Wie vor zwei Jahren fand sich die typointeressierte Gemeinde vom 8.–10. November zur nunmehr fünften Auflage der bekannten Veranstaltung im schweizerischen St. Gallen zusammen.
Text: Kai Büschl, Fotos: Michael Bundscherer
Auch diesmal beherbergte die Schule für Gestaltung das wie immer mit interessanten Sprechern bestückte Symposion, das diesmal unter dem Motto »Balance« ein Thema aufgriff, welches in unserer Zeit immer wieder zum Thema wird. Spannend also, wie sich die Vortragenden des diesjährigen Themas annehmen würden. Die Balance zwischen Beständigkeit und Neuem zu finden zeigt sich auch in der Wahl des alten, und neuen Moderators Clemens Theobert Schedler, der wie auch bei den letzten Auflagen der Veranstaltung mit gewohnter Lockerheit und Eloquenz durch das qualitativ hochwertig besetzte Programm führte. Auf die obligatorische Begrüßung der Teilnehmer durch die Gastgeber folgte nach einer kurze Einführung des Moderators auch gleich der erste Beitrag.
Schwierig, die Balance zu finden
Zwar bin ich kein großer Freund von Vorträgen, bei denen die Sprecher ihren Zuhörern aufgehübschte Arbeitsproben um die Ohren hauen. Aber Sabine und Hans Bockting machen es richtig: Sie stellten nicht die Endergebnisse vor, sondern erzählten die Geschichte der Entstehung. So gewann man Einblicke hinter die Kulissen, erfuhr auch von abgelehnten Arbeiten und bekam ein Bild der Arbeit dieser zwei.
Auch wer Gerard Unger kannte, wird überrascht gewesen sein. Christopher Burke hatte in seinem eindrucksvollen Vortrag über ihn nicht nur die bekannten Schriftentwürfe zusammengetragen, sondern auch zahlreiche Skizzen und Zeichnungen, die Ungers Arbeitsweise illustrieren. Ein umfangreicher Nachruf, der einen Vorgeschmack auf die ausstehende Publikation gibt.
Auf die obligatorische Pause folgte Monika Malsy. Sie berichtete über den Weg, den sie in vielen Jahren zusammen mit dem Künstler Elger Esser beschritten hat: Die Bücher, die in dieser Zeit entstanden sind, zeigen, wie schwierig es ist, die Balance zwischen den Interessen des Künstlers, des Verlags und des Buchgestalters zu finden. Trotzdem ist eine eindrucksvolle Buchreihe entstanden, die ein Abbild dessen ist, wie Balance in diesem Spannungsfeld hervorragend funktionieren kann.
Einmal mehr Jost Hochuli
Sebastian Bayer, Andreas Hänggi, Pascal Hartmann und Vera Kaeser, die sich in ihrer Bachelor-Arbeit mit dem digitalen (animierten) Plakat beschäftigten, beeindruckten zwar weniger durch die finalen Ergebnisse, aber umso mehr durch die strukturelle Arbeitsweise im Team, das Durchspielen von Ideen, Möglichkeiten und Varianten. Und einer neuen »Theorie des animierten Plakats«, die als spannendes Nebenprodukt ihrer Arbeit entstand.
Der Einführungsvortrag von Jost Hochuli zur begleitenden Ausstellung ist ja schon geliebter Standard auf der Tÿpo. Die sehr persönliche Vorstellung seines langjährigen Weggefährten, des Gestalters und Lehrers Max Koller, war voller Anekdoten und wie gewohnt kurzweilig. Ein ganz besonderer Leckerbissen war die musikalische Umrahmung von Karl Schimke vom Sinfonieorchester St. Gallen. Die Broschur zu Max Koller konnte jeder Teilnehmer als Geschenk mit nachhause nehmen.
Den ersten Tag der Tÿpo beschlossen Gäste und Vortragende schweizerisch standesgemäß mit einem «Apéro» im Foyer der Schule für Gestaltung. An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Größe der Veranstaltung immer wieder Freiräume schafft und es so ermöglicht mit Verantwortlichen, Referenten und Gästen ins Gespräch zu kommen. Ein großer Vorteil, der das St. Galler Tÿpoevent von manch anderer Veranstaltung angenehm unterscheidet.
Neues Format mit Kurzvorträgen
Den zweiten Tag startete die Tÿpo mit einem neuen Format. Im 4 mal 15 minütigen Kurzvorträge genannten Programmpunkt erzählte zunächst Kurt Dornig, illustriert durch einige seiner Arbeiten, über die Unmöglichkeit Arbeit und Leben zu trennen. Vor allem, wenn sich das Studio direkt neben dem eigenen Wohnhaus befindet. Nina Paim und Corine Gisel, die ein Büro für Designforschung betreiben, zeigten unerwartete Einblicke in den wohlbekannten Verlag Niggli, zu dem sie ein Forschungsprojekt vorstellten. Judith Holly beschäftigte sich in ihren 15 Minuten mit Pashkevilim, einer Art analogen Flugblattes oder Plakates aus dem Jerusalemer Stadtteil Mea Schearim. Das darauffolgende Duo von Nouvelle Noire war krankheitsbedingt leider nur eine Soloveranstaltung. Dennoch schaffte es Anton Studer auch als One-Man-Show viele interessante Einblicke in die tägliche Arbeit einer Typefoundry zu gewähren.
Zu Beginn des zweiten Veranstaltungsblocks erläuterte Verena Panholzer, Gründerin des Wiener Designstudios «Es», welche wesentliche Rolle die Verknüpfung von Inhalt und Form in der Gestaltung einnimmt. An den Arbeiten ihres Studios demonstrierte sie in ansprechender Art und Weise, wie gestalterische Arbeit im täglichen Balanceakt zu modernen Ergebnissen geführt wird.
Der Baron von Fonthausen
Anika Kunst und Lilo Schäfer erzählten im darauffolgenden Vortrag aus ihren aktuellen Erfahrungen. Die beiden Jungdesignerinnen berichteten über Fähigkeiten und Wissen, Fragen und Ängste, über Schwierigkeiten und Möglichkeiten sowie das Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis. Die zukünftigen Arbeitspartner verstehen es die richtigen Fragenstellungen um das Thema Work-Life-Balance und Selbständigkeit aufzugreifen und gewürzt mit eigenen Projekten vor allem für ein jüngeres Publikum kurzweilig darzustellen.
Nach der Mittagspause beschäftigte sich Hans-Peter Kaeser in einem sehenswerten und inhaltlich starken Vortrag mit der Geschichte der Buchillustration. Anhand historischer Beispiele erläuterte er das Zusammenspiel von Text und Bild. Auf spannende Weise entschlüsselte er für den Betrachter viele Bildbeispiele von der Inkunabel bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts.
Jacques Le Bailly aka «Baron von Fonthausen» erläuterte in seinem Vortrag seine Arbeit als Schriftdesigner. Von Google mit der Überarbeitung der «Nunito Sans» zu einer Variable Font Familie beauftragt, zeigte er die gesamte Bandbreite des Gestaltungsprozesses im aktuellen Typedesign auf. Auf seinen Vortrag folgt Mireille Burkhardt. Die Creative Direktorin und Gründerin des Londoner Studios BOB zeigte die Entstehung von Projekten für das Victoria & Albert Museum, Pringle of Scotland, The Design School, Transport for London und Die Schweizer Post.
Familiäres Miteinander
Den krönenden Abschluss des zweiten Tages liefert Andreas Übele. Als Büroinhaber und Gestalter zeigte er vielerlei Arbeiten des Büro Übele, ohne jedoch das Thema Typografie aus den Augen zu verlieren. Auf etwas zotige Art erfuhren die Zuhörer vielerlei Anekdoten und Wissenswertes über vielerlei Projekte. Darunter zeigte er einen (am Ende abgelehnten) Schriftentwurf für eine Hochschule, eine Arbeit für einen großen Sportartikelhersteller (mit drei Streifen), aber auch die Ergebnisse eines Stipendiums in der Villa Massimo in Rom. Auf seine eigene Art und Weise ein recht unterhaltsamer Abschluss für den zweiten Tag der Veranstaltung.
Der tatsächliche Abschluss der Veranstaltung erfolgte jedoch wie immer am dritten Tag. Im «Sitterwerk» in St. Gallen konnten die angereisten Gäste eine Vitrinenführung durch eine Ausstellung von Arbeiten aus Jost Hochulis Arbeitsarchiv genießen. Anschließend erfolgte die Präsentation der in den Vitrinen gezeigten Arbeiten durch die fünf Kuratoren. Mit einer kleinen kulinarischen Stärkung in Form einer Buchstabensuppe wurden dann die Teilnehmer tatsächlich verabschiedet. Wie auch in den vergangen Jahren war es auch dieses Mal wieder möglich als Teilnehmer kostenlos die «Stiftsbibliothek St. Gallen» und auch das «Zeughaus Teufen» zu besuchen.
Die Tÿpo St. Gallen hat wegen ihrer inhaltlichen Qualität, aber auch wegen des familiären Miteinanders einen festen Platz in so manchem Terminkalender. Eine Veranstaltung, die ich jedem Gestalter uneingeschränkt anraten kann. Deshalb empfehle ich für 2021 … auf nach St. Gallen!