Vom 18. – 20. September 2015 fand nun mittlerweile zum dritten Mal die Tÿpo St. Gallen statt.
Wie auch schon die letzten Jahre trafen sich die Besucher des mit gewohnt hochkarätigen Sprechern besetzten Symposiums in den Gebäuden der Schule für Gestaltung. Rund 260 Besucher kamen um die durchweg spannend angekündigten Vorträge unter dem Motto «Tempo» zu verfolgen. Da gerade in unserem Beruf das Thema «Zeit» heutzutage oft eine entscheidende Rolle spielt, war es umso interessanter, wie sich die Referenten und Referentinnen des Themas annehmen würden.
Nach der Ankunft der Konferenzteilnehmer und dem Grußwort des Veranstalters folgte die Einführung durch den wie immer sehr lockeren und humorigen Clemens Theobert Schedler, der während des gesamten Wochenendes immer die passenden Worte für die Überleitungen zwischen den Vorträgen fand. Gefolgt wurde die Anmoderation durch einen Vortrag des Münchener Buchgestalters und Blogschreibers Bernd Kuchenbeiser, der seine Aversion gegen die Arbeit an der eigenen Selbstdarstellung überwinden konnte und sich dem Thema der Konferenz auf äußerst sympathische Weise annahm, ohne jedoch dasselbe aus den Augen zu verlieren.
Als Plakatgestalter und Buchdrucker spielt das Thema Zeit für Daniel Kühne eine enorm wichtige Rolle im Schaffensprozess. In seinem Vortrag «Downtempo – Analoge Gestaltung und Buchdruck» zeigte er die Arbeitsprozesse, die zu seinen gelungenen Plakatgestaltungen führen. Mit alter Technik zu frischen Lösungen – so könnte man dies wohl treffend umschreiben.
Nach der ersten Pause folgte Werner Jeker mit seinem Vortrag «Tempo statt Typo». Der Ausstellungs-, Plakat- und Buchgestalter aus Lausanne erzählte aus seinem reichen Erfahrungsschatz. Begonnen in den sechziger Jahren, reichte die humorvolle und kurzweilige Darstellung von Jekers Arbeiten für Kunden wie zum Beispiel die Schweizerische Bankgesellschaft, Polaroid und das Kunsthaus Zürich bis hin zu seinen aktuellen Arbeiten.
Hahn&Zimmermann markierten mit ihrem «Informationsgrafik: Komplexität vs. Tempo» betitelten Auftritt den vorläufigen Endpunkt des Nachmittagsprogramms. Die beiden Inhaberinnen der Agentur zeigten und erläuterten spannende Projekte aus ihren Tätigkeitsfeldern: Infografik (unter anderem für das NY Times Magazine und Die Zeit, sowie das Beef Magazine), freie Projekte und Arbeiten im Bereich Designforschung.
Der Abend gehörte dann einem Mann, der eigentlich als hinlänglich bekannt gelten dürfte: dem 1902 in Leipzig geborenen Jan Tschichold. Nachdem kürzlich ein Teil dessen Nachlasses ins St. Galler Zentrum für das Buch gelangte, wurde «Arbeitsbibliothek» von Jost Hochuli in akribischer Arbeit erschlossen. Die Ergebnisse hielt er in seinem Buch »Tschicholds Faszikel« fest, das in der Edition Ostschweiz erschien und für alle Teilnehmer des Abends als Geschenk bereit lag. Außerdem konnten die Besucher eine Auswahl der Originale in einer kleinen aber sehr sehenswerten Ausstellung sehen.
Mit chinesischer Wasserkalligrafie der besonderen Art startete die Tÿpo mit Tempo in die zweite Runde. François Chastanet zeigte in seinem Vortrag «Latin Dishu—Transferring a Chinese street lettering practice towards the Western world» wie er die chinesische Technik mit Wasser auf den Boden zu kalligrafieren in spannender Weise auf die lateinische Schrift übertragen hat. Einige Videos dazu gibt es auf seiner Webpräsenz zu bewundern. Zudem erfuhren die Teilnehmer, wie man sich selbst die nötigen Werkzeuge basteln kann.
Tempo der ganz anderen Art legte Benji Wiedemann vor. In einem atemberaubenden Vortrag mit dem Titel «Life outside the comfort zone» gewährte der Mitbegründer der Londoner Agentur «A Plus B Studio» und Wahllondoner (Wiedemann ist eigentlich in Frankfurt a. Main geboren) aufschlussreiche Einblicke in seinen Werdegang und verriet, welche Vorteile es gerade als Gestalter hat, sich aus seiner Komfortzone herauszubewegen … Amazing!
In «Die Wunderbare Welt des Fritz Kahn» führte der Wiesbadener Thilo von Debschitz die Anwesenden ein. Von Debschitz entdeckte Kahns Arbeit über kuriose Umwege. Der jüdische Arzt und Schriftsteller Kahn emigrierte nach dem Krieg nach New York. Er schuf zuvor in Zusammenarbeit mit verschiedenen Illustratoren die Buchreihe «Das Leben des Menschen», in der anhand von einfachen Modellen komplexe Abläufe aus der Biologie des Menschen auf einfachste Weise anschaulich erläutert werden.
Der selbstbekennende Typophile Boris Kochan zeigte nach der Mittagspause in seinem kurzweiligen Vortrag «Keine Details! Welche Konferenz?» Arbeiten rund um das Thema Zeit. Die gezeigten Versatzstücke und selbstinitiierten Projekte schlugen auf interessante Weise die Brücke zum Motto der Veranstaltung.
Leider war vom darauf folgenden Duo Carvalho/Bernau krankheitsbedingt nur ein Solo übriggeblieben. Kai Bernau konnte aber trotzdem die Lücke schließen und zeigte Arbeiten aus dem Bereich Typedesign und Buchgestaltung. Überaus sehenswert war neben den vorgestellten Schriftprojekten die Arbeit für Octavo publicaties, für deren Buchtitel ein eigenes Tool programmiert wurde, das per Knopfdruck nach einem vorgegebenen Gestaltungsraster in Windeseile den passenden Buchumschlag gestaltet und als druckbares PDF ausspuckt.
Tempo durch Automatisierung machten auch Rafael Koch, Urs Hofer und Gina Bucher. Sie arbeiten als Kollektiv zusammen und stellten dem Publikum in ihrem Vortrag ihr Projekt «Rokfor» vor. Eine Applikation, die Daten sammelt und diese automatisch in druckfähige Dokumente überführt. Auf diesem Weg entstehen Bücher, die in der Edition Rockfor publiziert werden.
Den Schlusspunkt dieses zweiten Tages setzte Lucas De Groot, Schöpfer der Schriftfamilie Thesis. Obwohl De Groot in seinem Vortrag in manchen Teilen sehr technisch wurde, schaffte er es, die Information frisch und wirklich unterhaltsam für das Publikum aufzubereiten. Wer glaubt, seine «anisotropische topologieabhängige Interpolationstheorie» sei nur etwas für wirkliche Type-Nerds, hat Lucas De Groot noch nicht darüber sprechen hören. Im Anschluss an den Konferenztag gab es dank der familiären Atmosphäre wieder reichlich Gelegenheit, mit Kollegen und Referenten ins Gespräch zu kommen.
Als schöne Zugabe fuhr man am dritten Tag zum «Sitterwerk» um die Bibliothek, das wunderbare Werkstoffarchiv, das Kesselhaus Josephson, die Kunstgießerei und das Atelierhaus auf dem Areal zu bewundern. Die Kunstibliothek ist übrigens mutmaßlich weltweit die erste Bibliothek, die sich per Roboter und RFID-Chip im Buch jede Nacht quasi neu formatiert und dies dann auch gleich noch in den übers Internet zur Verfügung stehenden Katalog übernimmt.
Nach einer kleinen Stärkung wurden die Teilnehmer durch die Veranstalter verabschiedet. Übrigens konnte man als Schmankerl mit seinem Teilnehmerausweis auch noch die absolut sehenswerte Stiftsbibliothek in St. Gallen kostenlos besuchen.
Wer es also etwas familiärer, aber inhaltlich nicht weniger dicht als auf manchen anderen großen Konferenzen haben will, ist in St. Gallen in den besten Händen und sollte sich in zwei Jahren aufmachen, um die vierte Auflage der Veranstaltung selbst einmal zu besuchen.