Mit Studiengängen wie Public Interest Design, Transformation Design, Öko-Soziales Design und – fast schon klassisch – Social Design reagieren die Hochschulen nicht nur auf die Wünsche der Studierenden, sondern auch auf die Anforderungen des Marktes und der Gesellschaft. Wir stellen einige bemerkenswerte Konzepte vor.
Kreative wollen mit ihrer Arbeit Positives bewirken und soziales Engagement in ihren Berufsalltag integrieren. Die Hochschulen reagieren und schaffen entsprechende Angebote:
Von lokal zu global: Masterstudiengang Öko-Soziales Design
Seit 2016 kann man an der Freien Universität Bozen Öko-Soziales Design studieren. Professor Kris Krois, Leiter des Masterstudiengangs, bezeichnet diesen als flexibles Framework, das es den Studierenden ermöglicht, ihre eigene Rolle in der (Berufs-)Welt zu finden. Ab dem ersten Semester setzen die Studenten in Zusammenarbeit mit externen Partnern konkrete Projekte um – und arbeiten dabei im Laufe des Studiums immer eigenständiger. Zumeist handelt es sich um regionale Initiativen – wenn auch stets mit dem Anspruch, dass die Konzepte auch im globalen Kontext funktionieren. Der Studiengang zieht nicht nur Designer verschiedenster Disziplinen an, sondern auch Absolventen aus Forstwirtschaft, Urban Planning oder Kulturwissenschaften, sodass alle voneinander lernen können.
Der Studiengang vermittelt fächerübergreifende Kompetenzen sowie die Fähigkeit, autonom zu arbeiten – laut Krois die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft als Designer. Neben der Selbstständigkeit sind für die Absolventen Stellen bei NGOs, in Beratungsfirmen und in spezialisierten Agenturen und Start-ups denkbar. Zunehmend ergäben sich auch Positionen im öffentlichen Sektor, erklärt Krois: »An vielen Stellen wird langsam erkannt, welchen Mehrwert Designer bei ökologischen und gesellschaftlichen Initiativen einbringen. Dennoch ist hier noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten – dazu trägt jedes in unserem Studiengang entstandene Projekt bei.« Darüber hinaus arbeitet Krois derzeit mit Kollegen an dem Buch »Mapping Eco-Social Design« und veranstaltet jährlich die Konferenz By Design or by Disaster in Bozen.
Social Design: Kommunikationskonzept für heilige Scheiße
Johanna Perret gehörte zu den ersten 14 Studierenden in dem neuen Studiengang. Nach einem dualen Mediendesignstudium an der DHBW Ravensburg und fünf Jahren Berufserfahrung wollte sie erkunden, was Kreativität neben Absatzsteigerung noch bewirken kann. Am Konzept des Öko-Sozialen Designs schätzte sie besonders Fächer wie Political Ecology und Social Economics – Themen, mit denen man in regulären Designstudiengängen nicht in Berührung kommt. »Ich verstehe Design weniger als visuelle Disziplin, sondern als Werkzeug. Mir geht es um die Brücken, die man als Designer bauen kann«, erklärt Johanna Perret.
In ihrer Abschlussarbeit »Holy Shit« untersuchte sie ein eher ungewöhnliches Thema: die nachhaltige Verwertung menschlichen Kots und die Frage, wie man ein positives Verständnis dafür schaffen kann. »Unsere Scheiße hat Superkräfte – und niemand spricht darüber!«, lautete der Ausgangspunkt für Perrets Projekt. Im Fokus stand dabei ein Kommunikationskonzept rund um den Prototyp einer Komposttoilette, den sie gemeinsam mit einer Schreinerei aus Südtirol entwickelte. Neben Informationsmaterialien stellte sie eine Pop-up-Ausstellung samt Auftaktevent auf die Beine.
Abschlussarbeit mit ökologischer Relevanz
Die Resonanz auf »Holy Shit« war groß – auch in den Medien –, und im Anschluss bildete sich ein Interessenkreis, der das Thema in Südtirol vorantreibt. »Für mich war es wichtig, eine Art Blaupause zu schaffen, damit das Ganze nicht allein von meiner Person abhängt«, erklärt Johanna Perret. »Meine Abschlussarbeit sollte nicht in der Schublade verrotten wie so viele andere.« Im übergeordneten Sinne ging es ihr bei dem Projekt darum, einen Hebel zu finden, um kritische Fragen anzusprechen: »Das muss ja nicht unbedingt Scheiße sein – es gibt genug andere Tabuthemen mit sozialer und ökologischer Relevanz.«
Mittlerweile arbeitet Johanna Perret für den Pfandbechersystemanbieter Recup und ist dort für Brand Development, Design und Kommunikation verantwortlich. Nebenbei betreute sie zwei verpackungsfreie Supermärkte. Perret hofft, dass ihr Beispiel anderen Studierenden Mut macht:
»Ich sitze nicht arbeitslos zu Hause, weil ich etwas Abwegiges studiert habe, sondern habe einen spannenden Job, der genau dem entspricht, was ich mir vorgestellt habe.«
Zürcher Hochschule der Künste: Wissen teilen und andere empowern
An der Zhdk gibt es keinen gesonderten Studiengang für Social Design. Michael Krohn, Leiter des Fachbereichs Design, setzt auf die Zusammenarbeit zwischen den Designdisziplinen mit Schwerpunkt auf sozialen Fragestellungen. In dem Lehr- und Forschungsprojekt »Design with Social Impact« entwickelten Studierende, Dozenten, Forschende und Partner aus der Praxis von 2016 bis 2017 in realen Projekten in Kenia und Mazedonien sozial orientierte Designmethoden und konkrete Lösungen. Die Praxiserfahrung war Fachbereichsleiter Krohn besonders wichtig: »Wir sind davon überzeugt, dass man, um Empathie zu erzeugen, ins Feld gehen und direkt mit den Menschen arbeiten muss.«
Social Design bedeutet auch »mit der Zielgruppe gestalten«
Bei den Projekten ging es darum, gemeinsam mit der Zielgruppe nachhaltige Lösungen zu entwickeln. »Das bedeutete eine Umstellung für die Studierenden, weil sie nicht alles selbst bestimmen konnten«, so Michael Krohn. Außerdem mussten sie vor Ort angesichts mangelnder Ressourcen besonders kreativ und erfinderisch werden. In Mazedonien stellten sie mit einer Gruppe von Frauen Produkte her, die traditionelles Strickhandwerk mit moderner Ästhetik verbinden, um die lokale Wirtschaft zu stärken. In Kenia erarbeitete eine weitere Gruppe mit Kleinbauern Konzepte für den ökologischen Landbau. »Empathie, Rücksicht und Verständnis sind dabei die Grundlage für die Ermächtigung der Menschen, damit sie aktiv mitwirken und sich die Ergebnisse aneignen, auch um spätere Abhängigkeiten zu verringern«, erklärt Krohn.
Social Concept: Erfahrungen und Erkenntnisse zugänglich machen
Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse machen die Studierenden und Forscher unter http://designwithsocialimpact.net zugänglich. Dort gibt es – versammelt in Themenfeldern wie »Mindset & Soft Skills«, »Communication & Wording« oder »Relationships & Roles« – kurze Erklärungstexte und Videos zu und von den Begegnungen in Mazedonien und Kenia. Die Website hielten die Beteiligten bewusst schmal und übersichtlich, damit sie auch in entlegenen Orten nutzbar ist. Krohn betont, wie wichtig externe Partner sind: »Man kann nicht einfach ein Designteam allein im bolivianischen Urwald aussetzen. Es braucht Leute mit einem tiefen Verständnis für Entwicklungsarbeit und solche, die Kontakte knüpfen, Gelder beschaffen und Zugang ermöglichen. Designer sind keine Entwicklungshelfer oder Politiker – aber in Zusammenarbeit mit diesen können sie viel erreichen.«
Politisches Design und ökologische Verantwortung gefragt
Das Interesse an sozialen und nachhaltigen Projekten sei beim derzeitigen Designnachwuchs auch ohne das Zutun der Universität ausgesprochen hoch: »In ungefähr 20 Prozent der Abschlussarbeiten geht es darum, gesellschaftliche Wirkung zu erzielen, ohne dass wir entsprechende Vorgaben machen«, sagt Krohn. »In den achtziger und neunziger Jahren war Design relativ unpolitisch: Man gestaltete einfach schöne Dinge und bediente eine gewisse Klientel. Heutige Studierende wollen dagegen Lebensumstände verbessern und ökonomische und ökologische Verantwortung übernehmen – lokal vor Ort oder global.«
Social-Design-Projekte: Designer als Brückenbauer
Eine dieser Studierenden ist Beatrice Sierach. Sie hat 2016 ihren Masterabschluss an der Zhdk zum Thema Social Design gemacht. Nachdem sie 2010 an einem Designzentrum in Mexiko an einem Kunsthandwerkprojekt mitgearbeitet hatte, stieg sie tiefer ins Thema ein und beschäftigte sich nicht nur konkret, sondern auch auf Metaebene damit, was es braucht, um Social-Design-Projekte erfolgreich umzusetzen. Den Begriff Entwicklungshilfe findet sie in diesem Kontext unpassend: »Sobald man als Social Designer glaubt, zu helfen, arbeitet man nicht mehr auf Augenhöhe mit der Gemeinschaft und sieht sich auf einer anderen Ebene«, erklärt Sierach.
Die Social-Designerin entwickelte einen Werkzeugkasten für die Zusammenarbeit von Designern und Laien, der Kommunikation und Co-Kreation vereinfacht. Dieser ist nicht nur für Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern geeignet, sondern lässt sich zur Lösung unterschiedlichster Probleme innerhalb von Gruppen nutzen, seien es Schulklassen, Nachbarschaften, Kollegen oder Vereine. Das Tool besteht aus Methodenkarten, in die Sierach auch Elemente aus Gamedesign und Psychotherapie einfließen ließ. Einleitend stellt sie zudem wichtige Fragen, mit denen Gestalter die eigene Bereitschaft und Eignung für eine Tätigkeit als Social Designer ausloten können, darunter: Hast du eine gute Beobachtungsgabe? Bist du kontaktfreudig und aufgeschlossen? Machst du dir gerne die Hände schmutzig?
Ihrer Abschlussarbeit gab Beatrice Sierach den Titel »Intercultural Link«, da sie zu dem Ergebnis gelangte, dass Gestalter sich immer mehr zu Vermittlern zwischen unterschiedlichen Kulturen und Denkweisen wandeln werden. Ihr Tool lässt sich herunterladen unter http://intercultural-link.org. Um es noch breiter zu vermarkten, entwickelt Beatrice Sierach derzeit ein Businessmodell. Außerdem arbeitet sie als UX- und Visual Designer sowie als Strategiecoach für Start-ups. »Social-Design-Prozesse brauchen Zeit und Geduld«: Ein ausführliches Interview mit Beatrice Sierach
Gesellschaft gestalten: Masterstudiengang Public Interest Design
Das als Projektstudiengang konzipierte Public Interest Design startete im Wintersemester 2016/17 und hat inzwischen erste Absolventen vorzuweisen. Angesiedelt an der Fakultät Kunst und Design der Universität Wuppertal, richtet sich der Masterstudiengang aber nicht nur an Gestalter, die sich an der nachhaltigen Entwicklung von Gesellschaft und Stadt beteiligen wollen, sondern auch an Bachelorabsolventen aus angrenzenden Fachbereichen wie Architektur und Stadtplanung, Sozial- und Geisteswissenschaften.
Christoph Rodatz, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studiengangsverantwortlicher, findet vor allem wichtig, dass die Studierenden später konkrete Jobchancen haben: »Ehrenämter bieten unseren Absolventen keine Berufsperspektive.« Staatlich finanzierte Programme wie Business Improvement Districts sowie Stellen bei öffentlichen Einrichtungen und Behörden seien dagegen realistische Szenarien. So hat ein Public-Interest-Design-Absolvent vor Kurzem eine Stelle als Kulturkoordinator in der Stadtverwaltung von Borken angenommen, eine andere Absolventin arbeitet als City-Managerin in Gevelsberg. Zudem soll das Beantragen von Fördergeldern für eigene Projekte Bestandteil des Curriculums werden. »Anträge schreiben, Kalkulationen machen, Businesspläne erarbeiten et cetera kann ganz schön überwältigend sein. Darauf wollen wir unsere Studierenden vorbereiten«, erklärt Christoph Rodatz.
Kunst als Ausdruck für das Unaussprechliche
Eines der im Studiengang entstandenen Projekte ist die Gemeinschaftsgalerie Hufschmiedstraße, die Masterstudentin Marie Nehles im Rahmen ihrer Abschlussarbeit gemeinsam mit dem Ressort für Zuwanderung und Integration der Stadt Wuppertal initiierte. Als Zwischennutzung bot die Galerie in den Sommerferien wöchentliche Workshops mit lokalen Künstlern für neu zugewanderte Jugendliche an. Kunst entstand dabei nicht um ihrer selbst Willen, sondern wurde auch als nonverbale Ausdrucksform für Erlebnisse auf der Flucht genutzt. Die Arbeiten wurden im September 2018 in einer Ausstellung gezeigt. Doch damit war das Projekt noch nicht zuende: Gegenwärtig entsteht in der Hufschmiedstraße ein Lern- und Begegnungszentrum, das mit Nehles’ Grundkonzept weiterarbeiten wird.