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Design vs. Moral

Weniger Manifeste, mehr Pragmatismus wünscht unser Kolumnist Jürgen Siebert Designern.

Foto: Norman Posselt

Designer sind eine empfindliche Spe­zies, vor allem Kommunikationsdesigner. Nicht wenige sehen den ethi­schen Wert ihrer Arbeit auf einer Stufe mit Feuerwehr, Ärzten oder Lehrern, doch im Ranking der vertrauenswürdigen Berufe tauchen sie nie auf. Weil Design ein Business-to-Business-Job ist, mit dem die Nutzer meist nicht in di­rekten Kontakt kommen. Falls ein Pro­dukt oder Service für seine Gestaltung gefeiert wird, sonnen sich die Auftraggeber im Glanz des Ruhms . . . was nicht gerade zum Selbstbewusstsein der Kreativen beiträgt.

Entsprechend empfindlich reagieren sie, wenn ihnen unorthodoxe Kon­kurrenz in die Quere kommt, beispiels­weise das Crowd-Design. Auch auf die Anerkennung ihres Schaffens bei Wettbewerben verzichten viele deutsche Gestalter, weil die Kosten fürs Einreichen und Publizieren oftmals hö­her liegen als der Gewinn aus dem preiswürdigen Projekt. Ich, kopfschüt­telnd: »Dann seid doch einfach froh, wenn euch Auftraggeber weiterhin die Bude einrennen und ihr keine extra Promotion braucht!«

Eine Vielzahl von Berufen setzt sich ehrenwerte Ziele. Ärzte fühlen sich dem Eid des Hippokrates verpflichtet, Pädagogen messen ihr Handeln am Eid des Sokrates; Beamte, Staatspolitiker und Richter leisten eine Amtseid. Mir ist aber nur eine Berufsgruppe bekannt, die ihr Handeln als etwas Besseres erachtet und dies in Verlaut­barungen proklamiert. Alles begann 1964, als der Londoner Designer Ken Garland, unterstützt von 400 Berufskollegen, sein »First Things First«-Ma­nifest veröffentlichte. Man wendete sich gegen die (noch junge) Konsumkultur, die sich am Kauf und Verkauf von Waren ergötzte, und versuchte, ein Design mit Haltung als Gegenentwurf zu etablieren. Eine Utopie, wie in den 1960er Jahren so einige entstanden.

Das Unglück nahm seinen Lauf, als das Manifest im Jahr 2000 aufgewärmt wurde, unterschrieben von 33 Stardesignern und von sechs Fachzeitschrif­ten publiziert. Wieder ging es um die Frage, ob das Gestalten eine wertfreie Disziplin sei oder ob es persönlichen und gesellschaftlichen Wer­ten zu folgen habe. Damit keine Missverständnisse auf­kommen: Ich halte es für legi­tim und lobenswert, wenn ein Designer oder ein Büro für sich entscheidet, nicht für Zigaretten oder zweischneidige Dienstleistungen zu arbeiten. Aber muss man mit dieser Haltung gleich der ganzen Branche ins Gewissen reden? Ein solches Weltbild ist mit­verantwortlich dafür, dass manche Kreative ihre Energie für die Balance zwischen Pro-bono- und Schlechtem-Gewissen-Job verschwen­den, anstatt den Wert ihres Schaffens selbstbewusst zu »verkaufen«.

Nun gut, die moralischen Manifes­te werden langsam vergessen. Doch die Digitalisierung beschert dem Design ei­ne neue Identitätskrise. Leis­tung ist messbar geworden, was drei gute und eine schlechte Nachricht zur Folge hat. Vorbei die Zeiten der Design-Alchemie, der Hochstapler und Blender . . . Design ist ein essenzieller, bezifferbarer Produktbestandteil gewor­den. Ebenfalls positiv: Design muss stän­dig geprüft beziehungsweise aktualisiert wer­den (langfristige Ko­ope­ra­tion), und es wird jetzt angemes­sen honoriert.

Welche Rolle spielen Designer in einer Welt, in der A/B-Tests und User Response über ihre Arbeit entscheiden?

Die schlechte Nachricht: Design fin­det nun zwischen A/B-Tests und User Response statt. Und wieder stellt sich Gestaltern die Frage: Welche Rolle spie­le ich hier eigentlich? Womit diesmal keine politische, sondern die fach­liche gemeint ist. Die Branche ist auf dem Boden der Tatsachen angekommen und fragt sich: Haben Designer eigent­lich noch die Kontrolle über ihr Schaffen? Matt Webb, Gründer des Studios BERG in London, formulierte es gegen­über Co.Design so: »Unsere Arbeit basierte jahrelang auf Empathie für den Nutzer und seine Bedürfnisse. Heute definieren De­signer die Parameter für Interfaces, deren Performance die User bewerten. Was den besten Umsatz verspricht, ge­winnt. Also: Wer designt hier was?«

Es sieht ganz danach aus, als verlören die Designer nicht nur die morali­sche, sondern auch die gestalterische Kontrolle über ihre Arbeit. Brauchen wir wieder ein Manifest? Bitte nicht! Ich denke, wir müssen uns damit abfin­den, dass professionelles Design im Bestfall die Interessen des Nutzers und des Auftraggebers ins Gleichgewicht bringt. Maximale Empathie für den User gibt es nur, wenn wir den Kunden entfernen, also im Selbstauftrag. Wer außerdem höchste morali­sche Maßstäbe erfüllen möchte, soll­te auch den Anwender eliminieren . . . also selbstbeauftragt für sich selbst arbei­ten. Das nennt man dann Kunst, oder?

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