auftraggeber, aber auch mit dessen Kunden. Bei unserer Arbeit für die Deutsche Bahn sind wir sehr früh auf die Menschen zugegangen und haben sie gefragt: Wie ist eure Bahn? Was macht sie aus? Jeder von uns hat eine eigene Beziehung zur Bahn! Wir mussten verstehen, wie die Bevölkerung das Unternehmen sieht, um die Markenpersönlichkeit weiterzuentwickeln. Daraus ergab sich schnell das Ziel, die Marke menschlicher und nahbarer zu machen.
Die Anzahl der Kanäle und Formate, in denen eine Marke kommunizieren und sich darstellen muss, wächst stetig. Wie schafft man es, überall emphatisch und gleichzeitig konsistent zu bleiben?
Cottrell: Indem man einen starken Markenkern definiert. Welche Werte und Normen machen die Marke aus? Welcher Charakter und welche Haltung ergeben sich daraus? Und wie finden diese wiederum ihren Ausdruck? Wenn man genau weiß, wer man ist und wie man auftreten möchte, ist es kein Problem, in verschiedenen Kanälen angemessen zu reagieren – das gilt für Marken genauso wie für Menschen. Ob wir mit jemandem face to face sprechen oder uns per Videochat unterhalten, ist im Grunde egal – wir sind immer dieselbe Person, nur das Medium ändert sich.
Habt ihr ein Beispiel für so eine eindeutige Markenpersönlichkeit?
Cottrell: Nehmen wir doch mal die Berliner Verkehrsbetriebe: Die BVG ist rotzig und frech – das passt zur Marke und wird in der Kommunikation hervorragend umgesetzt. Zu ihrem emotionalen Kern gehört ein gewisser Trotz, aber auch Selbstbewusstsein und eine Art verletzte Liebe: »Weil wir dich lieben, darfst du gemein zu uns sein.« Zur Deutschen Bahn würde eine solche Ansprache überhaupt nicht passen. Denn ihr emotionaler Kern ist Offenheit, Zugewandtheit und der Wunsch nach Freundschaft. Die Bahn setzt sich jeden Tag dafür ein, dass Menschen gut und gesund von A nach B kommen. Dafür wünscht sie sich Wertschätzung.
Hilft empathisches Design auch bei der Integration einer Markenpersönlichkeit innerhalb von Unternehmen?
Sebastian Krowarz: Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt. Man muss das Zielbild der Marke so formulieren und ausarbeiten, dass Designer, Mitarbeiter und externe Kommunikationsdienstleister gut damit arbeiten können. Und zwar nicht in Form eines strengen Regelwerks, sondern so, dass sie die traditionell gewachsene Festung der Marke auch mal verlassen können. Die Mitarbeiter müssen die Markenpersönlichkeit so verinnerlichen, dass sie fast ohne nachzudenken markenkonform agieren und reagieren können. Als Brand Designer sind wir gefordert, diesen Kern so klar zu definieren und zu gestalten, dass die Anwender auf verschiedene Situationen und Umfelder flexibel reagieren können – auch auf solche, die vorher niemand ahnt, wie die Corona-Krise. Diese ist wesentlich leichter zu stemmen für Marken, die wissen, wer und wie sie im Kern sind, und deshalb spontan und wertekonform reagieren können. Eine Pandemie ist wohl in den wenigsten Marken-Playbooks vorgesehen.
Das Aufspüren und Definieren der Markenpersönlichkeit sind also ganz wesentliche Bestandteile für empathisches Branding. Verändert sich dadurch das Berufsbild des Designers?
Damerius: Designer bringen von sich aus ein hohes Maß an Empathie mit. Sonst wären sie gar nicht in der Lage, sich in eine Marke hineinzuversetzen und sie zu gestalten. Insofern verändert Empathic Branding nicht das Rollenbild des Designers, sondern verstärkt seine ursprüngliche Ausrichtung sogar.
»Wir gestalten nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herz« Lukas Cottrell
Cottrell: In gewisser Weise verändert sich das aktuelle Bild des Designers. Wenn wir heute über Gestaltung sprechen, sind wir häufg von einer sehr rationalen Perspektive geprägt. Besonders im Digital Design geht es vorrangig um Klickraten und Bewegungsmuster. Das Ziel ist stets, einen Prozess so rational wie möglich zu gestalten, damit der User ihn schnell abschließen kann. Beim Empathic Branding geht es uns dagegen darum, den emotionalen Kern der Marke zu vermitteln. Wir gestalten nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herz. Das ist es, was Empathie ausmacht – und was im heutigen Designalltag oft verloren geht.
Und wie genau macht ihr das?
Cottrell: In User Journeys schauen wir uns zum Beispiel nicht nur an, wie der Kunde am besten von A nach B kommt, sondern betrachten auch seine Emotional Journey. Wo ist die Zielgruppe gefühlsmäßig besonders involviert? Worüber ärgert sie sich? Wie können wir die Erfahrungen mit der Marke emotional aufladen und sie so angenehmer, wertschätzender und lustvoller gestalten?
Das klingt gut. Aber ist das auch messbar? Brand Manager und Geschäftsführer wollen ja Erfolgszahlen sehen.
Krowarz: Wir gestalten immer auf vorab festgelegte Zielsetzungen. Wenn wir etwa die Deutsche Bahn in ihrer Wahrnehmung menschlicher und nahbarer gestalten wollen, können wir das anhand von expliziten und insbesondere impliziten Erhebungen vor, während und nach dem Gestaltungsprozess überprüfen.
Cottrell: Wir definieren neue Key-Performance-Indikatoren, die sich auf die Sympathie einer Marke beziehen – bei der Bahn beispielsweise menschliche Nähe. Diese KPIs sind vor allem in Form von Loyalität messbar. Das sehen wir besonders in Krisensituationen: Uns fallen sofort Marken ein, die sich während der Covid-19-Pandemie korrekt verhalten haben. Sie genießen ein höheres Ansehen und haben entsprechend loyalere Kunden. Das ist ein eindeutiges Argument dafür, nah bei den Menschen zu sein und dafür zu sorgen, echte Probleme zu lösen – das beschert langfristig Loyalität, die messbar ist und zum Erfolg des Unternehmens beiträgt.
Ziel von Empathic Branding ist es, Menschen so individuell und kontextsensitiv wie möglich anzusprechen. Aber man kann als Designer nicht jede Interaktion einzeln gestalten. Welche Rolle spielt hier die Automatisierung, etwa durch künstliche Intelligenz?
Cottrell: KI ist ein Werkzeug, das uns beim Roll-out unterstützt. Wenn wir ein Regelset für einen Markenauftritt entwickelt haben, kann dessen Anwendung durch den Kunden teilweise automatisiert werden. Das geht allerdings immer nur bis zu einem gewissen Grad. Empathie besteht vor allem aus Menschlichkeit, Dialog und Authentizität. Diese können leicht verloren gehen, wenn man es mit der Automatisierung übertreibt. Lässt ein Unternehmen wichtige Schnittstellen mit dem Kunden durch einen Algorithmus bespielen, läuft es Gefahr, sich als »unmenschlich« zu outen. Im Rahmen von Performance-Marketing oder A/B-Tests in Social Media ist Automatisierung aber sehr hilfreich.
»Manche Dinge sind sogar nur mit KI möglich« Felix Damerius
Damerius: Manche Dinge sind sogar nur mit KI möglich. Durch ihre Fähigkeiten in der Datenerhebung und -verarbeitung sind wir in der Lage, Menschen wesentlich gezielter und persönlicher anzusprechen. Gleichzeitig geht es aber auch darum, die Persönlichkeit der Marke in unterschiedlichen Kontexten und Situationen einheitlich zum Ausdruck zu bringen. Sie darf also nicht zu sehr verwässert werden.
Wie wird sich die Rolle des Designers eurer Meinung nach in Zukunft weiterentwickeln?
Cottrell: Ich glaube, dass Designer immer mehr zu Organisationsberatern werden. Sie produzieren nicht nur »visual candy«, sondern verstehen auch wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge. Im Grunde werden sie zu Moderatoren, die organisationale Prozesse gestalten und Unternehmen verändern. Immer mehr Kunden fragen uns explizit danach, welchen Beitrag Design zur Nachhaltigkeit ihres Unternehmens beitragen kann. Und das nicht nur im ökologischen, sondern auch im wirtschaftlichen und sozialen Sinne. Nachhaltige Gestaltung ist eine Kernkompetenz der Zukunft und für uns auch eine Frage der Haltung. Das kann das große Ganze betreffen oder auch kleine Gestaltungsfragen – wie etwa die Integration eines Dark Mode.
Damerius: Dark Mode ist ein schönes Beispiel sowohl für nachhaltiges als für auch empathisches Design. Zum einen hilft der abgedunkelte Screenmodus zum Beispiel Bahnmitarbeitern, die nachts an den Gleisen arbeiten und so nicht mehr vom Bildschirm geblendet werden. Zugleich reduziert er den Energieverbrauch von OLED-Screens und schont die Umwelt. Letztlich sollte es im Design immer darum gehen, die Welt nicht nur für eine Marke oder ein Unternehmen besser zu machen, sondern auch für deren Kunden und bestenfalls uns alle.
Dieser Text entstand im Rahmen von Connect Creative Competence, der Initiative von PAGE zur Förderung neuer Kompetenzen in Agentur, Hochschule und Unternehmen.